Gegründet 1947 Dienstag, 5. November 2024, Nr. 258
Die junge Welt wird von 2974 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 14 / Medien
Öffentlich-rechtliches Fernsehen

Die Oberlehrer von der ARD

Am Sonntag hielt das Erste zur besten Sendezeit eine unangenehme Überraschung bereit: Kinder, denen altkluge Witzchen in den Mund gelegt worden waren
Von Alexander Reich
14 medien.jpg
»Die größten Sorgen bereiten meiner Generation dabei unter anderem …« (»Tagesschau« mit Noemi)

Die Verwirrung war groß in der »›Tatort‹-Gemeinde«, als im emblematischen Vorspann am Sonntag, 20.15 Uhr, Kinderaugen auftauchten. Statt des angekündigten Münsteraner Ermittlerduos polterte dann die Komikerin Carolin Kebekus ins Bild und moderierte eine Viertelstunde lang Kindersketche, die den verblüfften Krimifans etwas sehr Wichtiges vor Augen führen sollten. Die lieben Kleinen »sind unsere Zukunft«, dozierte die Kölner Ulknudel. »Und stören dürfen sie verdammt noch mal auch. Selbst um 20.15 Uhr im Ersten!«

Bei manchem Zuschauer wird die Verwirrung angesichts der parodistisch angelegten Nummern mit den Heranwachsenden schnell in Frust umgeschlagen sein. Altklug redeten Siebenjährige, die das »Morgenmagazin« nachspielten, von einer »Parabel« in einem »Klassiker« der Kinderliteratur. In einer vorgeblich kindgerechten Ausgabe der »Tagesschau« erörterte eine langhaarige Noemi die »prekäre Situation« in einer Kölner Kita oder erklärte mit Verweis auf eine »aktuelle Studie«, dass »Jugendliche so pessimistisch wie noch nie in die Zukunft« blicken würden: »Die größten Sorgen bereiten meiner Generation dabei unter anderem Krieg in Europa, die Spaltung der Gesellschaft und der Klimawandel.«

Welche Kinder reden so? Es war, als hätten die obersten Bedenkenträger des öffentlich-rechtlichen Fernsehens das Konzept der »Mini Playback Show« für sich entdeckt.

Wobei natürlich absolut nichts gegen das Anliegen spricht, Kinderarmut zu bekämpfen. Oder Schulwege sicherer zu machen. Es wird sich auch schwerlich jemand finden, der viel dagegen hat, »Grünflächen, die aussehen wie Müllhalden«, zu entrümpeln. Wer von den hochbezahlten Programmchefs ist nur auf die absurde Idee gekommen, dem angeblich so hochgeschätzten Publikum mit oberlehrerhaften Witzchen Selbstverständliches nahezubringen?

Als die Viertelstunde überstanden war, erklärte die ARD, die Initiative sei vom WDR ausgegangen. Der dortige »Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung«, Jörg Schönenborn, bekannt als der Mann vor den Säulendiagrammen an Wahlabenden, erklärte im unnachahmlichen Duktus: »Kindern eine Stimme zu geben und sie zum selbstbestimmten Handeln zu befähigen und zu ermutigen, ist uns schon immer ein großes Anliegen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Rechte von Kindern stärker in den Fokus zu nehmen, dazu wollen wir mit unseren Möglichkeiten und zahlreichen Angeboten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beitragen.« Noch jemand wach?

Wäre die Programmdirektion ernsthaft an einer Verbesserung der Lebenssituation abgehängter Kinder interessiert, hätte sie statt der blöden »Tatort«-Wiederholung zum Beispiel einen Dokumentarfilm über den Alltag armer Familien ins Programm heben können. Der hält schließlich Thrill und Galgenhumor genug bereit, die Sendeanstalt wäre nebenbei noch ihrem Bildungsauftrag nachgekommen. Aber so etwas wäre den Verantwortlichen wohl zu radikal.

Ihre lehrreiche Viertelstunde gipfelte in einem hirnverbrannten Evergreen. »Ohuhohuhooh« quiekte Herbert Grönemeyer zum Ausklang: »Gebt den Kindern das Kommando! Sie berechnen nicht, was sie tun.« Wobei wohl niemandem aufgefallen ist, dass die lieben Kleinen, die in dem Song die Weltherrschaft übernehmen sollen, für absolut dumm verkauft werden. Von Gut und Böse haben sie keinen Schimmer, und »kennen keine Rechte / keine Pflichten«. Also auch keine Kinderrechte.

Nun gut. Bild hat’s gefallen. Kebekus habe extra ihre Babypause unterbrochen, »um sich mit einer eindrucksvollen Botschaft direkt an die Nation zu wenden«, teilte das Fachblatt für liberale Hetze gegen Armut und Ausländer mit. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst war völlig aus dem Häuschen: »Super, was @daserste gerade gemacht hat!« xte der CDU-Mann: »Anliegen von Kindern auf dem besten Programmplatz. (…) #kinderstoeren gerne öfter!«

Bei allen, die noch ein paar mehr Tassen im Schrank haben, wurde der Sache ein Bärendienst erwiesen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!