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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Ankara und Bagdad

Antikurdische Allianz

Türkei baut Kooperation mit Irak gegen PKK aus und eskaliert Krieg in Autonomer Region
Von Tim Krüger
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Kritik erloschen: Erdoğan wurde im Frühjahr von Shia Al-Sudani in Bagdad empfangen (12.4.2024)

Mit einer gemeinsamen Pressekonferenz haben der irakische Außenminister Fuad Hussein und sein türkischer Amtskollege Hakan Fidan am 15. August eine weitere bilaterale Absichtserklärung unterzeichnet. Das Memorandum wurde nach zweitägigen Beratungen zwischen hochrangigen Delegationen beider Nachbarstaaten in der türkischen Hauptstadt Ankara verabschiedet. Es stellt eine Rahmenvereinbarung für den Ausbau der Kooperation im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich sowie der Terrorismusbekämpfung dar. Fidan bezeichnete das Abkommen als einen »wichtigen Meilenstein in den bilateralen Beziehungen« beider Länder. Ein weiteres zwischen dem türkischen Verteidigungsminister Yaşar Güler und dem irakischen Verteidigungsminister Thabet Mohammed Al-Abbasi vereinbartes Abkommen sieht die Einrichtung »gemeinsamer Koordinierungs- und Ausbildungszentren« vor. Im Rahmen der Vereinbarung soll unter anderem der türkische Truppenstützpunkt in ­Baschika zur Ausbildung irakischer Soldaten umfunktioniert werden. Die Türkei nutze den strategisch gelegenen Stützpunkt nur wenige Kilometer von der Provinzhauptstadt Mossul seit 2016 unter anderem für die Ausbildung sunnitischer, mit Ankara verbündeter Milizionäre.

Laut Presseberichten soll ein weiteres Zentrum in Bagdad eröffnet werden. Es wäre das erste Mal, dass türkische Soldaten Posten in der irakischen Hauptstadt beziehen würden. »Wir glauben, dass wir durch diese Zentren unsere gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus verstärken werden«, zitierte die Nachrichtenagentur Kurdistan 24 Außenminister Fidan. Seit vergangenem Dezember sucht die türkische Regierung im Kampf gegen die PKK-Guerilla in den Bergen der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak den Schulterschluss mit Bagdad. Die irakische Regierung hatte in den vergangenen Jahren die türkischen Alleingänge im Nordirak wiederholt und in teilweise scharfem Tonfall als Völkerrechtsbrüche verurteilt und die Türkei zu einer Einstellung ihrer Militäroffensiven aufgerufen. Vor dem Hintergrund beidseitiger wirtschaftlicher Großprojekte, vor allem der im Frühjahr 2023 verkündeten »Iraq Developement Road« einer neuen Handelsroute, die den im Bau befindlichen Hafen in Basra mit der 1.200 Kilometer entfernten türkischen Grenze verbinden soll –, scheint Bagdad nun eine 180-Grad-Wende hingelegt zu haben.

Bereits im März dieses Jahres stufte der irakische Nationale Sicherheitsrat die PKK als »verbotene Organisation« ein. Einen Monat später besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erstmals seit 2012 wieder die irakische Hauptstadt. Bei einer gemeinsamen Presskonferenz mit dem irakischen Premierminister Mohammed Shia Al-Sudani verkündete Erdoğan seine Überzeugung, dass die neuerliche Kooperation beider Staaten »der Präsenz der PKK im Irak« ein Ende setzen würde. Am 1. August dann ordnete ein irakisches Gericht die Schließung der Freiheits- und Demokratiepartei der Jesiden PADÊ, der südkurdischen politischen Bewegung Tevgera Azadî sowie der irakischen politischen Partei Demokratische Kampffront wegen vermeintlicher Beziehungen zur Arbeiterpartei Kurdistans PKK an. Mit dieser politischen Rückendeckung hob die türkische Armee ihre seit Juni laufenden Militäroffensiven in den Bergregionen im irakisch-türkischen Grenzgebiet auf eine neue Stufe: Erstmals stieß sie mit Panzerfahrzeugen und schwerem Gerät auch in die Städte und Dörfer der Region Dohuk vor. Laut Augenzeugenberichten unterhält die türkische Armee mittlerweile auf mehreren Verbindungsstraßen in den umkämpften Gebieten Checkpoints und führt Ausweis- und Fahrzeugkontrollen durch.

Während Bagdad und Ankara ihre historische Annäherung feiern, eskaliert der Krieg im Nordirak weiter. Die türkische Armee verlegt weiterhin jeden Tag zusätzliche Truppen und Gerät in die Region und baut ihre Stützpunkte weiter aus. Wie viele Truppen sich mittlerweile in den besetzen Gebieten aufhalten, lässt sich nicht ermitteln. Doch auch vor Angriffen über 200 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, wird kein Halt gemacht. So bombardierte eine türkische Kampfdrohne am Freitag in der Region Süleymania ein Fahrzeug der Produktionsfirma Chatr. Die zwei kurdischen Journalistinnen Gülistan Tara und Hêro Bahadîn wurden an Ort und Stelle durch den Einschlag der Rakete getötet. Ein weiterer Journalist wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« verurteilte den Angriff auf die drei Medienschaffenden, die unter anderen für den kurdischen Fernsehsender Sterk TV berichteten, als »abscheuliches Verbrechen gegen kurdische Journalisten«. Der Angriff scheint dabei keine Ausnahme zu sein. Bereits am 8. Juli wurde der 27jährige Journalist Murad Mirza Ibahim durch einen türkischen Drohnenangriff in der Region Şengal getötet.

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