Zurück in den Elfenbeinturm
Von Gerrit HoekmanDie Regierungsbildung braucht in Belgien traditionell sehr viel Zeit. Nach der vorletzten Parlamentswahl im Mai 2019 dauerte sie ganze 494 Tage. Diesmal sollte es schneller gehen: Bart De Wever, der große Zampano der flämischen Nationalisten, nahm als von König Philippe bestellter sogenannter Formateur die Sache höchstpersönlich in die Hand. Am Donnerstag abend warf er jedoch nach zehn Wochen harten Verhandelns entnervt das Handtuch.
Weil die Nieuw-Vlaams Alliantie (N-VA) aus der föderalen Parlamentswahl am 9. Juni als stärkste Kraft hervorgegangen ist, galt ihr Vorsitzender De Wever als Favorit für den Posten des Regierungschefs. Doch es gelang ihm nicht, eine Koalition zwischen den flämischen Parteien N-VA, CD&V (Christen-Democratischen Vlaams) und der sozialdemokratischen Vooruit (Voraus) sowie dem wallonischen liberalen Mouvement Réformateur (MR) und der linksliberalen Les Engagés (Die Engagierten) zu bilden.
König Philippe ernannte am Freitag Maxime Prévot zum neuen Formateur. Prévot ist der Vorsitzende von Les Engagés, der kleinsten Partei am Verhandlungstisch. »Es ist logisch, dass nach Bart De Wever ein Französischsprachiger an der Reihe ist«, sagte der Journalist Alain Gerlache am Freitag auf Radio 1. »Er mag in Flandern nicht sehr bekannt sein, aber er verfügt über viel politische Erfahrung. Er war Minister auf wallonischer Ebene und ist seit mehr als zehn Jahren Bürgermeister von Namur.« Prévot hat zunächst bis zum 2. September Zeit, die Verhandlungen wieder anzukurbeln. Einfach wird das nicht. Bereits nach der vorletzten Parlamentswahl war ein Versuch gescheitert, eine sogenannte Arizonakoalition auf die Beine zu stellen. Der Name bezieht sich auf die Farben in der Flagge des US-Bundesstaates Arizona: Rot für die Sozialdemokraten, Blau für die Liberalen, Orange für die Christdemokraten und Gelb für die flämischen Nationalisten.
Der Buhmann ist jetzt Georges-Louis Bouchez, der Vorsitzende des Mouvement Réformateur. Die Liberalen lehnen als einzige der beteiligten Parteien die von De Wever vorgeschlagene moderate Kapitalertragssteuer auf Aktien rundweg ab. Die Steuer war eine Bedingung für die Sozialdemokraten, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Dafür waren sie bereit, an anderen Stellen Kompromisse einzugehen. Doch der MR, der bereits in der »Vivaldi-Kabinett« getauften Regierung von Alexander De Croo mit dabei war, schaltete auf stur. »Wir haben im Juni einen klaren Auftrag erhalten und versuchen mit unseren Partnern die beste Balance zu finden. Dass uns das bisher nicht gelungen ist, ist keineswegs eine endgültige Aussage«, ließ Bouchez die Tür VRT NWS zufolge einen Spaltbreit offen.
»52 Tage im Elfenbeinturm, ohne auf die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen in diesem Land zu hören«, kommentierte Raoul Hedebouw, der Vorsitzende der marxistischen PVDA-PTB, das vorläufige Scheitern der Koalitionsverhandlungen. Rentenkürzungen, Begrenzung des Arbeitslosengeldes, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Angriff auf das belgische Tarifsystem, Kürzung der Zulage für Nachtarbeit, Ende der Vorruhestandsregelung – bei allen unsozialen Vorschlägen seien die potentiellen Koalitionäre einer Meinung gewesen. »Doch auf eine kleine symbolische Maßnahme, um die Superreichen mehr beitragen zu lassen, konnten sich die traditionellen Parteien nicht einigen.« Die PVDA-PTB hat bei der Parlamentswahl mit 9,9 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis erreicht. Sie ist damit hinter der N-VA, dem extrem rechten »Vlaams Belang« und knapp hinter dem MR die viertstärkste Kraft im Land.
»Jeder Partner muss in der Lage sein, über die Interessen der eigenen Partei hinauszugehen und die Interessen des Landes in den Vordergrund zu stellen«, mahnte der neue Formateur Prévot der Tageszeitung De Morgen zufolge. De Wever zeigte sich skeptisch, was einen Neustart betrifft, er werde aber »natürlich kooperieren«, zitierte ihn VRT NWS am Sonnabend. Das Scheitern als Formateur sei aber »zweifellos die größte politische Enttäuschung« seines Lebens. Er sei jedoch weiterhin von der Notwendigkeit einer »echten Reformregierung« überzeugt, »um den flämischen Wohlstand zu schützen und EU-Sanktionen aufgrund der Haushaltsdefizite des Bundes zu vermeiden«, teilte sein Büro in einer Presseerklärung mit.
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