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Aus: Ausgabe vom 22.08.2024, Seite 8 / Inland
Linke Gewerkschaftler

»Kriegstreiber an der Spitze müssen weichen«

Bayern: Kriegsgegner besetzen Gewerkschaftshaus und fordern Stopp von Abkommen mit Rüstungskonzernen. Gespräch mit Franz Hohn
Interview: Gitta Düperthal
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Kämpfen vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätze: IG-Metall-Streik bei Voith Turbo BHS Getriebe GmbH in Sonthofen (23.4.2020)

Gewerkschaftsmitglieder und Kriegsgegner besetzten am Dienstag kurzzeitig das Büro der IG Metall, IGM, im Ingolstädter Gewerkschaftshaus. Auf Ihrem Flugblatt stand: »Du glaubst, du bist im Kriegsministerium und nicht im Gewerkschaftshaus.« Was werfen Sie der Gewerkschaftsführung vor?

Zunächst möchte ich verständlich machen, warum in den eigenen Reihen ein Kampf gegen die Gewerkschaftsführung notwendig wird. Der deutsche Imperialismus bereitet in aller Öffentlichkeit einen Weltkrieg vor. »Wir sind bereit, NATO-Gebiet zu verteidigen«, tönte Pistorius im Juli, zu Besuch beim »Arctic«-Manöver, bei dem der Krieg gegen Russland geprobt wurde. Das ist keine Polemik, keine Übertreibung: Wir müssen die Herrschenden beim Wort nehmen. Die IG-Metall-Führung in Ingolstadt beteiligt sich an den Kriegsvorbereitungen. Sie schließt Abkommen mit Rüstungskonzernen, wie etwa Airbus in Ingolstadt/Manching, zum Bau weiterer Kriegsflugzeuge für den Luftkrieg gegen Russland. Sie meint, so seien Arbeitsplätze zu sichern. Deren Produktion bedeutet aber weiteren Arbeiter- und Völkermord. Deshalb müssen die Werktätigen jetzt ihre eigenen Gewerkschaftshäuser besetzen. Die Kriegstreiber an der Gewerkschaftsspitze müssen weichen. Es ist unser Haus. Wir brauchen es, um den Antikriegskampf zu organisieren. Wir waren am 25. Juli schon einmal da und forderten damals schon: Die IG Metall muss den Kampf gegen die Kriegsvorbereitungen beginnen. Wir hatten damit den Ersten Bevollmächtigten der IGM Ingolstadt, Carlos Gil, konfrontiert. Das müsse erst durch die Gremien gehen, sagte er.

Ließen sich die Gewerkschaftsfunktionäre diesmal auf eine Debatte ein?

Carlos Gil war nicht anwesend, aber etwa zehn Gewerkschaftsfunktionäre und Angestellte. Wir hatten diesmal Transparente dabei. Auf einem stand »Kriegstreiber raus aus der Gewerkschaft«, auf dem zweiten: »Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter.« Das erste haben wir zum Fenster rausgehängt, das zweite vorm Eingang positioniert. Wir übergaben ein Schreiben, in dem wir Gil auffordern, bei der nächsten Delegiertenversammlung folgenden Antrag einzubringen: »Wir kämpfen dafür, dass die IG-Metall-Führung ihren Kriegskurs beendet« – sowie insbesondere dafür, dass »sie alle Abkommen mit Konzernen, zum Beispiel Airbus, zum Bau weiterer Kriegsflugzeuge aufkündigt.« Als wir darüber reden wollten, ging plötzlich ein Gebrüll los: Es sei nicht unser Haus, wir sollten raus, es sei Hausfriedensbruch, man werde die Polizei rufen. Wir blieben dabei: »Wir sind Gewerkschafter, es ist unser Haus.« Kurz darauf kamen etwa fünf Polizeiautos und zwei -busse, zehn Polizisten stürmten ins Haus.

Beschuldigt sind Sie nun nicht nur wegen Hausfriedensbuchs, sondern auch wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt – warum?

Vier von uns hatten sich hingesetzt und aus dem Gewerkschaftshaus heraustragen lassen. Das wird als Widerstand gegen die Staatsgewalt gewertet.

Die Kriegsgegner wurden mit Handschellen ins Ingolstädter Polizeipräsidium gebracht und zwei Stunden lang festgehalten. War es das wert?

Ja. Wir freuen uns auf einen politischen Prozess. Er soll zum Aufruf an alle Kriegsgegner werden, endlich in Aktion zu treten. Sollen wir noch länger hinter den italienischen und griechischen Arbeitern, Schülerinnen und Studierenden zurückstehen? Die blockieren längst Häfen oder halten Züge auf, damit weder Waffen, Panzer, noch Munition das Land für den Völkermord in Richtung Osten verlassen.

Vor der Besetzung des Gewerkschaftshauses am Dienstag hatten Sie Flugblätter vor dem Audi-Werk verteilt.

Die Lage ist ernst. Wir haben dort angefangen, Arbeiterinnen und Arbeiter zu informieren, bei weiteren Auto- und Zulieferkonzernen muss es weitergehen. Es geht die gesamte Arbeiterklasse an. Sie muss in den eigenen Reihen dafür sorgen, dass sich der Antikriegskampf durchsetzen kann. Das verhindert die Gewerkschaftsführung.

Franz Hohn ist Mitglied des Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (23. August 2024 um 06:22 Uhr)
    Am 18. August 2024 gab es in Hamburg, Ernst Thälmann Haus, eine Veranstaltung zum Todestag von Ernst Thälmann. Anwesend waren ca. 40 Menschen. Es gab Wortbeiträge von VVN, Ernst Thälmann Gedächtnisstätte, DKP usw. Leider wurde die Frage nicht gestellt und konkret beantwortet, was Ernst Thälmann heute tun würde. Wenn ich den Text von Ernst Thälmann »Die Lehren des Hamburger Aufstandes« durchsehe, dann gibt es eine Erkenntnis, die er beschreibt und bis heute und für immer Gültigkeit hat, die da lautet: »Taten zählen und nicht Worte.« Offenbar gibt es noch organisierte Menschen, z. B. Arbeiterbund zum Wiederaufbau der KPD, die das verstanden haben und den Mut haben, diese Erkenntnis anzuwenden. Die Frage, was Ernst Thälmann heute tun würde, könnte man wie folgt beantworten: Eine revolutionäre Arbeiterorganisation aufbauen und diese durch Taten Vertrauen und Kraft erlangt. Wie das konkret zu bewältigen ist, ist eine andere Frage – vermutlich die wichtigste. Manni Guerth
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (22. August 2024 um 11:07 Uhr)
    Vor knapp einhundert Jahren bezeichnete man Gewerkschaften, deren Führungen sich komplett auf die Kapitalseite geschlagen hatten, als »Gelbe«. Die leisteten dem Kapital gute Dienste beim Ableiten jeglichen Arbeiterzornes. Ab und zu einmal ein Stückchen revolutionäre Rhetorik und dann wieder fleißig mitgemacht beim großen Tanz um das Goldene Kalb. Die Quittung für die braven Dienste erfolgte kurz nach Hitlers Machtübernahme: Sturm auf die Gewerkschaftshäuser und Gewerkschaftsverbot. Schließlich lassen sich die Profite bei Rüstung und Militarisierung noch steigern, wenn man keinen »gelben« Apparat mehr durchfüttern muss. Die Proleten ziehen auch fröhlicher in den Krieg, wenn sie vergessen haben, dass im Schützengraben gegenüber Ihresgleichen liegen. Wie wichtig, dass es wenigstens einige Gewerkschafter in Deutschland gibt, die die Lehren der Geschichte nicht vergessen haben!

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