Hampelmänner des Kapitals
Von Barbara EderUm das Jahr 2000 zierte in Wien ein schwarz-blauer Button mit weißem, diagonal verlaufendem Strich viele Rucksäcke, Taschen und Anoraks. Die ansteckbare Plakette diente den Gegnern der im selben Jahr angelobten Regierung als Erkennungszeichen. Sie zu tragen, ging mit der Aufforderung einher, deren Machenschaften kurzerhand »durchzustreichen«: Nahezu täglich fanden »Widerstandslesungen« im Wiener Stadtzentrum statt. Am Ballhausplatz wurde eine »Botschaft der besorgten Bürgerinnen und Bürger« eingerichtet, der Grund: die demokratiepolitische Schwäche der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Aufgrund anhaltender Proteste mussten die Regierungsvertreter das Bundesministerium seinerzeit über einen unterirdischen Geheimgang betreten.
Der Tag der Angelobung von Schüssels Kabinett wird im nachhinein oft als Geburtsstunde einer aufkommenden Zivilgesellschaft in Österreich gesehen. Für die Schriftstellerin El Awadalla war die damals entstehende Widerstandsbewegung mehr als das. Als Zeitzeugin, die an der Organisation der »Widerstandslesungen« maßgeblich beteiligt war, hat sie Dokumente aus den Jahren 2000 bis 2006 zusammengetragen und diese in einem Ausstellungsraum des Bezirksmuseums Neubau affichiert. Wer Relikte von den damaligen »Donnerstagsdemos« besitzt oder über Transparente, Flugblätter oder Tondokumente verfügt, darf die Sammlung im oberen Stock des Amerlinghauses jederzeit ergänzen, denn: Die Gunst der Stunde heißt nach wie vor Widerstand.
Die Ära Schwarz-Blau war in Österreich mit einer »neoliberalen Wende« verbunden. Das »Streben nach dem Nulldefizit« stand ganz oben auf der politischen Agenda. Ein breit angelegter Sparplan diente der Regierung als Geldbeschaffungsmaßnahme, seine Durchführung sollte zur »gemeinsamen Aufgabe aller Österreicher« werden. Der idealtypische Bürger der Alpenrepublik definiere sich nunmehr über das, was dieser für den Staat »leisten« könne – selbstverständlich stets pro bono. Die schillernde Sprechblase vom »gemeinsamen Sparkurs« war nur eine der unzähligen Schmeichelphrasen, mit denen Kanzler Schüssel und Konsorten Geländegewinne am Terrain der politischen Hegemonie verbuchen wollten. Sozialraub und Bildungsabbau folgten. Karitativen Einrichtungen, Universitäten und selbstorganisierten Kulturvereinen wurden staatliche Zuschüsse in großem Stil entzogen.
Nachdem im September 2000 einige EU-Mitgliedstaaten die Sanktionen gegenüber der österreichischen Rechtsaußenregierung aufgehoben hatten, sollte der alpenländischen Politmisere erneut die Normalität bescheinigt werden. Die FPÖ bewege sich durchaus im Rahmen des geltenden Rechts und halte sich, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, auch an parlamentarische Gepflogenheiten – so das abschließende Resümee im Bericht der EU-Weisen. Im Zuge dessen verfestigte sich der Eindruck, dass nicht die Regierung, sondern die gegen sie gerichtete Protestbewegung die rechtsstaatliche Ordnung untergrabe. Mit wetterfester Lächlermaske bekräftigte Kanzler Schüssel daraufhin seinen Regierungskurs. Ihm ging es vor allem darum, die jüngere politische Vergangenheit des Landes hinter rhetorischen Kulissen verschwinden zu lassen. Ein neuer Jargon war dafür Mittel und Methode: Österreich sollte nicht nur für ein neues Jahrtausend rüstig und gerüstet sein, sondern auch als Wirtschaftsstandort an Attraktivität gewinnen. Die Rede vom »Wohl fürs Vaterland« wurde wieder salonfähig – und mit ihr vermeintlich notwendige Entbehrungen: Nur wer »ehrlich arbeitet«, soll etwas bekommen. Studierende, Erwerbs- und Obdachlose, Behinderte, Rentnerinnen und kinderlose Frauen zählten zu den ersten Opfern der »Maßnahmen zur Hebung der Treffsicherheit des Sozialsystems«. Unter Schwarz-Blau herrschte die vergleichsweise höchste Erwerbsarbeitslosigkeit in Österreich – und das in einer anhaltenden Hochkonjunkturphase.
Die schwarz-blaue Rhetorik spaltete das Land schnell in Regierungsbefürworter und -gegner. Im von Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) propagierten Wohlstandschauvinismus fanden Arbeitsmoral und kleinbürgerliches Ethos zueinander. Gerechtigkeit – im Sinne von Steuererleichterungen für Unternehmer – solle es für alle »Anständigen« im Staate geben. Im Namen des guten Alten mobilisierte die Regierung Riess-Passer-Schüssel inklusive Schattenkanzler Jörg Haider im Rücken gegen das falsche Neue – und sprach von Österreich als »neuer sozialer Demokratie«. Ihren Vertretern ging es um die Wiederbelebung »des Volkes« und »des Völkischen«, gegen Brüssel, die »multikulturelle Überfremdung«, gegen die »Bonzen der Bürokratie« – und vor allem gegen die letztverbliebenen, freischwebenden Intellektuellen im Lande. Ihre Stimmen wurden zunehmend leiser – und mussten sich verstärkt auf der Straße Gehör verschaffen. Von seiten der FPÖ regnete es eine Klageflut, Reden und Kommentare von Elfriede Jelinek bis Helga Pankratz kann man in der Ausstellung noch einmal lesen und hören. Den Gegnern und Gegnerinnen von Schwarz-Blau ging es bis zuletzt darum, der rassistischen, sexistischen, antisemitischen und kapitalfreundlichen Politik dieser Ära etwas entgegenzusetzen. Die dazugehörige Regierung mag zwar legal – im Sinne von rechtlich zulässig – gewesen sein, legitim war sie nicht. Das, was dazumal schwarz glänzte, lässt den Griff zur Klospülung bis heute zwingend erscheinen. Mit einem seiner »Kanzlergedichte« leistete der Autor Gerhard Ruiss, der am vergangenen Mittwoch in den Ausstellungsräumlichkeiten las, dahingehend dringliche Abhilfe. »der kanzler / kommt als erlöser / der installateur / kommt als installateur / der kanzler / geht als kanzler / der installateur / geht als erlöser«.
Hinweis: In einer ersten Fassung des Beitrags hieß es, Peter Turrini habe sich an der Widerstandslesung beteiligt. Das war aber nicht der Fall. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. (jW)
»Diskutieren, lesen und gehen bis sie gehen. Widerstand gegen schwarz-blau, 2000 bis 2006«, Bezirksmuseum Neubau (Amerlinghaus), Stiftgasse 8, 1070 Wien, Mittwoch von 17 bis 19 Uhr, Sonnabend von 10 bis 13 Uhr, Finissage am 28. August 2024
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