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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 4 / Inland
Compact-Verbot

In der Sache einig

Fall Compact: Begründung nach aufgehobenem Verbot vorgelegt. Richter bemängeln Informationslage
Von Kristian Stemmler
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Ob es eine persönlich Vendetta war, die Nancy Faeser zum Verbot von Compact bewegte? (Magdeburg, 17.8.2024)

Von einem »Sieg der Demokratie« redete vor gut einer Woche Jürgen Elsässer, Kopf des rechten Magazins Compact, weil sein Eilantrag gegen das Verbot des Magazins beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) von Erfolg gekrönt war. Doch die Freude über die Aussetzung des Verbots könnte von kurzer Dauer sein. Wie aus der Beschlussbegründung hervorgeht, aus der das juristische Fachportal Legal Tribune Online (LTO) am Donnerstag zitierte, störte sich der 6. Senat des Gerichts nicht daran, dass das Bundesinnenministerium das Vereinsrecht anwendete. Demnach reichen den Richtern lediglich die vorgelegten Informationen nicht aus, um die Verhältnismäßigkeit des Verbots beurteilen zu können.

Im Leitsatz seiner Entscheidung konstatiert das BVerwG laut LTO, dass ein Vereinsverbot als Instrument des »präventiven Verfassungsschutzes« auch gegenüber Medienorganisationen erlassen werden könne. Diese Argumentation könnte Compact zum folgenreichen Präzedenzfall machen und gibt prinzipiell der Argumentation des Ministeriums recht. Daneben bejaht das Gericht zudem die Vereinseigenschaft von Compact und bestätigt auch die vom Ministerium vorgebrachten Anhaltspunkte für eine Verletzung der »verfassungsmäßigen Ordnung«. In den Publikationen des Magazins scheine ein »völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept« auf.

Deutschen mit Migrationshintergrund werde etwa in Videobeiträgen von Martin Sellner, Chefideologe der faschistischen »Identitären Bewegung Österreich«, auf der Homepage von Compact nur ein rechtlich abgewerteter Status zugebilligt. Nach der von Sellner präsentierten »Politik der Deislamisierung« würden fremde Kulturen im öffentlichen Raum verboten und den »Fremden« würde auch untersagt, sich politisch im Land zu betätigen oder zu demonstrieren. »Im Grunde soll jegliches Fremdsein unterdrückt und verwehrt werden«, fasst das BVerwG zusammen. Indizien für eine Missachtung der Menschenwürde ergäben sich auch dadurch, dass Ausländern und Migranten pauschal negative Eigenschaften und ein Hang zur Kriminalität zugeschrieben werden.

Der 6. Senat verweist aber darauf, dass es für ein Verbot nicht ausreiche, wenn ein Verein sich kritisch oder ablehnend gegen die »freiheitlich demokratische Grundordnung« wendet. Selbst die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen überschreite als solche nicht die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung. Allerdings rechtfertige es der Gedanke des »präventiven Verfassungsschutzes«, Organisationen zu verbieten, die »kämpferisch-aggressiv« darauf ausgerichtet seien, »wesentliche Elemente der verfassungsmäßigen Ordnung zu zerstören«.

Dass das Magazin kämpferisch-aggressiv auftritt, bezweifelt das Gericht nicht. Dabei spiele auch die »Emotionalisierung« der Leser eine entscheidende Rolle. So werde die für erstrebenswert gehaltene »Volksgemeinschaft« in Compact-Artikeln ständig mit entsprechenden Formulierungen (etwa »Asylbombe«, »Tsunami«, »Invasion«) als in ihrer Existenz bedroht beschrieben.

Dennoch äußert das Gericht Zweifel daran, ob die Menschenwürde verletzende Passagen derart prägend sind, dass sie ein Vereinsverbot rechtfertigen. Bei Compact ergäbe sich kein eindeutiges Bild. Von außen ähnele es anderen Nachrichtenmagazinen. In den reißerischen Titeln könnte, anders als nach Ansicht des Ministeriums, noch keine Delegitimierung des Systems gesehen werden. Inhaltlich gebe es neben Beiträgen, die eine aggressiv-kämpferische Haltung gegen die verfassungsmäßige Ordnung offenbarten, auch eigenständige andere Schwerpunkte im Magazin. So würden Filmkritiken, Buchbesprechungen oder Beiträge zu sportlichen Ereignisse abgedruckt, die in weiten Teilen nicht zu beanstanden seien.

»Insgesamt reichen dem 6. Senat wohl schlicht die ihm vorliegenden Informationen nicht aus«, fasst LTO zusammen. Die Beschlussbegründung spreche dafür, dass das Innenministerium im Hauptsacheverfahren gute Erfolgsaussichten habe. Dieses soll bereits am 12. und 13. Februar 2025 in Leipzig stattfinden. Die Hoffnung des Compact-Chefredakteurs Elsässer, zwei bis drei Jahre in Ruhe weiterzuarbeiten, die er nach der Eilentscheidung formuliert hatte, könnte sich als Irrtum herausstellen.

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