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Aus: Ausgabe vom 22.08.2024, Seite 5 / Inland
Autoindustrie

Autolobby will »erneuerbare« Kraftstoffe

Branchenverband VDA rechnet noch mit jahrzehntelanger Nutzung von Verbrennermotoren
Von David Maiwald
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Der Verbrennermotor wird noch einige Jahre benötigt, weiß der Automobilverband VDA

Die Autoindustrie will einen Verzicht auf fossile Kraftstoffe. Ihr Lobbyverband VDA forderte am Mittwoch mehr Anstrengungen bei der Entwicklung von klimaschonenden Antriebstechnologien. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (Renewable Energy Directive, RED III) sieht keine Zulassungen von Neufahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotoren ab 2035 vor, weitere Maßnahmen »zum Hochlauf erneuerbarer Kraftstoffe« bleiben dem VDA zufolge aber hinter den Erwartungen zurück.

Die Kraftstoffproduzenten – also Mineralölkonzerne – müssten demnach stärker in die Pflicht genommen oder vielmehr protegiert werden: VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärte, es müssten »Anreize« geschaffen werden, um »Investitionen zu gewährleisten und zu fördern«. Die EU-Richtlinie sei schlicht »nicht ambitioniert genug«. Werde die RED ab Mai 2025 in Bundesrecht umgesetzt, müsse der »Kraftstoffsektor« seinen Treibhausgasausstoß nach Willen der Autolobby bis 2030 um 35 Prozent reduzieren.

Die Autoindustrie soll dann bereits haften, wenn Flotten die gesteckten Emissionsziele nicht erreichen. Ohne ein ausdrückliches Verbot sollen Neuanmeldungen verhindert und Fahrzeuge mit Benzin- und Dieselmotoren – mit einigen Ausnahmen – vom Markt verdrängt werden: Sie würden zu teuer. »Zwischenziele« sollen die Industrie dem VDA zufolge zum verringerten Ausstoß von CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen motivieren: bis 2035 60 Prozent weniger Treibhausgase, bis 2040 90 Prozent und dann im Jahr 2045 gar keine mehr. Neben »ordnungs- und steuerrechtlichen Vorgaben« schweben der Autolobby aber auch staatliche Ausschreibungen zur Förderung der Kraftstoffentwicklung in der Industrie vor.

Nach EU-Vorgabe soll der Anteil an erneuerbaren Energieträgern im Verkehrssektor 2030 mindestens 29 Prozent betragen, der Ausstoß von Treibhausgasen um 14,5 Prozent verringert werden. Heißt: Ein Großteil der Fahrzeuge muss über Strom oder nichtfossile Kraftstoffe laufen. An Tankstellen in der Bundesrepublik sollen »ab 2045 keine fossilen Kraftstoffe mehr verkauft werden«. Bei der Entwicklung der neuen Kraftstoffe gibt sich der VDA »technologieoffen«. Nur auf die Entwicklung von Elektroautos zu setzen, werde für das Erreichen der gesetzten Marke von 25 Prozent weniger Treibhausgasen nicht genügen, befand Cheflobbyistin Müller. Erfülle die BRD ihr Ziel von 15 Millionen E-Fahrzeugen bis 2030, »fahren dann immer noch mindestens 40 Millionen Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotoren auf deutschen Straßen«. Für die Klimaziele sei darum die Entwicklung »erneuerbarer Kraftstoffe« nötig.

Verbrennermotoren werde es noch »sehr, sehr lange geben«, hatte der saudiarabische Ölförderkonzern Saudi Aramco vor einigen Wochen erklärt. Im Juni hatte das Unternehmen einen Anteil von zehn Prozent am Joint Venture Horse Powertrain – spezialisiert auf Verbrenner- und Hybridmotoren – erworben. Bis zu 60 Prozent der Bevölkerung würden trotz aller EU-Ziele auch nach dem Jahr 2040 noch mit »reinem Verbrennungsmotor, Vollhybrid oder Plug-in-Hybrid« fahren, zitierte die Financial Times Anfang Juli den Geschäftsführer von Horse Powertrain, Matias Giannini. Zum Einstieg in das Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Autoriesen Renault und dem chinesischen Konzern Geely bemerkte Saudi Aramco, selbst im Jahr 2050 würde noch mehr als die Hälfte aller Autos mit irgendeiner Art von Kraftstoff fahren. Der Rückgang beim E-Auto-Absatz sowie zunehmende Handelskonflikte zwischen USA, EU und China ließen die Verbrennertechnologie »weniger düster dastehen«, hieß es.

Das Kalkül: Sollten die Autokonzerne die Produktion frühzeitig umgestellt haben, könnten sie wieder Verbrennermotoren zukaufen müssen. In diesem Fall »können sie eine Partnerschaft mit Horse Powertrain eingehen«, so Giannini. Die Europäische Union werde für den Verbrennerproduzenten ein »logisches Spielfeld«, zitierte die Financial Times einen Manager der US-Investmentbank Jefferies: »In der heutigen Welt will nur Europa den Verbrennungsmotor abschaffen. Weder die Chinesen noch die Amerikaner arbeiten in diese Richtung.« Die BRD-Konzerne könnten sich da keinen Sonderweg erlauben.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (21. August 2024 um 23:06 Uhr)
    Liest der VDA kein ZDF? Das schreibt am 28. Juli 2024 um 13.01 Uhr: »Die Zahl der Autos mit Elektroantrieb ist im letzten Jahr stark gestiegen. Die Hälfte der Fahrzeuge ist dabei in China unterwegs – Deutschland liegt auf Platz drei hinter den USA. … Ende 2023 lag der Bestand bei rund 42 Millionen, wie das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) ermittelt hat. … Die Heimat des Elektroantriebs ist dabei eindeutig China: Laut ZSW gab es dort zum Stichtag 23,4 Millionen dieser Autos – das ist mehr als die Hälfte des weltweiten Bestands.« Die Chinesen tun also allerhand in Richtung Abschaffung des Verbrennungsmotors. Sie tun auch einiges in Richtung Verringerung des Individualverkehrs durch Aufbau öffentlicher Verkehrsmittel zu Entlastung der Städte (bis hin zur Entwicklung von Zügen mit mehreren hundert Stundenkilometern in Tunnels mit Unterdruck für den Weitverkehr). Für den Fall, dass Kalifornien den USA zugehören sollte, müsste der VDA seine Aussagen zumindest relativieren: »In Kalifornien sollen ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden dürfen.« (https://de.wikipedia.org/wiki/Marktentwicklung_von_Elektroautos_nach_L%C3%A4ndern). Interessant wäre noch, wie der VDA Physik und Chemie umdefiniert. Wahrscheinlich invertiert er die Hauptsätze der Thermodynamik, damit sein Geschäftsmodell tragfähig wird. Damit muss er sich aber beeilen, das Universum expandiert noch.

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