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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Jazz

Mit sakraler Inbrunst

Eine James-Baldwin-Hommage der US-amerikanischen Musikerin Meshell Ndegeocello
Von Andreas Schäfler
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Frei wie ein Vogel: Meshell Ndegeocello

James Baldwins 100. Geburtstag am 2. August wurde auch in den hiesigen Feuilletons groß gefeiert. Spätestens seit der Black-Lives-Matter-Bewegung wird das Werk des schwarzen Schriftstellers und Aktivisten wieder breit wahrgenommen. Zu seiner Neuentdeckung hat auch Raoul Pecks filmische Collage »I Am Not Your Negro« von 2017 entscheidend beigetragen, und gerade schickt sich René Aguigahs neuer Porträtband »James Baldwin. Der Zeuge« (C. H. Beck) an, die Kunde wirkungsvoll weiterzutragen.

Dass jetzt mit Meshell Ndegeocellos »No More Water: The Gospel of James Baldwin« auch eine musikalische Baldwin-Hommage erschienen ist, lag nahe: Black Music spielte eine wichtige Rolle sowohl im Leben als auch im Werk dieses Autors. Als Baldwin Anfang der 1950er Jahre im Chalet eines Freundes im schweizerischen Leukerbad einen Nervenzusammenbruch auskurierte und an seinem ersten Roman »Go Tell It on the Mountain« schrieb, legte er vorzugsweise Platten von Bessie Smith auf – der Blues als Inspirationsquelle und Überlebensstrategie. Mit Ray Charles war er in späteren Jahren eng befreundet, Aretha Franklin und Nina Simone stand er ebenfalls nah. Letzterer hat wiederum Meshell Ndegeocello 2012 ihr Album »Pour une âme souveraine« gewidmet.

Für einen Baldwin-Tribut ist sie auch deshalb prädestiniert, weil sie dessen Scharfsinn und Unverblümtheit in ihrer eigenen Arbeit auf verblüffende Weise nahekommt. Initial für die aufmüpfige Komponistin, Sängerin und E-Bassistin war 2016 eine der jährlichen James-Baldwin-Ehrungen in Harlem. Dort entdeckte sie den bahnbrechenden Essayband »The Fire Next Time«, den sie bis heute als spirituelle Notration immer im Gepäck hat. Die Lektüre dieser Bibel der Bürgerrechtsbewegung überbot alles, was Ndegeocello bis dahin in Sachen Bewusstseinsschulung von Vordenkern wie Greg Tate gelernt hatte.

»No More Water: The Gospel of James Baldwin« ist wie eine Prozession in einer schwarzen Kirche aufgebaut – Tauferneuerung, Glaubensbekenntnis, Lobpreis, Auferstehung. Das macht das Album bisweilen auch musikalisch zu einer recht sakralen Angelegenheit. Meshells früheres Patchwork aus Zaubergrooves diversester Genres ist dem flächigen Sounddesign von Koproduzent und Gitarrist Chris Bruce gewichen. Dafür wird mit Inbrunst gesungen (u. a. von Justin Hicks und Kenita-Miller Hicks) und hingebungsvoll rezitiert (von der Dichterin Staceyann Chin und dem Autor Hilton Als). Und der eine und andere Zornesausbruch darf sich dann schon auch entladen: in »The Price of a Ticket« etwa, als Protestsong im 1960er-Jahre-Geist von Dylan und Odetta angelegt, oder in »Pride«, einer Rückbesinnung auf Baldwins komplizierte Identität, die er zu seiner Zeit wohl nie vollständig ausleben konnte. Seine ganze Vita glich ja einem Spießrutenlauf zwischen religiösem Fanatismus und dem Bekenntnis zur Homosexualität, zwischen dem Rassismus in den USA und der zweimaligen Selbstexilierung in Frankreich, zwischen politischer Ächtung und literarischem Erfolg.

So wie Baldwin in seinen provokanten Texten diese Antagonismen vor dem Hintergrund der afroamerikanischen Geschichte thematisierte, setzt sich Meshell Ndegeocello als queere Musikerin seit Karrierebeginn mit schwarzem Selbstbewusstsein zwischen Unterdrückung und Befreiung auseinander. Debütiert hat sie 1993 mit den so versponnenen wie bezaubernden »Plantation Lullabies« – als erste Künstlerin auf Madonnas Maverick-Label. Es folgten ein Dutzend weiterer Alben, die Meshell mehr und mehr als eigenständige Künstlerin zwischen Pop und Jazz etablierten, 2021 bekam ihr »Better Than I Imagined« einen Grammy für den besten Rhythm-&-Blues-Song.

Dass nun gerade die Musik von »No More Water« oft Klangteppichfunktion hat, leuchtet unmittelbar ein. Vordergründig soll ja Baldwins Message zur Sprache kommen, wie er sie selbst in durchaus beeindruckender Rhetorik über die Rampe zu bringen verstand. Und das funktioniert hier vor allem in den zwei, drei Manifesten, zu deren fast nacktem Vortrag nur sparsam geklöppelt oder durch ein Saxofon ausgeatmet wird – sind es Predigten oder vielmehr Parodien darauf? Jedenfalls fügen sich die repetitiven Keyboard- und Percussionmuster insgesamt dann doch zum betörenden Hörbild. Man mag es bedauern, dass Ndegeocellos behender und aufmüpfiger E-Bass sowenig zum Zug kommt. Aber unberechenbar ist diese Künstlerin immerhin geblieben, und ihre inhaltliche Radikalität hat sie auch mit dem Labelwechsel zu Blue Note nicht abgelegt.

Für Anfang November sind sogar ein paar Deutschlandkonzerte geplant, in Mannheim sowie je zweimal in Köln und Berlin – wo sie übrigens 1968 als Michelle Johnson geboren wurde. Ihren Künstlernamen nahm sie schon mit 17 an, und das Swahili-Wort Ndegeocello bedeutet »frei wie ein Vogel«.

Meshell Ndegeocello: »No More Water: The Gospel of James Baldwin« (Blue Note/Universal)

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