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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 4 / Inland
Attentat in Solingen

Gelegenheit zur Hetze

Nach tödlichem Messerangriff in Solingen: Politik diskutiert Messerverbot und Abschiebungen
Von Kristian Stemmler
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SEK-Einsatz in einer Unterkunft für Geflüchtete am Sonnabend in Solingen

Nach dem tödlichen Angriff auf Besucher des Solinger Stadtfestes am Freitag abend quollen die sozialen Netzwerke über von rassistischer Hetze. Und das schon, bevor klar war, dass der Anschlag, bei dem drei Menschen getötet und acht verletzt wurden, mutmaßlich von einem syrischen Asylsuchenden begangen wurde. »Beendet endlich den Irrweg der erzwungenen Multikulturalisierung! Schützt Eure Kinder!« schrieb etwa der AfD-Politiker Björn Höcke, Spitzendkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Thüringen am kommenden Sonntag, bei X. Die offizielle Politik goss zusätzlich Öl ins Feuer, fachte die Debatten um ein Messerverbot und die Forcierung von Abschiebungen weiter an.

So kündigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) an, die Bundesregierung werde darüber beraten, »wie wir den Kampf gegen diese Art der Messerkriminalität weiter voranbringen«, wie er gegenüber Bild am Sonntag erklärte. Bisher hatte die FDP die Vorschläge von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Verschärfung des Waffenrechts abgelehnt. Faeser hatte bereits vor dem Angriff in Solingen angekündigt, »in Kürze« einen Gesetzesvorschlag zur Ausweitung von Messerverboten vorlegen zu wollen. Nach dem Anschlag kündigte die Ministerin gegenüber der Funke-Mediengruppe eine Bekämpfung des Islamismus »mit aller notwendigen Härte« an.

SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte gegenüber Bild am Sonntag, »dieser wahrscheinliche Terrorangriff« zeige, dass Deutschland »ein Problem mit Messergewalt« habe. Klingbeil forderte ein nahezu komplettes Messerverbot auf Straßen. Für ihn gebe es keinen Grund, »warum Menschen Stichwaffen im Alltag mit sich führen«. Es müssten »alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit Messer von Deutschlands Straßen und Plätzen verschwinden«. Dem schloss sich Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) an. »Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Niemand muss in Deutschland in öffentlichen Räumen Stich- oder Hiebwaffen tragen«, sagte er laut dpa.

CDU-Chef Friedrich Merz nutzte den Angriff, um die Migrationspolitik der Ampelregierung zu kritisieren. Man habe der Koalition in den vergangenen zwei Jahren mehrfach angeboten, gemeinsam zu Lösungen zu kommen, aber alle Vorschläge seien abgelehnt worden, schrieb Merz auf seiner Homepage. Kanzler Olaf Scholz (SPD) müsse mit der Union jetzt schnell Maßnahmen treffen, »die neue Terroranschläge verhindern«. Nach Syrien und Afghanistan könne abgeschoben werden, »weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf«, so der CDU-Mann. Auch CSU-Chef Markus Söder forderte konsequentere Abschiebungen von Geflüchteten, unter anderem nach Syrien. Zudem verlangte er mehr Befugnisse für die Polizei, um etwa in Fußgängerzonen anlasslos kontrollieren zu können.

Am Freitagabend hatten Tausende in der Solinger Innenstadt das 650jährige Jubiläum der Stadt gefeiert, als der Täter vor einer Bühne plötzlich auf Umstehende einstach. Dabei tötete er zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56jährige Frau. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Am Sonnabend stellte sich der mutmaßliche Täter der Polizei. Laut Spiegel handelt es sich um einen 26jährigen Syrer, der Ende Dezember 2022 nach Deutschland gekommen sein soll. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beanspruchte indes laut dpa den Messerangriff für sich. Der Angreifer habe dem IS angehört und die Attacke, die einer »Gruppe von Christen« gegolten habe, aus »Rache für Muslime in Palästina und anderswo« verübt, hieß es in einer über das IS-Sprachrohr Amak verbreiteten Mitteilung. Aus Ermittlerkreisen wurde darauf hingewiesen, dass der IS in der Vergangenheit öfter Taten für sich reklamiert habe, ohne dass es für eine wirkliche Zusammenarbeit mit dem Täter belastbare Hinweise gegeben habe.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (25. August 2024 um 23:26 Uhr)
    Für die staatstragenden Parteien ist die jetzige Messerstecherei recht vorteilhaft. Einerseits reist ein ganzer Stab an Politprominenz vor Ort und zeigt die gewohnte Betroffenheit, was nix anderes als Populismus beim Volk verkörpert, was gerade jetzt bei den anstehenden Landtagswahlen wichtig ist. Zum Andern sind derlei Verbrechen geeignet, um die staatliche Repressionsschraube noch weiter anzuziehen. Eigentlich reicht doch die jeweils vorhandene Gesetzeslage völlig aus, um kriminelle Akte wie in Solingen geschehen angemessen zu bekämpfen. Dass, egal, wie hart auch immer, neue Gesetze ausfallen, ein Restrisiko an Verbrechen geschehen, dürfte klar sein. Der Staat wird niemals völlig Kriminelle dingfest machen, kann schreckliche Taten nie völlig verhindern, daher sollten nicht stets neue Gesetzesverschärfungen verabschiedet werden, die dann lediglich dem Staat mehr Macht verleihen, keinesfalls die Sicherheit wesentlich erhöhen, wie uns stets weis gemacht wird.

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