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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Antifaschistischer Widerstand

Die bessere Zukunft

Schwindende Kraft und doch ungebrochen: Die Aufzeichnungen des 1945 hingerichteten österreichischen Kommunisten Johann Schmidt
Von Dieter Reinisch
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Mahnmal im ehemaligen KZ Mauthausen (16.5.2021)

Im Februar 1942 schlug die Gestapo in Berlin zu: Im Visier waren die Mitglieder einer weitverzweigten Widerstandsgruppe, deren Kopf der Metalldreher Robert Uhrig war, ein erfahrener KPD-Funktionär. Uhrig hatte bereits eine zweijährige Haftstrafe von 1934 bis 1936 abgesessen. Nach seiner Entlassung nahm er die Untergrundtätigkeit wieder auf und organisierte zahlreiche Betriebszellen – nicht nur in Berlin. Die Uhrig-Organisation hatte Verbindungen bis ins annektierte Österreich.

Vermutlich hatte die Gestapo im Frühjahr 1941 zwei Spitzel im Umfeld Uhrigs positioniert. Etwa zur selben Zeit begann, vermittelt durch den seit 1926 in Berlin lebenden Wiener Ingenieur Leopold Tomschik und dessen Tiroler Freundeskreis, unter ehemaligen Mitgliedern der sozialdemokratischen Naturfreunde, der Aufbau von Kontakten im Tiroler Unterland. Zeitgleich mit den Verhaftungen in Berlin schlug die Gestapo auch in Kitzbühel und der Tiroler Hauptstadt Innsbruck zu. Im Juni 1942 kam es auch zu Verhaftungen in Kufstein.

Inhaftiert wurde im August auch Johann Schmidt, der sich damals als Soldat der Wehrmacht in Estland befand. Schmidt wurde am 26. Februar 1901 in Wien geboren. Aus den ersten drei Jahrzehnten des Lebens dieses österreichischen Kommunisten ist wenig bekannt. 1919 zog er als Arbeitssuchender nach Kufstein, Anfang der 1930er Jahre verbrachte er beruflich einige Zeit in Zürich. In den Verhören nach seiner Verhaftung im August gab er an, bis zu seiner Zeit in der Schweiz »völlig uninteressiert an Politik« gewesen zu sein. Aufgrund der schweren Arbeit hätte er dafür keine Zeit gehabt. Von anderen Arbeitssuchenden habe er »kommunistische Schriften kennengelernt«. Er nahm an Versammlungen und Demonstrationen teil und trat 1932 der Partei bei.

In Kufstein war zu jener Zeit auch Adele Stürzl aktiv. Sie stammte ebenfalls aus Wien und war Anhängerin der Sozialdemokratie, mit der sie 1931 brach. Die Fabrikarbeiterin schloss sich der neugegründeten Ortsgruppe der KP an. Ihre Tätigkeit setzte sie auch nach dem Verbot der Arbeiterorganisationen durch das austrofaschistische Regime fort. Schmidt hatte sich im Untergrund an der Arbeit dieser Gruppe beteiligt. Während seines Heimaturlaubs im August 1942 wurde er, denunziert von der Ehefrau eines Arbeitskollegen, festgenommen und war anschließend in Dachau, Friedrichshafen, Wien und Graz inhaftiert.

Seine Tagebücher aus den Jahren 1939 bis 1942 blieben bei der Hausdurchsuchung unentdeckt und sind nun von Gisela Hormayr zugänglich gemacht worden. Sie seien »entstanden unter außergewöhnlichen Bedingungen und im Bewusstsein des Risikos einer Entdeckung«. Wie sie schreibt, verraten die Tagebücher »umfassende historisch-politische und geographische Kenntnisse, die er sich im Laufe der Jahre angeeignet hat«. Der Verfasser setzte sich insbesondere mit der Nazipropaganda auseinander und zeigte sich von einem Sieg der Sowjetunion überzeugt.

Zusätzlich zu den Kriegstagebüchern zieht Hormayr die briefliche Korrespondenz zwischen Schmidt und seiner Frau Anna in Haft heran. Obwohl Lücken in den Briefen bestehen – viele blieben nicht erhalten, andere fielen der Zensur zum Opfer –, gelingt es ihr, ein informatives Bild zu zeichnen. In der Darstellung kontextualisiert Hormayr die Dokumente. Anschaulich gelingt ihr das etwa, wenn sie dem Vorwurf gegen Schmidt nachgeht, ausländische Radiosender gehört zu haben, und diese Radiosender, die auf österreichischem Gebiet zu empfangen waren, vorstellt.

Nach zwei Jahren qualvoller Haft schwand bei Schmidt die Kraft und die Hoffnung auf eine Wiedererlangung der Freiheit, auch wenn er bemüht war, in den Briefen an seine Frau optimistisch zu bleiben. Die Handschrift wurde schwächer, die Grammatik- und Rechtschreibfehler mehrten sich. Vier Monate vor Kriegsende wurde er vom faschistischen Volksgerichtshof als »kommunistischer Hetzer und Volksschädling« zum Tode verurteilt. In seinem Abschiedsbrief nimmt er letztmalig alle Kraft zusammen: »Ich sterbe nicht als Verbrecher, sondern für meinen Glauben an eine bessere Zukunft.« Am 4. Januar 1945 wurde er 44jährige im Landesgericht Graz mit dem Fallbeil hingerichtet.

Gisela Hormayr: Der Kommunist Johann Schmidt (1901–1945) und sein Kriegstagebuch. Studienverlag, Wien 2024, 168 Seiten, 26,90 Euro

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