75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. September 2024, Nr. 219
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 12 / Thema
Prostitution

Von Pornhub zu Onlyfans

Pornographie und Plattformökonomie. Die Digitalisierung der Prostitution (Teil 2 und Schluss)
Von Peter Schadt
12-13.jpg
Geschätzt ein Viertel bis ein Drittel des Datenverkehrs im Internet steht im Zusammenhang mit Pornographie (Aufnahme aus einem Internetcafé in Frankfurt am Main, 10.11.2006)

Die Grenzen zwischen digitaler Prostitution und Pornographie sind fließend. Mit der Pornographie gibt es nämlich ein Geschäft, das zwar keinen Körperkontakt gegen Geld beim Endkunden bedeutet, aber genau den von denjenigen verlangt, die sich dabei filmen lassen, um so ein Video zu produzieren, das dann monetarisiert werden soll. Das hier also sexuelle Handlungen gegen Geld ausgeführt werden, ist die Gemeinsamkeit; dass diese aber nicht am Kunden, sondern – je nach Video – nur an sich selbst oder eben an anderen durchgeführt werden, der Unterschied.

Wenn Feministinnen wie Sheila Jeffreys argumentieren, dass die Pornographie in ihren Begriff der Prostitution vollständig integriert ist, »weil sie sich von anderen Formen der Prostitution nur dadurch unterscheidet, das sie gefilmt wird«¹, dann wissen sie doch selbst auch um eine Differenz von beidem, wenn sie auch den Striptease in Klubs darunter subsumieren, mit dem Argument, dass »in den entsprechenden Klubs Prostitution« ebenfalls stattfindet, die Autorin also ausgerechnet die Differenz von Strip und Prostitution unterstellt, um dann auf die räumliche Nähe zu verweisen. Gleiches gilt aber auch für die Autorinnen, die darauf bestehen, dass Camsex und Pornos wegen des fehlenden direkten Körperkontakts nicht zur Prostitution zu zählen sind – um nur zwei Seiten später davon zu schreiben, dass »Camsex durch (die) mediale Distanz risikoärmer ist als herkömmliche Prostitution«.²

Die öffentliche Debatte, ob und inwiefern Pornos nun unter die Prostitution zu subsumieren oder davon getrennt zu betrachten sind, dass also beide Seiten gerne entweder nur die Identität beider oder nur deren Differenz gelten lassen, verdankt sich weniger der Schwierigkeit, das eine vom anderen zu unterscheiden, als der offensichtlich moralisch motivierten Anstrengung, das ganze entweder vom Vorwurf des gekauften Sex freizusprechen – mit entsprechenden Hinweisen auf die vielfältigen »Amateurvideos«, die ganz ohne finanzielles Interesse entstanden sein sollen, oder umgekehrt die Pornographie als nichts anderes denn als Variante der Prostitution darzustellen, was dann gerne mit entsprechenden empirischen Zahlen unterlegt wird, was die Überschneidung des Personals sowohl vor als auch hinter der Kamera angeht. So »pendeln« viele Prostituierte zwischen digitalen und analogen »Formen« der Prostitution, bzw. zwischen dem Verkauf von Cam- und realem Sex.³

Am Ende gestehen manche Autorinnen sogar ganz offen, dass sie Unterscheidungen, die sie selbst kennen, nicht gelten lassen, weil sich an die begriffliche Unterscheidung ein moralisches Urteil heften könnte.⁴ Ein Bekenntnis dazu, dass die Unterscheidung zwischen Sex gegen Geld unmittelbar mit Kunden oder eben mit anderen Pornodarstellern durchaus unterschieden werden kann, aber je nach sittlichem Urteil eben eher nach der Seite der Gemeinsamkeiten oder Unterschiede betrachtet werden soll.

Die klassischen Plattformen …

Je nach Schätzung werden ein Viertel bis ein Drittel des Datenverkehrs im World Wide Web durch das Herunterladen und Streamen von Pornographie verursacht. Die ökonomischen Kennziffern dieses Geschäfts sind weitgehend nicht erfasst, die Schätzungen unzuverlässig. So geht die Frankfurter Rundschau von einem Umsatz der Branche zwischen einer und 100 Milliarden US-Dollar aus.⁵ Klar dagegen ist, dass sich Darsteller und Produzenten von Pornos darüber beschweren, dass zu viel kostenlose Pornographie im Internet zu finden sei und dieses Gratisangebot das Geschäft kaputtmache, während aber genau damit die großen Plattformen ihr Geschäft machen. Klar ist ebenfalls, dass sich der Konsum von Pornos ganz erheblich ins Internet verschoben hat und damit einiges an inzwischen archaisch anmutenden Geschäftsmodellen der Branche zerstört wurde. Heute sind die entscheidenden Akteure:

1.) die Plattformen selbst. Ein aktueller Gigant des Pornogeschäfts ist das Unternehmen Aylo, das bis August 2023 noch Mindgeek hieß und dem Plattformen wie »Pornhub«, »Youporn«, »Redtube«, »Brazzer« und andere gehören. Aktuelle Geschäftszahlen von Aylo bzw. Mindgeek sind schwer zu finden. Auf Wikipedia findet sich die Angabe von 1.400 Mitarbeitern (Stand 2016) sowie ein Jahresumsatz von 460 Millionen Euro (Stand 2015). Die gleiche Zahl findet sich auch für das Jahr 2018.⁶ Das Geschäftsmodell basiert darauf, dass vor jedem »Clip«-Werbung – zumeist für Bezahlinhalte – geschaltet wird. Diese lässt sich das Unternehmen entweder von den Werbekunden monetarisieren, oder es bietet gleich selbst die Bezahlangebote als zusätzliche, kostenpflichtige Inhalte auf der eigenen Seite, sei es in Form von Livecams, vollem Zugang mit höherer Qualität, Sexchats oder ähnlichem an.

2.) Die Plattformen produzieren dabei selbst keine Pornos, sondern bieten die Möglichkeit, eigene Pornos hochzuladen. Die Monetarisierung dieser Inhalte von Pornoproduzenten hängt dabei an der Klickrate der Anzeige, der Anzahl der Aufrufe des eigenen Videos und dem Herkunftsland der Zuschauer. Verlässliche und aktuelle Zahlen zu den so möglichen Einnahmen für die Produzenten sind kaum zu finden. Die lautstarken Beschwerden aus der Pornoindustrie, die Plattformen zerstörten das Geschäft, haben ihren Ursprung aber genau in dieser Möglichkeit von Youporn und Co., ihre Marktmacht gegen die Produzenten auszuspielen und sich nicht an den Kosten der Produktion zu beteiligen. Auch der Soziologe Sven Lewandowski, der sich schwerpunktmäßig mit Pornographie beschäftigt, betont im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, es gehe vor allem um die »intermediäre(n) Vermittler« und nicht die Darsteller.⁷

3.) Dieses Geschäftsmodell hat Folgen für die Frauen, da die potentiellen Kunden mit einem möglichst breiten Angebot an kostenlosem Content gelockt werden. Entsprechend wenig wählerisch sind die Plattformen und entsprechend häufig die Skandale, wobei Urheberrechtsverletzungen noch zu den harmloseren Delikten zählen. So werden regelmäßig Videos hochgeladen, die Sex mit minderjährigen Mädchen zeigen. Ein stetig wiederkehrender Skandal, der als »Ausnahme« zum allgemeinen Geschäftsmodell dazugehört, sind Videos, die ohne das Wissen der Gefilmten ins Internet gestellt werden; Videos, die entweder im Einvernehmen, aber nur für den privaten Gebrauch entstanden sind oder gleich ganz illegal angefertigt wurden. Dazu gehören auch »Rachepornos«, die Männer gezielt hochladen, um sich an ehemaligen Partnerinnen zu rächen. Einmal im Netz, zirkulieren sie auf Dauer in der Welt der digitalen Plattformen.

Derartige rechtliche Fragen sind auch ein Problem für die Plattform und wirken sich auf deren Stellung zum Finanzkapital aus. So haben Visa und Mastercard bereits 2020 das Flaggschiff von Mindgeek, »Pornhub«, für Zahlungen gesperrt und entsprechend empfindlich getroffen, was das Unternehmen aber nach einiger Zeit rückgängig machen konnte. Als Netflix dann auch noch im August 2023 die Dokumentation »Money Shot« ausstrahlte, in der auch die Skandale um den Konzern Thema waren, wurde Mindgeek am nächsten Tag in Aylo umbenannt. Die Firma war zuvor von einem Private-Equity-Unternehmen namens Ethical Capital Partners aufgekauft worden. Zu den finanziellen Bedingungen des Deals wurde nichts bekannt.⁸

… und ihr aktueller Herausforderer

»Onlyfans« präsentiert sich im Gegensatz zu den »klassischen« Pornoplattformen ohne Werbung für sexuelle Dienstleistungen und verbietet seinen »Creatorinnen« sogar, sexuelle Dienstleistungen »offline« über ihre Kanäle anzubieten. In der Anmutung den klassischen sogenannten sozialen Medien nachempfunden, besteht das Businessmodell von Onlyfans darin, dass Kunden die kostenpflichtigen Inhalte von einzelnen Frauen abonnieren können und das Unternehmen sich selbst mit 20 Prozent des Umsatzes an diesen Transaktionen beteiligt. Das ist bisher die einzige Monetarisierung, eine Werbefunktion hat die Seite nicht, obwohl das sowohl für Social Media als auch für Pornoseiten bisher die Haupteinnahmequelle war.⁹

Die durchschnittliche Creatorin kommt damit auf ein Monatseinkommen von 180 US-Dollar. Der Umsatz der Social-Media-Plattform lag im Jahr 2022 laut Statista bei 5,6 Milliarden US-Dollar. 2022 waren 1,5 Millionen Creatorinnen auf der Plattform angemeldet. Das einzelne Frauen mit Umsätzen von bis zu 20 Millionen US-Dollar immer wieder in den Medien präsentiert werden, liegt vor allem daran, dass auch Prominente medienwirksam einen Kanal auf Only­fans betreiben und sich einer bereits etablierten »Fanbase« bedienen können. Für die wenigen Stars und die vielen Gelegenheitssternchen gilt dabei insgesamt, dass ihre Tätigkeit auf der Plattform, unabhängig von der investierten Zeit, als selbständige Tätigkeit und als frei von jeder Sozialversicherung gilt. Hinzu kommen einige sehr spezifische »Gefahren« der Branche: Sogenannte »Capper« schneiden das Material für Abonnentinnen illegal mit und bestücken damit die klassischen Pornoseiten¹⁰ und unterminieren damit nicht nur das Geschäftsmodell, sondern gefährden auch die bedingte Anonymität, die das Zurschaustellen vor einer begrenzten Öffentlichkeit bietet. Die Abhängigkeit der Frauen von der Plattform wurde deutlich, als Onlyfans 2018 – ebenfalls aufgrund der Drohung einiger Finanzinstitute, wegen des expliziten Inhalts die Zusammenarbeit aufzukündigen – kurzzeitig ankündigte, die Seite nicht länger für sexuelle Inhalte zur Verfügung zu stellen.

Mit der Digitalisierung wächst auch der Druck auf die Prostituierten. Die »Flexibilität«, Dienstleistungen digital anzubieten, ermöglicht die geringfügige Beschäftigung zwischen anderen Notwendigkeiten, von der Pflege bis zur Kindererziehung, und schafft so gleichzeitig mit dem Interesse, sich offline möglichst nah an den Orten der sonstigen Verpflichtungen zu prostituieren oder sich digital in der eigenen Wohnung zu zeigen, eine immer größere Auflösung der Trennung zwischen privatem und beruflichem Leben.¹¹ Arbeitssoziologisch findet damit in der Prostitution die Subjektivierung der Arbeit statt, die auch aus dem kapitalistischen Alltag jenseits von Bordell und Pornostudio bekannt ist.

Wer sich daher allzu begeistert von dem neuen »Selbstbewusstsein« zeigt, mit dem junge Frauen sich bei Onlyfans zeigen, und deren »Empowerment« betont, sollte dabei nicht vergessen, dass die Identifikation mit der Tätigkeit, auf die man in erster Linie aus der Notwendigkeit des Geldverdienens verwiesen ist, bei derlei Jobs immer mehr zur Bedingung wird, damit es auch klappt: Wer seinen »Fans« nicht überzeugend präsentieren kann, dass eine junge Frau gar nichts lieber macht, als sich als »Wichsvorlage« zu präsentieren, der verfügt nicht über die »Authentizität«, für die Abonnenten bezahlen. Dass diese Sorte »Emotionsarbeit«¹², die die Pornostars und -sternchen auf Plattformen wie Onlyfans leisten müssen, in der akademischen Debatte dann teilweise noch als eine Art Gütesiegel für »Sexarbeit« gilt, die man nicht schnöde auf Körperfunktionen reduzieren dürfe, erscheint dann als Farce zur Tragödie.

Staatlich betreut

Da auch die Natur des Geschäfts der Prostitution – also die Mobilisierung eines Willens zum Sex durch Geld, auf das alle angewiesen sind –, potentiell gewaltsam ist, erfordert es entsprechend staatliche Betreuung. Seit dem Jahr 2002 gilt in Deutschland deshalb das Prostitutionsgesetz (ProstG). Insofern sind die Paragraphen im Strafgesetzbuch modifiziert, die die Ausbeutung von Prostituierten (Paragraph 180a) sowie die Zuhälterei (Paragraph 181a) verbieten.

Diese gelten jetzt nur noch, wo eine Ausbeutung von Prostituierten stattfindet. Damit unterscheidet der Gesetzgeber zwischen solchen Prostituierten, die dem Gewerbe mit freiem Willen nachgehen, und solchen, bei denen eine »wirtschaftliche oder persönliche Abhängigkeit« geschaffen wurde, die den Willen der Prostituierten negiert. Eine solche Abhängigkeit erkennt der Staat dort, wo die Prostituierte nicht mehr frei über die Vornahme sexueller Handlung entscheiden kann. Verboten ist also der offensichtliche Zwang, nicht aber der stumme Zwang der Verhältnisse. So stellt der Staat sicher, dass die Würde des Menschen (Paragraph 1 GG) und die Entfaltung der Persönlichkeit (Paragraph 2 GG) auch dort gilt, wo Menschen gegen Geld ihren Körper feilbieten. Wo diese Würde aufhört und die Ausbeutung anfängt, ist dann Sache der Gerichte und für »Laien« oft uneinsichtig: So liegt eine »Ausbeuterische Zuhälterei« (Paragraph 181a, Abs. 1 Nr 1. StGB) vor, wenn ein Zuhälter die Prostituierte als »Einnahmequelle« ausbeutet – was natürlich nicht missverstanden werden soll als ein staatliches Verbot, ein Geschäft mit den Huren zu machen. Die Prostutuierte muss also wollen können, was sie muss, um an Geld zu kommen, und darf nicht alternativlos müssen, was sie nicht will.

Teil des Wirtschaftslebens

Mit dem ProstG sind die Zeiten vorbei, in denen die Zuhälterei grundsätzlich unter den Paragraphen 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches subsumiert und damit als sittenwidrig angesehen wurde und entsprechende »Verträge« für null und nichtig erklärt wurden. Dagegen hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass die Prostitution der bürgerlichen Sittlichkeit alles andere als fremd und sowieso »Teil des gemeinschaftlichen Wirtschaftslebens« im Sinne von Paragraph 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist. Ganz praktisch entscheidet der Staat damit die innerfeministische Debatte, ob Prostitution »Sexarbeit« sei oder nicht, indem er sie mit seiner Gewalt dazu macht.

So liegt nun auch beim Tausch Sex gegen Geld ein Vertrag vor (Paragraph 1 ProstG), der von der staatlichen Gewalt als rechtsgültig anerkannt wird und dessen Einhaltung die Vertragspartner einklagen können. Der Paragraph legt auch die Reihenfolge der Bezahlung fest: Erst nach der »Dienstleistung« hat die Prostituierte einen Anspruch auf Bezahlung. Das verdankt sie – wie sollte es auch anders sein – der staatlich anerkannten Würde der Prostituierten. Damit die gewahrt ist, darf auf keinen Fall eine rechtlich anerkannte Verpflichtung auf Sex einklagbar sein. Da das Gesetz Prostitution aber als Dienstleistung definiert, können unzufriedene Freier selbstverständlich gegen Prostituierte klagen – was in regelmäßigen Abständen auch passiert und zu Schlagzeilen wie »Kein Orgasmus – Freier verklagt Prostituierte« (Winnender Zeitung, 13.2.2020) führt. So schützt der Staat mit seinem Grundgesetz die Prostituierten vor einer Vorauskasse und definiert umgekehrt das Bezahlen von Geld nach einer Dienstleistung als legale Transaktion freier Bürger; die etwas anderen praktischen Früchte einer staatlich gewährten Würde.

Entsprechend der Natur der Sache sieht der Gesetzgeber auch die Notwendigkeit, die sonst gültige Weisungsbefugnis des Vorgesetzten in diesem Falle einzuschränken (Paragraph 3 ProstG): Wie sie ihre Dienstleistung »vollbringt«, liegt ganz bei der Prostituierten.

Rechte und Pflichten

Seit 2016 kommt das ProstSchG hinzu. Das »Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen« schützt diese Personen, indem es ihnen eine ganze Reihe an Pflichten auferlegt: Sie müssen sich anmelden (Paragraph 3–6). Weil es gar nicht zu übersehen ist, wie sehr die Prostituierten bei dieser sehr »besonderen« Transaktion den Freiern ausgeliefert sind, erlaubt er den Frauen ein Pseudonym zu benutzen, um sich zumindest jenseits der willentlichen Auslieferung an die Freier Übergriffen im restlichen Privatleben zu entziehen (Paragraph 5). Die Prostituierten sollen und müssen sich über ihr Gewerbe informieren lassen (Paragraph 7–10). Auch die Zuhälter haben Pflichten: Sie müssen sich anmelden (Paragraph 12) und dafür bestimmte Kriterien erfüllen (Paragraph 14).

Zum Schutz der Prostituierten wird auch der Sex ohne Kondom verboten (Paragraph 32). Dass die Zuwiderhandlung gegen diese Paragraphen mit Geldbußen von bis zu 10.000 Euro gegen die »Dienstleisterin« und bis zu 50.000 Euro gegen den Freier geahndet werden kann, zeigt nicht nur, dass der Staat damit rechnet, dass diese Sorte Sex sowohl nachgefragt als auch – gegen entsprechenden Aufpreis – angeboten wird. Es zeigt auch, dass der Staat diese Entscheidung nicht einfach der freien Kalkulation seiner Bürger überlässt, sondern auf dem Standpunkt der Volksgesundheit steht: Die produktive Vernutzung der Bevölkerung für die Mehrung des nationalen Reichtums geht in Ordnung, die unproduktive soll möglichst unterbunden werden. Zur Verhinderung von Seuchen, die durch ungeschützten Geschlechtsverkehr nicht nur den konkreten, sondern den ganzen Volkskörper bedrohen, muss sich der Wille zu zusätzlichem Geschäft der nationalen Gesundheit unterordnen. So schützt der Staat sein Interesse daran, dass die Prostitution dem Wachstum der Nation nicht schadet.

Anmerkungen

1 Sheila Jeffreys: Die industrialisierte Vagina. Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels. Hamburg 2014, S. 11

2 Nicola Döring: Prostitution in Deutschland: Eckdaten und Veränderungen durch das Internet. In: Zeitschrift für Sexualforschung 27 (2014), S. 99–127, hier S. 124 u. 126

3 Julia Wege: Biografische Verläufe von Frauen in der Prostitution. Eine biografische und ethnografische Studie, Berlin 2021, S. 13

4 Vgl. Jeffreys: Die industrialisierte Vagina (wie Anm. 1), S. 18

5 Vgl. Jakob Schlandt: Die Ökonomie der Pornografie, Frankfurter Rundschau, 23.1.2019

6 Vgl. Laurent Schmit: Der enthüllte »Pornokönig«, reporter.lu, 3.6.2021

7 Sven Lewandowski: »Ohne Bezahlung geht es auf Dauer nicht«, Süddeutsche Zeitung, 24.3.2021

8 Pornhub-Besitzer MindGeek an kanadisches Unternehmen ­Ethical Capital verkauft, MarketScreener, 16.3.2023

9 Deborah Domnik: A Glimpse Behind the (Pay-)Wall. Arbeitsbedingungen im Kontext digitalisierter Sexarbeit am Beispiel von OnlyFans, SDT Discussion Papers (2923), Nr. 2, S. 53

10 Vgl. ebd., S. 54

11 Heinrich Tiemann: Digitalisierung der Arbeit, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2016, S. 2

12 Domnik (Anm. 9), S. 47

Teil 1 der Serie erschein in der gestrigen Ausgabe: Sex sells.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Einer der wohl bekanntesten Orte »klassischer« Prostitution in D...
    22.08.2024

    Sex sells

    Ein florierendes Geschäft – aber nicht für alle. Die politische Ökonomie der Prostitution (Teil 1 von 2)