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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Garnisonkirche

Nationale Geisterhöhle

Die nächste preußisch-deutsche Baukopie steht: In Potsdam eröffnete der Bundespräsident den neu gebauten Turm der Garnisonkirche
Von Arnold Schölzel
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Im Hintergrund die Potsdamer Stadtschlosskopie und die Nikolaikirche

Die stets verschmähte Liebe der SPD zu den Hohenzollern-Kaisern und -Königen ist nie erloschen. Am Donnerstag flammte sie wieder einmal auf: In Potsdam wurde der wiedererrichtete Turm der Garnisonkirche eingeweiht, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt die Weiherede, die er in den Sätzen gipfeln und enden ließ: »Dieser Turm, das wiedererrichtete Herzstück der einstigen Garnisonkirche, ist die Chance, den vielen historischen Schichten eine neue, eine hellere, moderne Schicht hinzuzufügen. Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, dass dieser Ort etwas wird, was er über lange Strecken nicht war: ein Ort der Demokratie!«

Ein würdigerer Platz dafür ist in Zeiten von Kriegstüchtig- oder Wehrhaft-Werden der bundesdeutschen Demokratie kaum denkbar. Der Bau einer Disneyland-Kopie des Berliner Schlosses – vom Bundestag 2002 mit fast Zweidrittelmehrheit beschlossen, die Regierung wurde gerade von der SPD geführt – ist wenig geeignet: Das Schloss war bei den Berlinern nie beliebt, und seine jetzige Ausstaffierung mit den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz macht sie zu einer nationalen Ausstellungshalle für Raubkunst. Außerdem hatte Karl Liebknecht am 9. November 1918 vom Schloss aus die »freie sozialistische Republik Deutschland« ausgerufen, es ist also kommunistisch verseucht. Noch schlechter steht es um das Potsdamer Stadtschloss, dessen Neubau die SPD-geführten Landesregierungen Brandenburgs zwischen 2010 und 2014 eifrig betrieben: Außer den Wohnungen des Alten Fritz’ oder der Königin Luise hatte es nichts zu bieten.

Bleibt die Garnisonkirche. Bereits im Jahr 2000 hielt der damalige CDU-Innenminister Brandenburgs Jörg Schönbohm in der Zeitschrift des Deutschen Reservistenverbandes Loyal fest, dass sie für Kontinuität zwischen Preußentum und bundesdeutscher Demokratie steht. Das sei hier mit einem längeren Zitat gewürdigt: »Die Garnisonkirche stand und steht für christliche Tugenden, die auch in dem Glockenspiel ihren Ausdruck fanden und zugleich aufforderten, immer Treue und Redlichkeit zu üben (…) Preußische Herrscher haben aus Gehorsam gegen Gott und aus Respekt vor der Schöpfung ihre Regentschaft so verstanden, dass ihr Staat seinerzeit Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, sozialen Ausgleich und anständigen menschlichen Umgang in dem seinerzeit möglichen Maß verwirklichte. Das war modern und ist es bis heute geblieben. Die Grundrechte des Grundgesetzes stehen in historischer Kontinuität dazu (…) Meiner Meinung nach ist die preußische Staatsidee ohne das Christentum mit den Zehn Geboten und der Forderung nach Nächstenliebe gar nicht denkbar (…) Ich halte den Wiederaufbau des Turmes mit seiner Symbolkraft für eine Aufgabe von großer nationaler Bedeutung.« Nicht viel anders formulierte es Steinmeier 24 Jahre danach, sein Redenschreiber fügte lediglich SPD-gemäß relativierende Füllwörter ein: Kompliziert, umstritten, schwergetan, fordert uns heraus, schmerzhafte, unheilvolle Teile unserer Vergangenheit etc. Eine Dosis Geschichtsklitterung musste auch hinein: »Und dann, am 21. März 1933, missbrauchten die Nationalsozialisten die Kirche für ihre Inszenierung, den sogenannten ›Tag von Potsdam‹, den viele heute vor allem anderen mit der Garnisonkirche verbinden.« Missbrauch? Die so ruhmreiche Geschichte wurde fortgesetzt, eine echte Kontinuität ganz im »Geist von Potsdam«, der im Hofschranzen- und Militäraristokratennest dem »Geist von Weimar« widerstand. Die Kirche und ihr Turm stehen fürs Spucken auf die parlamentarische Republik. (Siehe auch die Randspalte)

Das wird gerade wieder aktuell, und insofern passt die Zeremonie vom Donnerstag in die Gegenwart. Und wieder einmal wird die längst wieder von Rechten als nationales Symbol besuchte »Kirche«, die im Volksmund einst »Geisterhöhle« hieß, von einem sozialdemokratischen Staatsoberhaupt beschirmt. Manches wiederholt sich, wenn sich die entscheidenden Verhältnisse nicht ändern.

Hintergrund:

Leitkultur

Die »Königliche Hof- und Garnison-›Kirche‹« zu Potsdam war nie eine Kirche im herkömmlichen Sinn. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. ließ sie von 1730 bis 1735 bauen, weil er einen Militärtempel haben wollte, welcher der »mehrer Befestigung der Krieges-Disciplin« dienen sollte. Auch die Nachfolger des »Soldatenkönigs« sahen in dem Gebäude einen überdachten Exerzierplatz. Daher galt in der Garnisongemeinde mehr als 200 Jahre lang nicht die zivile Kirchenverfassung, vielmehr hatte sie eine »Immediatstellung«, das heißt, der König ordnete hier an, was stattfand: Siegesfeiern, Fahnenweihen, militärische Gedenktage, Trauerfeiern für verstorbene Majestäten, Einstimmung der Potsdamer Regimenter auf den nächsten Waffengang usw.

Entsprechend sah die »Kirche« aus: Die Engel an der Orgel trugen Helme, auf dem Turm glänzte eine Kanonenkugel, Kanzel und Emporen waren mit Schwertern und Flammenvasen geschmückt.

Für die Konservativen und Faschisten der 1920er Jahre verkörperte das Gebäude den »Geist von Potsdam«, der dem »Geist von Weimar« widerstand. Am 21. März 1933 ging folgerichtig diese preußisch-deutsche Leitkultur offiziell die Symbiose mit dem deutschen Faschismus ein. Der neugewählte kommunistenfreie Reichstag wurde in der Garnisonkirche eröffnet. Reichspräsident von Hindenburg beschwor das alte Preußen, das »in Gottesfurcht durch pflichttreue Arbeit, nie verzagenden Mut und hingebende Vaterlandsliebe« groß geworden sei und reichte dem von ihm ernannten Reichskanzler Adolf Hitler die Hand. Dessen Propagandaminister Joseph Goebbels sorgte dafür, dass das Geläut der Garnisonkirche von da an als Pausenzeichen des Großdeutschen Rundfunks Verwendung fand. Bis 1945.

(as)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (23. August 2024 um 14:44 Uhr)
    Ein SPD-Staatspräsident als Schirmherr für ein geschichtlich schwer belastetes Bauwerk und ein »Verteidigungsminister« von der gleichen Partei, der die Deutschen wieder kriegstüchtig machen will, und zwar im Auftrage eines SPD-Bundeskanzlers. Welch Kontinuität, die von der SPD gebilligten Kriegskredite vor Beginn des Ersten Weltkrieges, über die ermordeten Demonstranten im Blutmai 1929 in Verantwortung eines SPD-Polizeipräsidenten in Berlin, der Verweigerung der SPD, mit der KPD eine Einheitsfront gegen die drohende Wahl des Faschisten Hitler zum Reichskanzler zu bilden bis hin zur SPD-Politik nach 1945, die letztlich zur Spaltung Deutschlands führte, reichen. August Bebel würde sich im Grab umdrehen, wüsste er, welche verheerende Entwicklung seine SPD genommen hat.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (22. August 2024 um 22:21 Uhr)
    Sehen wir doch das Positive: Man kann das Ding noch einmal wegsprengen, diesmal aber richtig. Genau wie den Kartätschenprinz, der seit 1993 wieder die Moselmündung verschandelt.

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