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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Stadtkultur

Görlitz am Rande: Die Bürde der Vergangenheit

Von Bernhard Spring
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Eine Stadt mit vielen Geschichten: Görlitz

Lieber Freund, nun wollte ich mir Görlitz doch einmal anschauen. Du weißt schon, Görliwood, wie es hier genannt wird: die Stadt, in der »Der Vorleser«, »Inglourious Basterds« und das »Grand Budapest Hotel« gedreht wurden. Und viele andere Filme.

Görlitz also. Ein Traum aus Renaissance, Barock und Jugendstil, mit vielen imposanten Bürgerhäusern, Kirchtürmen und gewundenen Gassen, die so putzige Namen haben wie Karpfengrund, Helle Gasse oder Verrätergasse – alle mit ihrer eigenen Geschichte. Überhaupt hat beinah jedes Haus etwas zu erzählen, weil da irgend jemand mal drin wohnte oder im Keller ein einzigartiges Gewölbe ist. Das alles ist sehr interessant, aber auch ein bisschen ermüdend, vor allem bei warmem Wetter. Manchmal kann es auch eine Bürde sein, wenn so viel Vergangenheit überdauert hat.

Auch die Stadt als Ganzes hat viele Geschichten. Sie liegt in Niederschlesien und in der Oberlausitz, war preußisch und ist jetzt sächsisch. Für jede dieser Verortungen gibt es ein Museum. Besonders fein ausstaffiert ist das schlesische, das sich über gleich drei Häuser zieht. Am Ende wird die Nazizeit gezeigt, und auf großen Schautafeln ist zu sehen, welche Schlesier damals im Widerstand waren. Über die schlesischen Nazis erfährt man deutlich weniger. Ich glaube, sie waren damals in der Unterzahl.

Es gibt noch ein Lausitz-Museum, aber im polnischen Teil der Stadt. Man muss viele Restaurants, Zigarettenläden und Eiswagen links liegen lassen, um bis dorthin zu gelangen. Ich bin leider nicht so willensstark, was nicht weiter schlimm ist, denn Görlitz hat noch viele andere Geschichten zur Auswahl. Und auch solche, die gar nicht so gern erzählt werden. Die vom Heiligen Grab zum Beispiel, einem täuschend echten Nachbau des Jerusalemer Originals, errichtet in der tiefsten Renaissance. Ein reicher Görlitzer hat es nach einer Pilgerreise erbaut – die er angetreten hatte, weil er eine Frau vergewaltigt haben soll. Ein komisches Gefühl, dafür Eintritt zu bezahlen und dieses Bußwerk zu bestaunen.

Aber zum Glück hat Görlitz schon zwei Häuser weiter eine ganz andere Geschichte, und ich wollte ja auch noch Görliwood entdecken. Na, darüber muss ich dir dann wohl im nächsten Brief berichten.

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