Das Geld ist da
Von Kim NowakAuch in der Schweiz ist die Kaufkraft der Beschäftigten in den vergangenen drei Jahren gesunken. An der wirtschaftlichen Entwicklung der Alpenrepublik lag das nicht: Seit 2021 ist das BIP real um sieben Prozent gestiegen, während die Reallöhne um drei Prozent sanken. »Es besteht deshalb dringender Nachholbedarf bei den Löhnen«, kommentierte Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik beim Gewerkschaftsdachverband Travail.Suisse in einer Pressemitteilung vom 19. August. Travail.Suisse ist die zweitgrößte Dachorganisation nach dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Zehn Gewerkschaften sind in Travail.Suisse organisiert, darunter die zwei größten Arbeitervertreter der Hotel- und Gastrobranche: Syna und Hotel & Gastro Union (HGU). Insgesamt vertritt der Verbund die Interessen von etwa 150.000 Mitgliedern.
Die Inflationsrate in der Schweiz lag in den Jahren 2022 und 2023 bei 2,8 bzw. 2,1 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich gering, und doch leidet ein großer Teil der Bevölkerung der Schweiz unter gestiegenen Lebenshaltungskosten. Insbesondere verteuerten sich die Krankenkassenbeiträge. Dennoch stellen sich die Unternehmen quer und sehen keinen Bedarf, mehr Lohn auszuzahlen. Besonders betroffen ist das Gastrogewerbe, zuletzt scheiterten Lohnverhandlungen der Gewerkschaft HGU. Allerdings ist der Kampf noch nicht verloren. »Angesichts der kompromisslosen Haltung der Arbeitgeberverbände sind die Arbeitnehmendenvertretungen vor das Schiedsgericht gezogen«, so Roger Lang, Leiter Sozialpolitik bei der HGU in einer aktuellen Mitteilung. Dass sich das Wirtschaftswachstum bei den Lohnabhängigen nicht bemerkbar macht, sondern nur die Kassen der Kapitalisten klingen lässt, wollen die Gewerkschaften nicht weiter hinnehmen. Travail.Suisse fordert eine pauschale Lohnerhöhung zwischen zwei und vier Prozent für alle Mitglieder.
Letztlich erarbeiteten nicht die Kapitalisten die Gewinne, sondern die Beschäftigten. Es sei deshalb »inakzeptabel, dass die Arbeitgebenden die Produktivgewinne für sich behalten«, betonte Yvonne Feri, Präsidentin von Syna, in diesen Tagen. In erster Linie solle mit der Forderung nach einem pauschalen Lohnplus die Kaufkraft der Beschäftigten stabilisiert und die »soziale Ungleichheit« bekämpft werden. Ähnlich argumentiert Greta Gysin, Präsidentin der Gewerkschaft Transfair, die Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vertritt. Besonders Postmitarbeiter, aber auch Bundesbeamte stünden vor »erheblichen Herausforderungen«. Auch die Staatsbetriebe stellten sich quer und ließen einen Ausgleich der Teuerung nicht zu. Gysin: »Deshalb fordert Transfair für 2025 den vollen Teuerungsausgleich sowie rückwirkend den Ausgleich der aufgelaufenen Teuerungen der vergangenen Jahre.«
Wie ein Rechenbeispiel von Travail.Suisse verdeutlicht, befindet sich die Reallohnentwicklung auf einem ähnlichen historischen Tiefpunkt wie vor zehn Jahren. Bei einem Einkommen von 4.900 Franken (etwa 5.130 Euro) gab es 2024 nur einen geringen Zuwachs von sieben Franken. Im gleichen Zeitraum verteuerte sich allerdings der Krankenkassenbeitrag einer vierköpfigen Familie von 9.372 Franken (etwa 9.813 Euro) auf 12.924 Franken (etwa 13.532 Euro): eine Erhöhung um knapp 37 Prozent bei einer faktischen Nullrunde der Löhne. Dieses Muster zieht sich durch alle weiteren Beispiele. Es ist also klar, dass bei praktisch allen Beschäftigten die Reallöhne sanken, während die Lebenshaltungskosten stiegen. Dass die Gegenseite trotzdem Verhandlungen abbricht und stur bleibt, zwingt die Gewerkschaften zu Beharrlichkeit. Das Geld ist da. Der Kampf um die gerechtere Verteilung wird trotz aller Rückschläge weitergehen.
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