Dreifach hält besser
Von Felix BartelsPlaton war ein Angsthase. Der Gedanke, seine heiligen Ideen könnten Ergebnis von Erfahrung sein, bereitete ihm ein Unbehagen, dass er sie gegen die zeitgenössische Sophistik auf ein regelrecht theologisches Fundament stellte. Herauskam die Anamnesis: Ideelle Grundfiguren wurden auf vorgeburtliche Konstanten zurückgeführt. In uns allen aber steckt ein kleiner Platon. Wir klammern uns an Erinnerungen, denn sie sind buchstäblich alles, was wir haben. Was ist mir mein Haus, wenn ich nicht weiß, wo es steht und dass ich dort wohne?
Der geläufige Gedanke, dass in der Erinnerung tatsächlich Geschehenes und subjektive Empfinden vermengt werden, scheint nur zum Teil richtig, denn er geht davon aus, dass ein später erinnerter Vorfall im ersten Eindruck unverfälscht aufgenommen wurde. In der Regel krankt der morgendliche Streit am Küchentisch daran, dass bereits in seinem Vollzug die Teilnehmenden ein und denselben Gegenstand ganz unterschiedlich wahrnehmen. Allerdings heißt das nicht, dass es keine Fehlerquellen gebe, die nachträglich ins Spiel kommen. Eine Forschungsgruppe der Universität Basel hat nun das Speichern von Erinnerungen als zugleich dynamischen wie beständigen Prozess genauer untersucht. Wie die Leiterin der Studie, Vilde Kveim, und ihre Kollegen in Science darlegen, werden Erinnerungen in drei Kopiervorgängen abgespeichert, die sich jeweils drei Neuronengruppen im Hippocampus zuordnen lassen. Die Neuronensorten wiederum lassen sich verschiedenen Stadien der embryonalen Entwicklung zuordnen. Sie unterscheiden sich also nicht nur durch ihren Aufbau und ihre Genese, sondern auch durch ihre Funktion.
Ontogenetisch früh entstandene Neuronen übernehmen dabei die Funktion eines ersten, schwachen Abspeicherns. Die Gedächtniskopie in diesen Zellen bleibt langfristig erhalten und wird mit der Zeit stärker, sie kann allerdings vor allem zu Beginn kaum abgerufen werden. Neuronen, die spät entstanden sind, scheinen eher dem Abrufen von Erinnerungen nach kurzer Zeit zu dienen. Diese Erinnerungen sind zunächst stark und werden mit der Zeit schwächer. Eine dritte Kopie des Geschehens wird in mittelalten Neuronen abgelegt, dort bleibt Erinnerung langfristig und verhältnismäßig stabil.
Die Pointe, auf die Forscher verweisen, ist augenfällig: Ausgerechnet die zunächst stark abgespeicherten Erinnerungen sind anfällig für nachträgliche Veränderungen, während die zunächst schwach abgespeicherten zwar schlechter abgerufen werden können, jedoch weniger dynamisch sind.
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