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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Soziale Notlage

Trugschluß in Kenia

Nach Unruhen im Juni hat Präsident Ruto Opposition in die Regierung eingebunden. Die Probleme bleiben
Von Georges Hallermayer
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Riots: Protestler unter Tränengasbeschuss in kenianischer Hauptstadt (Nairobi, 12.Juli)

In Kenia ist Ruhe eingekehrt. Dennoch bleibt sie fragil, auch wenn Präsident William Ruto einschneidende Gesetze annulliert und die Streichung der Subventionen für Lebensmittel- und Benzinpreise zurückgenommen hat. Der Chef der nationalen Polizei, Japhet Koome, wurde am 12. Juli gefeuert, und tags zuvor ist praktisch das gesamte Kabinett, bis auf Rutos Vize und den Außenminister, entlassen worden.

Elf neue Minister, unter anderem aus der Partei des bei der Präsidentschaftswahl 2022 unterlegenen Rivalen Raila Odinga (ein ehemaliger Premierminister), sollten einen Neuanfang versuchen. Doch die durch diesen Coup geschwächte Oppositionskoalition »Azimio la Umoja – One Kenya Coalition Party« unter Führung Odingas gab sich unbeeindruckt: »Das Regime bleibt, absolut nichts wird sich ändern«, kommentierte sie die Maßnahme. Seinen größten parlamentarischen Widersacher lobte Ruto weg in die Diplomatie, indem er Odingas Kandidatur als Kommissionspräsident der Afrikanischen Union unterstützte.

Fakt ist: Die Widersprüche, die zum Aufruhr am 18. Juni geführt hatten, bleiben. Nur ein Funken, und das Feuer könnte von neuem auflodern. Also versuchte die Regierung, das Haushaltsloch von umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar zu stopfen: 49 Änderungen in der Steuergesetzgebung sollten dazu ab September beitragen, wie Finanzminister John Mbadi am 17. August im privaten Citizen TV erklärte. Den befürchteten Funken schlug dann Kenias höchstes Gericht: Der Supreme Court erklärte vergangenen Dienstag den vom Parlament einstimmig annullierten »Finance Act of 2023« für verfassungswidrig.

Doch auch der Alltag hält die Bevölkerung ruhig. Aktuell wächst vor allem die Angst vor der über den Kontinent schwappenden Welle der Infektionskrankheit Mpox, auch wenn das bisherige Dutzend von Verdachtsfällen negativ getestet wurde, wie Gesundheitsministerin Deborah Barasa Mulongo erklärte. Über Radio, TV und Plakate wird über das Ansteckungsrisiko und Meldestellen aufgeklärt. Eine weitere Alltagssorge ist die überbordende Kriminalität: In der Hauptstadt Nairobi treibt sich seit vergangener Woche eine Bande aus dem Zuchthaus ausgebrochener Verbrecher herum, angeführt von einem Massenmörder. 42 Frauen hat dieser dem Gerichtsurteil zufolge getötet. Laut Presseberichten werden fünf Polizisten angeklagt, bei dem Ausbruch geholfen zu haben. Die Polizei bittet nun die Bevölkerung mitzuhelfen und bietet eine »beachtliche Belohnung«.

Da weder Steuererhöhungen noch die Einbeziehung von übergelaufenen Oppositionspolitikern zur Regierung die Not für breite Bevölkerungsschichten lindern dürften, setzt die »neue« Regierung auf ihre Kommunikationsstrategie, um so negativen Berichten vor allem in den sozialen Medien entgegenzuwirken. Dabei wirbt sie bei Bloggern und Influencern um Verständnis für Projekte wie das Finanzgesetz oder für die Kooperation mit China beim Ausbau erneuerbarer Energiestrukturen.

Das zeigt gewisse Wirkungen. Wohl um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, beschloss die Gewerkschaft KAWU (Kenya Aviation Workers Union) vergangene Woche, ihren geplanten Streik am Flughafen »Jomo Kenyatta« zu verschieben. Mit dem Arbeitskampf wollte sie gegen Entlassungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen protestieren, die mit der Übertragung der Nutzung des internationalen Airports an die Gruppe des indischen Multimilliardärs Gautam Adani zu befürchten sind.

Der Streik ist – wie andere Protestaktionen – nur aufgeschoben. Das beginnende neue Schuljahr dürfte mit einem landesweiten Ausstand der Lehrer beginnen: Die Kenya National Union of Teachers hat ihre Mitglieder aufgerufen, am Eröffnungstag die Arbeit niederzulegen. Im Mittelpunkt der Aktion steht die Forderung nach besseren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen in dem unterfinanzierten System überfüllter Klassen. Seit Jahren wird die Notlage der Lehrer ignoriert oder nur halbherzig angegangen – wie es auch in vielen anderen Bereichen der sozialen Infrastruktur üblich ist. Man muss kein Prophet sein, um das Scheitern der neoliberalen »Sparpolitik« des US-Alliierten William Ruto vorauszusagen.

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