75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. September 2024, Nr. 215
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Feindbild Migrant

Reaktionen auf Solinger Attentat
Von Arnold Schölzel
OTESTS.JPG

Nach der Ermordung von drei Kindern im britischen Southport am 29. Juli organisierten die Faschisten des Vereinigten Königreichs mit einigem Erfolg Pogrome gegen Migranten. Das gelang in der Bundesrepublik nach den Mordanschlägen von Mannheim und Solingen nicht, es ist aber angebracht, in den Satz das Wort »noch« einzufügen.

Denn die Ursachen, die in Großbritannien den rechten Aufruhr bedingten, liegen hier ebenso wie in anderen großen kapitalistischen Industrieländern vor: Das ist zum einen die Nachwirkung der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009. Sie wurde faktisch nie überwunden und frisst sich wie ein unterirdischer Schwelbrand auch durch die Bundesrepublik. Der Lebensstandard sinkt, die Kommunen erodieren – nicht zuletzt wegen Unterfinanzierung der Aufnahme von Zuwanderern, die Gewaltkriminalität steigt. Hinzu kommt zum anderen die aus der BRD gewohnte Hetze vor allem der CDU/CSU gegen Migranten. Das Feindbild steht trotz großem Bedarf an »nützlichen« Zuwanderern. Diese Doppelgleisigkeit entspricht dem Geschäftsmodell des deutschen Kapitals: Billiglöhner, die auf die Reallöhne drücken, werben und zugleich mit rassistischen Parolen für Spaltung sorgen – seit mindestens 130 Jahren. Die AfD – in dieser Hinsicht ein Wurmfortsatz der Unionsparteien – baute die Hetze erfolgreich aus. 2015 nannte Alexander Gauland, der es in der CDU bis zum hessischen Staatskanzleichef gebracht hatte, die Flüchtlingskrise zu Recht »ein Geschenk für uns«.

Der Anschlag von Solingen geschah wenige Tage vor Landtagswahlen, bei denen die AfD stärkste Partei werden kann. In der CDU/CSU setzte der übliche, diesmal aber panische Überbietungswettbewerb mit Vorschlägen ein, die das Grundrecht auf Asyl und andere Rechte ignorieren. Wenn Sahra Wagenknecht den Vorschlag von Friedrich Merz, die Aufnahme für Syrer und Afghanen zu stoppen, unterstützt, schließt sie sich diesem Trend an. Die Reaktionen der Regierungskoalition erschöpfen sich in Phrasen. Was soll eine Beschränkung auf kürzere Messer gegen individuellen Terror wie in Solingen ausrichten oder gegen organisierten, zu dem der IS – ein immer noch von der Türkei gesponsertes Beiprodukt der endlosen westlichen Kriege im Nahen und Mittleren Osten – seine Anhänger aufruft? Was sollen schnellere Abschiebungen, zu denen Bündnis 90/Die Grünen und SPD jetzt aufrufen? Ja, die Flüchtlingspolitik nicht nur der amtierenden Bundesregierung ist verfehlt, wie Wagenknecht sagt. Kein Anlass, das Feindbild Migrant der etablierten Parteien einschließlich AfD zu übernehmen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (28. August 2024 um 10:47 Uhr)
    Bei aller Empörung über den brutalen Mord in Solingen und der damit verstärkten Diskussion über Flüchtlinge, darf nicht übersehen werden, die politische Elite unseres Landes hat mit der aktiven Beteiligung Deutschlands an den Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, Syrien und andere Länder dazu beigetragen, dass eine große, nicht mehr zu beherrschbare Flüchtlingswelle entstand. Es war SPD Peter Minister Struck, der 2002 erklärte: „Deutschland wird heute auch am Hindukusch verteidigt.“ Die für die Bundeswehr tätigen Ortskräfte will man, trotz Versprechen, nicht mehr haben. Mir ist kein Protest der Bundesregierung gegen den Erdöldiebstahl der USA in Nordsyrien oder die Besetzung der syrischen Golanhöhen durch Israel bekannt. Krieg Tod, Hunger und Zerstörung treiben Millionen zur Flucht. Unbeachtet soll nicht bleiben, 29% der deutschen Bürger haben einen Migrantenhintergrund. Was wäre Deutschland ohne ausländische Arbeitskräfte. Alleine im Gesundheitswesen sind 60.000 ausländische Ärzte und 200.000 Pflegekräfte tätig. 15% der sozialversicherungspflichtigen Arbeitskräfte in Deutschland sind Ausländer. Die Mitglieder Koalition können es offenbar mit ihren Gewissen vereinbaren, Asylbewerber in brauchbare und unbrauchbare aufzuteilen. Ist das menschenwürdig?

Ähnliche:

  • Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere NRW-Landespolitiker ...
    27.08.2024

    Unkontrolliert nach rechts

    Nach Angriff in Solingen: Politiker fordern fast unisono restriktivere Migrationspolitik. Verdächtiger sollte 2023 ausgewiesen werden
  • Rechtsrum: Björn Höcke (AfD, 2. v. r) und Mario Voigt (CDU, r.) ...
    13.04.2024

    Er hat Mett gesagt

    Thüringen: Politzirkus um »TV-Duell« mit Höcke. Hintergrund Kampf um zweiten Platz bei Landtagswahl
  • Die Mehrheit der Abgeordneten ist grundsätzlich für schnellere u...
    16.03.2024

    Asylantrag gescheitert

    Bundestag lehnt Vorstoß der Union für verschärfte Migrationspolitik ab. Linke kritisiert Kürzungen für Kommunen

Regio:

Mehr aus: Ansichten