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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 2 / Natur & Wissenschaft
AKW Fessenheim

»Wir kämpfen gegen einen Billigabriss«

Baden-Württemberg: Antiatomgruppe in Freiburg kritisiert unzureichende Pläne zur Demontage des AKW Fessenheim. Ein Gespräch mit Klaus Schramm
Interview: Gitta Düperthal
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Das AKW Fessenheim im Elsass soll einer Verwertungsanlage für radioaktive Abfälle weichen

Der französische Energiekonzern EDF plant mit einem »Technocentre« am Standort des Atomkraftwerks Fessenheim eine Verwertungsanlage für radioaktiven Schrott. Die soll 2031 in Betrieb gehen. Zunächst aber geht es in einem Bericht der französischen Untersuchungskommission zur grenzüberschreitenden »Öffentlichkeitsbeteiligung« um die geplante Demontage. Tonnen radioaktiver Abfälle müssen dabei entsorgt werden. Was ist Ihre Kritik am Bericht?

Nach dem französischen Bericht hinsichtlich des Abrisses des AKW Fessenheim fand keine der von der Anti-Atom-Gruppe Freiburg vorgebrachten Forderungen Gehör. Wir hatten gefordert: Keine radioaktiv belasteten Flüssigkeiten dürfen in den Rheinseitenkanal oder den Rhein eingeleitet, keine radioaktiven Gase in die Atmosphäre abgegeben werden. Das Fundament des AKW muss restlos entfernt und das mit Tritium kontaminierte Erdreich darunter ausgebaggert werden. Kein radioaktiv belastetes Metall aus dem Abriss des AKW darf ins Metallrecycling gelangen; das gesamte nichtmetallische Material muss gesondert gelagert werden, darf nicht auf Hausmülldeponien verbracht werden. Dessen weiterer Verbleib muss umfassend öffentlich dokumentiert werden. Aber in einer am 15. August veröffentlichten dpa-Meldung ist zu lesen: »Deutsche Einwände zu AKW Fessenheim finden Gehör«.

Wie bewerten Sie den deutschen Umgang damit?

Es verwundert nicht, dass sich die pseudogrüne Umweltministerin in Baden-Württemberg, Thekla Walker, über den Bericht freut: Deutsche Einwände seien aufgenommen worden. Auch beim Abriss des AKW Obrigheim verlief es nicht vorbildlich. Im Jahr 2020 kam zutage: Der radioaktive Deckel des Reaktordruckbehälters wurde heimlich in die USA transportiert. Zudem soll der als ungefährlich deklarierte radioaktive Betonschutt aus dem Abriss baden-württembergischer Atomkraftwerke auf Hausmülldeponien abgeladen werden. Wenn sich dagegen ein Landrat zur Wehr setzt – wie im Neckar-Odenwald-Kreis der Fall – wird er gefügig gemacht. Da war jetzt nichts Besseres zu erwarten.

Wie stellt sich die reale Lage am AKW-Standort Fessenheim aus Ihrer Sicht dar?

Bei den offiziell genannten 380.000 Tonnen Abrissmaterial wird das radioaktiv kontaminierte Erdreich unter dem AKW nicht mit eingerechnet. Rund 1.200 Tonnen hochradioaktiver Atommüll in Form von abgebrannten Brennelementen wurde bereits in die Plutoniumfabrik La Hague abtransportiert. Oft ist von 20.400 Tonnen radioaktivem Abrissmaterial die Rede: Eine gefährliche Verharmlosung! Das AKW wurde am 29. Juni 2020 stillgelegt. Bis 2022 wurden etliche Tonnen radioaktiv kontaminierte Borsäure in den Rheinseitenkanal eingeleitet. Offiziell soll der Abriss jedoch erst 2026 beginnen. Im Abrissplan des staatlichen französischen Energiekonzerns und AKW-Betreibers EDF werden wesentliche Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten. Beispielsweise soll das Fundament des AKW Fessenheim im Boden verbleiben; daraus folgt zwingend, dass das radioaktiv kontaminierte Erdreich unter dem AKW nicht ausgebaggert werden soll. Geplant ist ein Billigabriss.

Nötig sei, die Wasserqualität auch auf der deutschen Rheinseite zu kontrollieren, heißt im Bericht des Gremiums. Daher schlage die Kommission zusätzliche Kontrolleinrichtungen vor. Ist das keine gute Nachricht?

Nein, denn bislang wurde das Einleiten von etlichen Tonnen radioaktiv kontaminiertem Bor seitens deutscher Behörden ja stillschweigend geduldet.

Wie sind Ihre Forderungen politisch durchzusetzen?

Wir haben 2019 mit BUND, IPPNW und anderen Organisationen eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet – und in der Hinsicht im Dreyeckland in der Vergangenheit positive Erfahrungen gemacht: Das AKW-Projekt Wyhl konnte verhindert werden, weil sich eine Mehrheit der Bevölkerung hier aktiv dagegen stellte – gegen die damals regierende CDU. Selbstverständlich führen wir auch Gespräche mit dem Regierungspräsidium Freiburg und holen unabhängige wissenschaftliche Gutachten ein. Wir kämpfen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gewaltfrei gegen einen Billigabriss des AKW Fessenheim. Unsere Chancen wachsen, wenn mehr Druck aus der Bevölkerung entsteht.

Klaus Schramm ist ­Mitglied der »Anti-Atom-Gruppe Freiburg«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (22. August 2024 um 23:37 Uhr)
    Die Banden-Württembergische Regierung stellt sich auf den Standpunkt des 10-Mikrosievert-Konzepts (https://um.baden-wuerttemberg.de/de/presse-service/presse/pressemitteilung/pid/freigegebene-abfaelle-duerfen-auf-deponien-in-schwieberdingen-und-vaihingenenz). Dagegen ist aus naturwissenschaftlicher Sicht ziemlich schlecht zu argumentieren. Bei ensprechender Verdünnung lässt sich nicht mehr nachweisen, ob eine radioaktive Substanz einen Krebs verursacht hat oder nicht. Ein einzelnes zerfallendes Atom reicht zwar, aber wer hat schon jemals ein einzelnes Atom gesehen? Da ist man sofort zusammen mit Schrödingers Katze gefangen. Die Gretchenfrage wäre also: Halten sich die Franzosen auch an das 10-Mikrosievert-Konzept? (Ich setze stillschweigend voraus, dass das in BaWü geschieht). Was machen die Japaner? Die nutzen auch die Gratisdienste der Natur durch Externalisierung.

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