Provisorische Luftschutzbunker
Von Reinhard LauterbachIm russischen Grenzbezirk Kursk setzt die ukrainische Armee nach eigenen Angaben ihren Vormarsch fort. Die Kiewer Armeeführung nannte am Donnerstag die Namen weiterer Ortschaften, die ihre Truppen angeblich eingenommen hätten. Die russische Seite bestreitet in der Regel die Stabilität dieser Kontrolle; es sei häufig so, dass kleine ukrainische Gruppen in ein Dorf eindrängen, dort ihre Fahne anstelle der russischen hissten, Videos aufnähmen und wieder abzögen. Unabhängig zu überprüfen sind diese Angaben nicht.
Dies gilt ebenso für Berichte russischer Zivilisten darüber, dass ukrainische Truppen und ausländische Söldner in den besetzten Gebieten wahllos Zivilisten ermordeten. Entsprechende Zeugnisse stützen sich auf Aussagen von Bewohnern der evakuierten russischen Dörfer, die angeblich Zeugen solcher Massaker geworden sind oder die Toten am Straßenrand hätten liegen sehen. Es gibt auch Berichte darüber, dass Fähren, mit denen nach der Zerstörung der Brücken über das Flüsschen Sejm Zivilisten evakuiert würden, von Drohnen angegriffen würden. Dass die Aktivität ukrainischer Drohnen im nördlichen Frontabschnitt erheblich sein muss, geht unabhängig davon aus einer Anordnung der Kursker Gebietsverwaltung hervor. Sie lässt seit einigen Tagen in Kursk und in der AKW-Wohnstadt Kurtschatow kleine Splitterschutzunterstände aus Beton an Bushaltestellen und ähnlichen Orten, wo sich viele Menschen aufhalten, aufstellen.
Von intensiven Bombardements durch die ukrainische Luftwaffe berichtete auch deren Kommandeur Mikola Oleschtschuk und behauptete, vor den Gleitbomben könne sich niemand verstecken. Er bezog dies allerdings auf die gegnerischen Soldaten. Die russischen Behörden riefen im besetzten Gebiet verbliebene Landsleute auf, sich nicht von der Ukraine in deren Hinterland evakuieren zu lassen; Kiew versuche so lediglich, Menschen für künftige Gefangenenaustausche in die Hand zu bekommen. Russische Spitzenpolitiker haben zuletzt mehrfach erklärt, mit dem Angriff auf den Kursker Bezirk sei die Grundlage für Verhandlungen mit der Ukraine über irgend etwas entfallen.
Russische Militärkorrespondenten berichten unterdessen, dass der Angriff im Kursker Gebiet an Tempo verloren habe. Durch russische Drohnenangriffe seien viele schwere Waffen zerstört worden, darunter auch Panzer britischer Herkunft und deutsche Flugabwehrbatterien des Typs »Iris-T«. Deutlich wird inzwischen, dass die Ukraine ihr entscheidendes operatives Ziel im Gebiet Kursk nicht erreicht hat: Russland zu zwingen, Truppen von der Front im Donbass abzuziehen. Nach Schätzungen westlicher Experten sind maximal 5.000 Soldaten von den relativ ruhigen Frontabschnitten bei Charkiw und Cherson nach Kursk verlegt worden. An der Zentralfront im Gebiet Donezk dagegen setzen die russischen Truppen ihren Vormarsch nach Westen offenbar relativ ungehindert fort.
Ukrainische Medien sprechen von einem Tempo, wie es seit den ersten Kriegswochen im Frühjahr 2022 nicht mehr vorgekommen sei. Das ukrainische Portal Strana.news berichtete unter Berufung auf Quellen in der Armee, dass sich drei Kompanien eines Bataillons kollektiv geweigert hätten, Befehle zum Aushalten in schwieriger Situation zu befolgen. Die Einheiten hätten statt ihrer Sollstärke von 100 Mann pro Kompanie nur noch 10–15 Soldaten gehabt. Russland sei an Soldaten um den Faktor 30 überlegen, bei Artillerie um den Faktor 3. Inzwischen ist die Front etwa zehn Kilometer von dem Straßen- und Bahnknotenpunkt Pokrowsk entfernt. In den dazwischen liegenden Ortschaften lassen die ukrainischen Behörden die Lebensmittelgeschäfte schließen, um die Bewohner zum Abzug zu nötigen.
Auf der politischen Ebene zeichnet sich ein Konflikt zwischen Kiew und Berlin um die Finanzierung der weiteren Militärhilfe für die Ukraine ab. Während Bundesfinanzminister Christian Lindner weitere Finanz- und Waffenhilfe aus den Erträgen eingefrorener russischer Vermögenswerte finanzieren – also das Geld im Westen belassen – will, verlangt die Ukraine, dieses Geld zu ihrer freien Verfügung zu bekommen. Bundeskanzler Olaf Scholz versucht in diesem Streit offenbar zu beschwichtigen. Bei einem Besuch in Moldau sagte er, die Bundesrepublik werde die Ukraine weiter unterstützen, solange dies nötig sei. Er nannte dabei keinerlei Obergrenzen, wie sie Lindner formuliert hatte.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. August 2024 um 22:15 Uhr)Zunächst eine Klarstellung: Es wird behauptet, Russland sei zahlenmäßig um den Faktor 30 bei Soldaten und um den Faktor 3 bei der Artillerie überlegen. Wenn wir unter Artillerie schwere Geschütze verstehen, halte ich den Faktor 3 aufgrund der mir vorliegenden Berichte für unzutreffend. Meinen Informationen zufolge, unter Berücksichtigung der Munitionsbestände, dürfte die Überlegenheit eher bei einem Faktor von 10 oder sogar höher liegen. Es ist wenig überraschend, dass westliche Berater die Ukraine dazu verleiten, sich durch sinnlose Aktionen wie die Kursker-Aktion ablenken zu lassen, während Russland im Donbass vorrückt. Diese Maßnahmen zielen vor allem darauf ab, die mediale Berichterstattung in den USA zu beeinflussen und die weit entfernten, desinteressierten Wähler zu beruhigen. Dass die Kämpfe bereits auf russischem Gebiet stattfinden, klingt gut und beruhigt den Großteil der uninformierten US-Demokraten. Ob die ukrainischen Truppen dort früher oder später besiegt werden, interessiert kaum jemanden. Hinzu kommt, dass das Leidensvermögen der slawischen Bevölkerung auf beiden Seiten nicht mit westlichen Maßstäben zu messen ist. Wäre dies der Fall, wäre dieser Konflikt längst beendet. Aus diesem Grund wird er wohl bis zum bitteren Ende geführt werden. Was die Finanzierung der Ukraine betrifft, stoßen sowohl die EU als auch Deutschland an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Angesichts der geopolitischen Lage befindet sich die EU eindeutig im politischen und wirtschaftlichen Niedergang. Wie könnte man den Menschen glaubhaft machen, dass die Ukraine unser Prestigeprojekt, die Nordsee-Pipeline, sprengt und Deutschland sie dennoch bedingungslos unterstützt?
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