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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 6 / Ausland
Großbritannien

Labour laufen Mitglieder davon

Großbritannien: Zehntausende haben Partei im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt. Auch Zustimmung zu Premier Starmer im Sinken
Von Dieter Reinisch
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Wo sind sie nur? Starmer besucht die Metropolitan Police in London (9.8.2024)

Der britische Premierminister Keir Starmer kostet seinen Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen weiterhin aus, obwohl er nur aufgrund des völligen Zusammenbruchs der konservativen Wählerschichten eine deutliche Mehrheit der Sitze erreichte. Sein Stimmenanteil lag unter jenem seines Vorgängers als Labour-Chef, Jeremy Corbyn. Trotz der Parlamentsmehrheit ist Starmer unter den Parteimitgliedern und der Bevölkerung zunehmend unbeliebt. Laut den kürzlich veröffentlichten Mitgliederzahlen ist Labour zum ersten Mal seit 2015 unter die Marke von 400.000 gesunken. Im Jahr 2023 verlor die Partei demnach 37.000 Mitglieder. Ende des Jahres waren noch 370.450 Personen Mitglied der Sozialdemokraten.

Das sind fast 200.000 weniger als zum Höchststand 2017, als eine Euphorie durch Labour zog und viele Menschen wegen Corbyn in die Partei eintraten. Unter seiner Führung traten so viele bei Labour ein, dass sich die Zahlen verdoppelten: von 193.754 Mitgliedern im Jahr 2014 auf 388.262 ein Jahr später. Starmers Zahl liegt also immer noch über jener vor der Corbyn-Ära. Trotz des großen Rückgangs ist die Partei gemessen an der Mitgliederzahl weiterhin die größte in Großbritannien.

Für die linke Kampagnengruppe Momentum, die Corbyn unterstützte und so zum großen Aufschwung beitrug, liegt der Rückgang darin begründet, dass »die Führung es nicht geschafft hat, die transformativen, populären Maßnahmen zu ergreifen, die für den Wiederaufbau Großbritanniens nach 14 Jahren konservativer Sparpolitik erforderlich seien«, wie ein Sprecher am Freitag gegenüber der Plattform Labour List erklärte. Der Ausschluss nahezu der gesamten Parteilinken, darunter Corbyn selbst, seit der Übernahme durch Starmer, hätte zum Sinken der Mitgliederzahlen geführt. »Pluralismus, Parteidemokratie und kritisches Denken«, seien daher in Labour bedroht, betonte die Kampagnengruppe.

Labour selbst sieht die Entwicklung naturgegeben anders. Ein Sprecher kommentierte die veröffentlichten Mitgliederzahlen mit den Worten: »Unter Keir Starmers Führung hat sich Labour verändert und die Politik in den öffentlichen Dienst zurückgebracht und sich auf den Wiederaufbau unseres Landes konzentriert.« In der Stellungnahme vom Freitag verwies die Partei auf den »historischen Sieg bei den Parlamentswahlen«, der nur durch »die harte Arbeit und Begeisterung unserer Parteimitglieder« errungen werden konnte. Die Sozialdemokraten behaupten auch, »seit den Parlamentswahlen sind Tausende Menschen der Labour-Partei als neue Mitglieder beigetreten, da die Labour-Regierung unter Keir Starmer tiefgreifende Veränderungen für das Land bewirkt«. Eine Aussage, die bislang nicht verifiziert werden kann.

Knapp 50 Tage im Amt, ist die Öffentlichkeit hinsichtlich der Leistung der Regierung zunehmend gespalten. Etwa ein Viertel der Befragten ist seit dem Wahlsieg positiver eingestellt, während 29 Prozent negativer eingestellt sind, berichtete der Observer vergangenes Wochenende. Vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Gesundheit habe Labour an Zustimmung eingebüßt. Die persönliche Bewertung Starmers, die nach seinem Wahlsieg sprunghaft ins Positive anstieg, ist auf ihr Vorwahlniveau zurückgefallen. So beträgt seine Nettozustimmungsrate minus sieben Prozent und somit zehn Punkte weniger als Anfang August und 26 Punkte weniger als seine erste Zustimmungsrate als Premierminister.

Die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst und die Beilegung von Arbeitskämpfen durch die neue Regierung wurden am positivsten bewertet, die Kürzung der öffentlichen Ausgaben durch Finanzministerin Rachel Reeves als größter Negativpunkt angesehen. Laut einer Ipsos-Umfrage von Mitte August glaubt auch unter Starmer mehr als die Hälfte der Briten, »dass sich das Land in die falsche Richtung entwickelt«. Um dies zu ändern, glaubt Labour auf Law-and-Order- und migrationsfeindliche Politik setzen zu müssen. Innenministerin Yvette Cooper kündigte vergangene Woche an, 100 neue Grenzbeamte einstellen zu wollen, um »Abschiebungen drastisch zu beschleunigen«.

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