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Aus: Ausgabe vom 22.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Weites Land

Eine Ambition so groß wie das Ungeschick: Kevin Costners Neowestern »Horizon«
Von Manfred Hermes
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Auf Kosten des Privatvermögens auf dem Weg nach Westen: Kevin Costner

In den USA feierte 2018 die Serie »Yellowstone« TV-Premiere. Die Großgrundbesitzer- und Viehzüchtersaga lockte mit weiten Landschaften, Pferden, frischer Natur, zeigte fleißige Kuhtreiber und mischte menschliche Abgründe mit relativ traditionellen Vorstellungen von Familie, Geschichte, Eigentum oder geschlechtlichen Rollenbildern. Mitten in Trumps Regierungszeit musste das wie eine Rosskur gegen die in Filmen und Serien oft vorherrschende »woke« Wachsamkeit wirken. Obwohl oder weil in der Serie der Ernst einiger der großen Western auch mit »Camp«-Elementen à la »Dallas« durchsetzt war, war die Aufnahme bei Kritikern wie Zuschauern zunächst verhalten. Von Staffel zu Staffel stiegen aber die Zuschauerzahlen. Eine Zeitlang war »Yellowstone« die erfolgreichste Serie im US-amerikanischen Fernsehen überhaupt – und in alldem mittendrin Kevin Costner in der Hauptrolle des knorrigen, großmütigen Patriarchen.

Statt sich nun mit dem Karriereschub und sprudelnden Einnahmen zu begnügen, gab ihm dieser Erfolg die Zuversicht zurück, sich wieder auf das eigene Filmschaffen zu konzentrieren und es noch einmal so zu machen wie damals, als er »Der mit dem Wolf tanzt« (1990) drehte. Diesmal träumte Costner von einer »amerikanischen Saga«, die es noch einmal unternimmt, von der entbehrungsreichen Expansion und gewaltsamen Besiedlung des nordamerikanischen Westens in einer Periode von 15 Jahren um den Bürgerkrieg herum (den 1860ern) zu erzählen. Ein Vorhaben, von dem er beteuert, es seit 1988 mit sich herumgetragen zu haben (und auffälligerweise sind alle vier Spielfilme unter Costners Regie Western, selbst der postapokalyptische »Postman« von 1997 stellte die Briefe zu Pferd zu).

Jetzt gibt es also diesen Film namens »Horizon«, und schon die erste Sequenz legt starke Grundlagen fest: Geometer stapfen durch karges Territorium, um es zu kartieren und im Interesse zukünftiger Eigentümer Pfähle in das weite Land zu schlagen. Doch von diesem Anfang an macht es die fanfarenhaft martialische, wirklich nervtötende Musik dem Zuschauer nicht leicht, die Kontrolle über seine Affekte abzugeben.

Dann gibt es noch viel mehr Landschaft (gedreht wurde in Utah), mehr Pferde, Planwagen und Langwaffen, Chaps und Quilts, ebenfalls viel fleißiges Volk, das Entbehrung, Zuversicht und Tatkraft kennt. (Auch sonst fällt die eine oder andere Überschneidung mit »Yellowstone« auf.) Männer sind andachtsvoll, mutig und knarzig, das Weibsvolk andachtsvoll oder grimmig. Prostituierte barsch, aber herzlich. Costner geht durchaus zartfühlend mit den Usurpatoren um, die indigene Bevölkerung kommt bei ihm dagegen noch immer nicht gut weg. Dafür wurden die schwarzen oder jüdischen Figuren mit größter Vorsicht konzipiert.

»Horizon« führt vier Stränge ­parallel, vielleicht ist es auch einer mehr, das ist schwer zu sagen. Denn oft drängen sich Nebensachen hinein, die vielleicht nur Bruchstücke eines größeren Zusammenhangs sind, der sich erst noch erschließen muss, schließlich ist »Horizon« als Dreiteiler konzipiert. Eine kleine Ortschaft wird von Indianern überfallen, die wenigen Überlebenden werden vom US-Militär gerettet. Ein Siedlertreck schlängelt sich auf einem strapaziösen Weg nach Westen. Es gibt eine Entführungs- und Vergeltungsgeschichte ohne viel Vorlauf, deren Sinn sich wohl erst in Teil drei erschließt.

Entscheidender ist allerdings, wie sehr diese Epik auch in Teil eins nie und an keiner Stelle einmal durchatmen darf. Auch Dramatik wird hier meistens im Sinne von Hektik verstanden. Überraschend ist dann aber doch, wie stark die Spannungskurven schlingern, wie klapprig dieses Erzählen insgesamt ist. Statt dessen werden geschichtsphilosophische Einsichten vorgetragen, die gar nicht erst versuchen, sich entlang der postkolonialen Maßstäbe der Gegenwart zu poetisieren: Das Rad der Geschichte gehorcht einer eigenen Physik, denn was man auch macht, »wir können an seinem Lauf so wenig ändern wie der Indianer das Wetter«.

In »Horizon« kann man dagegen Costner beim Überdehnen seiner titanischen Ambitionen zusehen. Das ist nicht besonders unterhaltsam, aber auf jeden Fall hochinteressant, zumal sich in US-Produktionen derzeit sonst nirgendwo weder so gewaltige Ambition noch ein vergleichbares Ausmaß an handwerklichem Ungeschick zeigt. Völlig offen liegt hier zutage, welche Kalkulationen es gab und mit wie vielen Fehleinschätzungen sie korrelieren. Überschätzt hat Costner sowohl die Sehnsucht eines Publikums nach traditionellen Werten und Tugenden als auch das mögliche Interesse daran, seine Obsession mit der US-Historiographie oder die Einschätzung, dass früher nicht alles nur schlecht gewesen war, zu teilen. Vielleicht auch seinen Status als Star und Zugpferd. Mit Sicherheit unterschätzt hat er aber die demographischen Realitäten an der Kinokasse. Denn als größte Illusion könnte sich erweisen, dass »Horizon« Zuschauer mobilisieren würde, die sonst nicht mehr so oft ins Kino gehen.

Doch immerhin hat hier einer unerschütterlich an das eigene Projekt geglaubt und damit noch einmal ein Motto aller Filmschulen dieser Welt unterstrichen: Du musst es wirklich wollen. Dafür hat Kevin Costner aber auch mit investierten 38 Millionen US-Dollar Privatvermögen persönlich geblutet, und das ist die eine Ebene, auf der sein Film ganz und gar unverlogen ist.

Angeblich gab es bei der Vorführung auf den Filmfestspielen in Cannes nach drei Stunden Laufzeit einen stehenden Applaus. Danach sind die Kinos aber trotzdem leer geblieben, »Horizon: An American Saga – Chapter 1« hat bisher, wie man so sagt, in Staub gebissen. Damit ist fraglich geworden, ob der bereits fertige zweite Teil überhaupt in die Kinos kommen wird.

»Horizon«, Regie: Kevin Costner, USA 2024, 181 Min., Kinostart: heute

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