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Aus: Ausgabe vom 27.08.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Meeresfauna

Sie beißen immer seltener

Die Größe der weltweiten Fischbestände wurde zu optimistisch eingeschätzt. Etliche Arten gelten als überfischt
Von Wolfgang Pomrehn
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Immer mehr Aquakulturen infolge von Überfischung. Fischfarm in der Nähe von Athen

Um die weltweiten Fischbestände ist es schlecht bestellt, und zwar noch schlechter, als bisher angenommen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die vergangene Woche im Fachblatt Science veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren von vier australischen Fischereiinstituten haben für 230 der am besten bekannten Arten die öffentlich verfügbaren Daten über die Bestände mit den vorherigen Abschätzungen der verschiedenen Modelle verglichen. Ihr Ergebnis: Die Modelle haben die Bestände oft zu optimistisch eingeschätzt.

Dies war vor allem bei den überfischten Arten der Fall, und in der Tat zeigt sich, dass fast ein Drittel der von der UN-Organisation für Nahrung und Landwirtschaft (Food and Agriculture Organization, FAO) als »maximal nachhaltig befischt« eingestuften Bestände bereits überfischt sind oder kurz davor stehen. Außerdem sind fast doppelt so viele Bestände zusammengebrochen wie bisher gedacht. Als zusammengebrochener Bestand gelten Arten, deren aktuelle Biomasse kleiner als zehn Prozent ihrer ursprünglichen maximalen Größe ist.

Den Grund für die bisher zu optimistischen Abschätzungen sieht der Kieler Fischereibiologe Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in den zu komplexen Modellen, mit denen sie berechnet werden. Zu viele, oft unzureichend bekannte Parameter würden darin eingehen. Nötig seien simplere und realistischere Modelle, die mit weniger Annahmen auskommen, schreibt er gemeinsam mit einem Kollegen in der gleichen Ausgabe von Science.

Das ist alles andere als eine rein akademische Frage. Immerhin bilden die Prognosen der Fischereiwissenschaft die Grundlagen für die zum Beispiel von den EU-Regierungen beschlossenen Fangquoten, auch wenn die Politiker gerne ignorieren, dass die Wissenschaft ihnen eigentlich Höchstmengen nennt. Dabei ist die dauerhafte Gesundheit der Fischbestände von enormer Wichtigkeit für die Welternährung. Nach Angaben der FAO liefern Meeresfrüchte 15 Prozent aller tierischen Proteine weltweit und enthalten zudem lebenswichtige Nährstoffe wie ungesättigte Omega-3-Fettsäuren. 2021 haben demnach 3,2 Milliarden Menschen mindestens 20 Prozent ihres Konsums an tierischem Eiweiß mit Fisch gedeckt.

Nach den Daten der FAO ist der Fischfang in den vergangenen Jahrzehnten erheblich angewachsen. 1961 hat der durchschnittliche Erdbewohner 9,1 Kilogramm Fisch verbraucht, 2022 waren es 20,7 Kilogramm. Das meiste davon direkt, aber elf Prozent des Fangs werden auch zu Tierfutter oder anderen Produkten verarbeitet.

Allerdings kommt Fisch inzwischen mehr und mehr aus Aquakulturen. 2022 lieferten Fischfarmen erstmals etwas mehr als die herkömmliche Fischerei. Damit entfallen jedoch immer noch mindestens zehn Kilogramm des weltweiten Pro-Kopf-Konsums auf den Wildfisch. Aufgrund des Bevölkerungswachstums bedeutet das, dass sich die Fangmenge vervielfacht hat.

Neben der Fischerei setzen auch die Umweltverschmutzung und vor allem der Klimawandel vielen Arten deutlich zu. In den tropischen Gewässern führen steigende Wassertemperaturen seit den 1990er Jahren zu immer mehr Schäden an den Korallenriffen, die für viele dortige Fische eine wichtige Kinderstube darstellen. Wird das Wasser zu warm, stoßen die Korallen die Algen ab, mit denen sie gewöhnlich in Symbiose leben und die sie mit Energie versorgen. Die Riffe bleichen aus, und wenn die Korallentierchen die Algen nicht schnell genug wieder aufnehmen, verhungern sie. Mit ihnen sterben die Riffe.

Das Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens, das weltweit größte Korallenriff, erlebte in den vergangenen neun Jahren fünfmal ein Ausbleichen im größeren Maßstab. Australische Wissenschaftler weisen in einem Anfang August im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Beitrag darauf hin, dass derlei Ereignisse vor 1980 kaum und in den letzten beiden Jahrhunderten überhaupt nicht vorkamen. Das ließ sich an sogenannten Stressbändern ablesen, Zonen größerer Dichte im Korallenskelett. In alten, versteinerten Korallen aus der Zeit vor 1980 sind sie selten, und in den älteren fehlen sie ganz. Zugleich stellen die Autoren fest, dass drei der in den Jahren seit 2016 in den Gewässern des Great Barrier Reefs beobachteten maritimen Hitzewellen alle Temperaturen der vergangenen 400 Jahre überstiegen.

Vor unserer Haustür, in der Ostsee, macht der Klimawandel den Speisefischen schwer zu schaffen, indem er Nahrungsketten und jahreszeitliche Abläufe durcheinander bringt. Vom Greifswalder Bodden, einer wichtigen Kinderstube des Ostseeherings, ist bekannt, dass dessen Larven dort inzwischen größeren Teils verhungern. Der Grund: Durch höhere Wassertemperaturen schlüpfen die Larven erheblich früher als sonst, finden aber noch nicht genug Algennahrung, da deren Wachstum vom Lichteinfall abhängig ist, der seinen Rhythmus unverändert beibehält. Die Algen beginnen sich erst zu vermehren, wenn die Sonne hoch genug steht, aber für den Hering ist das durch die höheren Temperaturen inzwischen zu spät.

Entsprechend ist sein Bestand vor Rügen und sein Fang in der Ostsee nur noch in wenigen Ausnahmefällen erlaubt. Die Landesregierung in Schwerin und die Betreiber des neuen Flüssiggasterminals auf Rügen hat das allerdings nicht davon abgehalten, durch das hochsensible Heringslaichgebiet noch eine weitere Gaspipeline zu bauen.

Derweil sei nachhaltige Fischerei im Grunde ganz einfach, betont Froese: Es müsse nur immer berücksichtigt werden, wie viel Fisch nachwächst und entsprechend weniger gefangen werden. Außerdem brauche es mehr Schutzzonen und umweltschonendere Fanggeräte. Schließlich sei es auch notwendig, die Nahrungsketten zu schonen, indem die den größeren Fischen als Futter dienenden Arten nicht mehr so stark befischt werden. Als Beispiele nennt der Kieler Sardellen, Sardinen und Krill. Die meisten solcher Prinzipien nachhaltiger Fischerei ließen sich auch einhalten, wenn die Bestandsgrößen nicht ausreichend bekannt sind.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (26. August 2024 um 23:26 Uhr)
    Im GreenTEC Campus GmbH Enge-Sande produziert ein Rechenzentrum Algen mit seiner Abwärme. Eine Bäckerei macht daraus Brot, das allerdings nach Alge schmeckt. Ich mag die Kartoffel auch lieber, wenn sie durch das Schwein gegangen ist und Algen, wenn sie durch den Fisch gegangen sind. Warum also nicht Rechenzentrumsalgen an Fischlarven verfüttern, wenn die trägen Ostseealgen noch nicht aufgewacht sind? Warum Rechenzentren nicht gleich in der Ostsee verankern? Mit FRSU macht man doch auch.

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