75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 21. November 2024, Nr. 272
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Auf fremde Kosten

Von Reinhard Lauterbach
ukr2.JPG
Die Überlegenheit Russlands veranlasst die Ukraine zu immer riskanteren Vorstößen (Donezk, 20.8.2024)

Eines hat der ukrainische Vorstoß ins russische Grenzgebiet Kursk auf jeden Fall erreicht: Das Reden über einen Verhandlungsfrieden ist vom Tisch. Von russischer Seite und von ukrainischer sowieso. Der umfassende Luftangriff auf die Reste der ukrainischen Energiewirtschaft kommt der Rhetorik der Kiewer Regierung geradezu wie gerufen. Wolodimir Selenskij machte sofort ein Argument in Richtung Washington, Berlin und London daraus, bisher noch geltende informelle Beschränkungen für den Einsatz weitreichenderer Waffen gegen Ziele tief in Russland aufzuheben.

Wichtig an dieser Forderung ist ihre stillschweigende Voraussetzung, dass die Ukraine diese langstreckentauglichen Waffen bereits hat. Aus westlicher Lieferung. Selenskijs Berater Michailo Podoljak hat die Logik der ukrainischen Strategie am Montag gegenüber der polnischen Zeitung Rzeczpospolita explizit gemacht: Wenn die Ukraine Langstreckenwaffen gegen russisches Territorium einsetzen dürfe, werde es aus sein mit dem Mythos von der Unbesiegbarkeit Russlands. Russland müsse diesen Krieg verlieren. So klingt Verzweiflung.

Es ist eine Strategie auf fremde Kosten: Sollte Moskau taktische Atomwaffen gegen Ziele in der Ukraine einsetzen, so Podoljak weiter, müsse der Westen seinerseits mit Atomwaffen Vergeltung üben. Kiew spielt mit dem dritten Weltkrieg. Die Ukraine hat nichts mehr zu verlieren, sie spielt va banque. Und Podoljak bringt gegen mögliche Bedenken in den USA das – in der Sache leider zutreffende – Argument zum Tragen, kein US-Politiker könne ein Interesse daran haben, dass Washington seine weltweite Führungsrolle verliere. Die Gegenposition brachte letzte Woche die Washington Post auf Grundlage von Gesprächen mit »hochrangigen Angehörigen der Administration« zu Gehör: Warum sollten die USA ihre eigene nationale Sicherheit für die Ukraine gefährden? Irgendwann müsse man doch wieder mit Russland ins Geschäft kommen.

Moskau spielt dieses Spiel der nuklearen Drohungen – abgesehen von ein paar Onlinekrakeelereien von Expräsident Dmitri Medwedew – explizit nicht mit. Es setzt weiter auf seine konventionelle Überlegenheit und hat am Montag eine makabre Probe davon gegeben. Das Fatale daran ist: Je erfolgreicher Russlands konventionelle Kampagne ist, desto eher kann auch der Westen versucht sein, dem ukrainischen Drängen nach grenzenlosem Waffeneinsatz doch noch nachzugeben. Weil auch für Washington und Berlin zuviel daran hängt, eine politische Niederlage zu vermeiden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. August 2024 um 20:15 Uhr)
    Anknüpfend an den letzten Satz im Artikel: »Weil auch für Washington und Berlin zuviel daran hängt, eine politische Niederlage zu vermeiden.« verweise ich auf den Artikel »Adressat heißt NATO« in der jW vom 25.2.2022 (www.jungewelt.de/artikel/421511.kriegsrede-adressat-hei%C3%9Ft-nato.html). Die wertewestliche Arroganz (der vermeintlichen Macht) löst sich allmählich auf und wandelt sich in offene Aggression. Die offensichtliche WW-Strategie der Nadelstiche, mal da ein Schiff »herausnehmen«, mal dort ein Frühwarnsystem ausschalten oder eine Raffinerie anzünden, ersetzt das Enthauptungsschlagkonzept der 80er Jahre durch Zehenamputation. Dem Koloss die tönernen Füsse weghauen, ist das Motto. »Zuhören« hat der Wertewesten immer noch nicht gelernt, die Lektion »Spezialoperation«, die Putin erteilen wollte, darf (diesbezüglich) als erfolglos gewertet werden. Dem Wertewesten muss man allerdings auch das vollständige Scheitern seiner »Strategie« zugestehen. »Weiter so so« ist eben auch nicht mehr das, was es einmal war. Nach meiner Auffassung haben sich Washington und Berlin die politische Niederlage bereits eingefangen. Die Losung, auf dem Schlachtfeld siegen zu müssen, hat sich als Losung entpuppt, sie ist nämlich in die Hose gegangen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. (27. August 2024 um 14:59 Uhr)
    Das Regime in Kiew steht mit dem Rücken zur Wand. Falls der Westen irgendwelche Beschränkungen, falls es diese überhaupt gibt, aufhebt, dann hat Russland gerade einen Vorgeschmack darauf gegeben, welche Möglichkeiten im konventionellen Bereich es hat. Und der Einsatz lässt sich sicher noch steigern. Die Sponsoren der Kiewer Marionetten können kein Interesse daran haben, dass aus der konventionellen Operation ein konventioneller Krieg und aus diesem, ein Atomkrieg erwächst. Wenn Podoljak über den Einsatz von Atomwaffen schwadroniert, dann ist diesem angehenden Kriegsverbrecher offenbar nicht bewusst, was dies für sein Land und die Menschheit bedeutet.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (27. August 2024 um 10:05 Uhr)
    »Je erfolgreicher Russlands konventionelle Kampagne ist, desto eher kann auch der Westen versucht sein, dem ukrainischen Drängen (…) nachzugeben.« Das ist die Gefahr, die droht, wenn eine der Kriegsparteien – die Ukraine (mit ihren westlichen Unterstützern) oder Russland – ihre Niederlage vor sich sieht. Dann droht die Gefahr der atomaren Eskalation. Es begänne möglicherweise mit dem Einsatz konventioneller, mit atomarem Material angereicherter Munition, welche auch die Ukraine »dank« Großbritannien bereits besitzt, und könnte mit dem Einsatz von Atomraketen enden. Putin hat mehrfach deutlich gemacht, dass im Falle einer russischen Niederlage und der existenziellen Bedrohung Russlands (wann auch immer er diese sieht), er nicht zögern wird, dieses letzte Mittel anzuwenden. Und Joseph Biden hat seinerseits Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen durch die USA gedroht, sollte Russland diese Karte ziehen. So grausam und traurig es ist, so lange es keine Kraft gibt, die von außen – durch Diplomatie – beide Seiten an den Verhandlungstisch bringt, sorgt das militärische Patt zwischen der Ukraine und Russland dafür, dass es (noch) nicht zur atomaren Eskalation kommt.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (27. August 2024 um 03:03 Uhr)
    »Wenn die Ukraine Langstreckenwaffen gegen russisches Territorium einsetzen dürfe, werde es aus sein mit dem Mythos von der Unbesiegbarkeit Russlands. Russland müsse diesen Krieg verlieren.« Ein Widerspruch der westlichen Propaganda müsste nun auch dem letzten Bürger aufgefallen sein. 1. Die USA, die BRD oder NATO sind keine Kriegsbeteiligten und helfen der Ukraine lediglich. 2. Man hält die Ukraine für stark genug, das größte Land der Welt zu besiegen, in dem Zustand, in dem sie wirtschaftlich, finanziell und militärisch jetzt ist. Würde das nicht angenommen werden, müsste man ja der Ukraine empfehlen zu kapitulieren, um weitere Tausende Opfer zu vermeiden. 3. Warum stellt Russland, welches angeblich sogar zu schwach gegen die nahezu am Boden liegende Ukraine ist, dann eine Bedrohung für weitere Länder im Westen dar? Russland kann nicht gleichzeitig zu schwach gegen die Ukraine und eine Bedrohung für die NATO sein. (…)

Ähnliche:

Mehr aus: Ansichten