Geile Zeit
Von Eileen HeerdegenBarbie war zu teuer, als Alternative gab es die unangenehm weichplastikartige Petra, der man Stecknadeln in die spitzen Brüste stecken konnte, aber who cares – es waren Puppen, keine Vorbilder. Vielleicht gab es schon damals kleine Mädchen, die von einem Leben in rosa Glitzertüll träumen wollten, durften, mussten, aber Dornröschen wollte nicht auf den Prinzen warten, Rapunzel wollte sich selbst befreien. »Sprung aus den Wolken«, ein triumphierender Schrei beim verwegenen Sprung vom dicken Ast des Apfelbaums ins weiche Gras, inspiriert durch eine US-amerikanische Nachmittags-TV-Serie.
Das alte Punkmotto »Drei Akkorde müssen für die Weltrevolution ausreichen« war dann vielleicht doch etwas großmäulig (wir warten jedenfalls noch immer), aber manch einer, so wie Kiddy Citny, der 1980 die Band Sprung aus den Wolken gründete, hüpfte mutig ins Leben und in die Musik. Später wurde er als einer der Berliner »Mauermaler« bekannt, deren Arbeiten es bis ins New Yorker Museum of Modern Art schafften, allerdings ohne, dass die Künstler entsprechend finanziell profitieren konnten.
Aber wer dachte in den wilden Endsiebzigern und den achtziger Jahren des vorigen Jahrtausends überhaupt daran, dass er später vielleicht nicht von seiner Rente leben kann. Die Damen und Herren 68er hatten uns die Türen aufgeschlossen, wir durften in ein buntes Leben hinein, unangepasst und kritisch. 1981 gab es mit der dritten Brokdorf-Demonstration und 50.000 bis 100.000 Teilnehmern die bis dahin größte Demonstration der Bundesrepublik überhaupt, gleichzeitig probten experimentelle Bands, oft mit bildenden Künstlern in ihren Reihen, den musikalischen Aufstand. Die »große Untergangs-Show«, das Festival »genialer Dilletanten« (der ursprüngliche Schreibfehler wurde als Statement, zu Fehlern zu stehen, beibehalten) im Berliner Tempodrom präsentierte Gruppen wie Einstürzende Neubauten, Die tödliche Doris und viele andere, so auch Sprung aus den Wolken.
»1981 – West-Berlin«, die Debüt-EP der Band um Kiddy Citny (aktuell mit Renault Schubert, früher zeitweilig und wechselnd unter anderem mit Alexander Hacke, Jochen Arbeit und Peter Prima), gibt es nun brandaktuell als Neuauflage. Das Label Bureau B hat das Werk um weitere Songs aus einer frühen Phase ergänzt, remastert von den alten Originalkassetten.
»Dub & Die«, der elektroniklastige Opener klingt, als spiele der Pinball Wizard im Hintergrund. Schräg und sperrig, textlich ebenso reduziert bis monoton, wirkt auch »Komm her, sing mit«, gleichzeitig abweisend wie einladend. Schepperndes Schlagzeug, kratzende Gitarre, und angesichts des hineinbrummelnden Basses scheint die Geschichte, Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols, habe dieses Instrument vor seinem ersten Auftritt nie gespielt, auf den ersten Blick, aufs erste Ohr, plötzlich vorstellbar und glaubhaft – in Wahrheit ist das Chaos aber eher genial als dilettantisch.
Obwohl das Album mit »Pas Attendre« als Teil des Soundtracks zum Wim-Wenders-Film »Der Himmel über Berlin« sogar einen Underground-Hit im Gepäck hat, biedert es sich beim Hörer nie an. Einflüsse der Neuen Deutschen Welle sind erkennbar, auch wenn alles anarchistische Galaxien von Acts wie Fräulein Menke oder Hubert Kah entfernt ist. »Gib mir Schmerzen, gib mir Pein« – »Leidenschaftlich« könnte als Dada-Version von DAF durchgehen und ist eigentlich schon fast einer der poppigeren Titel. NDW war viel mehr als Nena und der gasgebende Markus, und deshalb macht es tatsächlich Spaß, sich in diese, nach neuen Wegen und Auswegen suchende Welt hineinzuhören.
»Alles, was mir Freude macht, entsteht durch meine Kraft«, so beschwört »Jeder Tag« mit rasant treibendem Rhythmus das Lebensgefühl jener Jahre, in denen so vieles möglich schien – »Jeder Tag ein anderer Tag, und du machst, was du willst«. Sorry, liebe Swifties, aber das war wirklich eine geile Zeit.
Sprung aus den Wolken: »1981 – West-Berlin« (Bureau B/Indigo)
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