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Aus: Ausgabe vom 28.08.2024, Seite 8 / Ausland
Olympische Spiele Paris

»Wir nennen es soziale Säuberung«

Für die Olympischen Spiele hat Paris arme Menschen systematisch aus dem Stadtbild getilgt. Ein Gespräch mit Antoine de Clerck
Interview: Gitta Düperthal
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Protestaktion gegen »soziale Säuberungen« bei Olympia auf der Place de la Bastille in Paris (6.8.2024)

Wie hat die Stadt Paris sich auf das große Spektakel der Olympischen Spiele vorbereitet?

Es wurden unter anderem Menschen, die in informellen Wohnräumen, wie Slums, besetzten Häusern, Lagern, Hütten usw. lebten, aus Paris und den Städten in der Nähe von Seine-Saint-Denis vertrieben. Das ist weniger eine Frage knapper finanzieller Ressourcen als vielmehr der prekären Wohnsituation. Wo immer olympische Stätten, ob nur Durchgangsorte oder Besuchsstätten für Touristen und Medien, waren, gab es, wie wir es nennen, soziale Säuberungen. Betroffen waren insgesamt etwa 15.000 Menschen. Ungefähr 5.600 Personen wurden mit Bussen in Städte, weit weg von Paris, geschickt. Andere wurden ohne alternative Unterkunftsmöglichkeiten an die Stadtgrenze verdrängt. In letzter Minute vor den Spielen wurden im Juli rund 1.000 Menschen, die in gut sichtbaren Lagern an den Ufern der Seine, des Saint-Denis- und Ourcq-Kanals lebten, vorübergehend in Notunterkünften untergebracht.

Spüren diese Menschen heute noch Nachwirkungen davon?

Die meisten von ihnen sind ohne eine alternative Unterkunftslösung und finden sich verstreut und isoliert wieder. Versteckt irgendwo in der Stadt, auf Parkplätzen, in Metrostationen, Vororten oder sonst wo weit von Paris entfernt. Oft ist es ihnen nicht möglich, auf Nahrungsmittelhilfe und Pflege zurückzugreifen. Sie erleiden soziale Einsamkeit, den Verlust des Arbeitsplatzes und der Bildung ihrer Kinder.

An diesem Mittwoch beginnen die Paralympischen Spiele in Paris. Was bedeutet das für die Vertriebenen?

Alle Lager, Besetzungen und informellen Wohnräume wurden bereits geräumt, die Menschen vertrieben. Dennoch sind in Paris und Saint-Denis immer noch Hunderte Personen auf der Straße. Das Ende der provisorischen Unterbringung, etwa in Turnhallen, birgt aber mit der Rückkehr zum Schulbetrieb die Gefahr, dass auch diese Menschen während der Paralympischen Spiele direkt wieder auf der Straße landen.

Was sagt die Stadtbevölkerung mit festem Wohnsitz zu den »sozialen Säuberungen«, wie Sie es nennen?

Das Thema Obdachlose erfreut sich keinem großen Interesse. Wir hatten noch nie eine große Demo dazu. Einige Pariser freuen sich eher über ihr Verschwinden, andere sind vielleicht empört.

Welche Reaktion gab es angesichts dieser sozialen Misere?

Auch wenn es in der öffentlichen Debatte mehrfach zur Sprache kam, wurde das soziale Anliegen im Zusammenhang mit den Spielen in Paris politisch kaum verteidigt. Angesichts einer fehlenden Mehrheit in der Nationalversammlung rechnen wir selbst mit einer linken Regierung kurzfristig nicht mit radikalen Änderungen. Die »Sozialpolitik« des Präsidenten Emmanuel Macron stimmt uns pessimistisch.

Wie sieht die Arbeit Ihrer Initiative in dieser Sache aus?

Wir sind explizit ein Kollektiv, das mehr als 100 Organisationen vereint, die täglich mit Menschen in prekären Lebensverhältnissen zusammenarbeiten. Uns geht es um schutzbedürftige Menschen im öffentlichen Raum, Obdachlose, Migranten ohne Dach über dem Kopf, Sexarbeiterinnen, Drogenkonsumenten oder Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe und Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung angewiesen sind.

Wir machen uns öffentlich bemerkbar. In unserem Bericht »Ein Jahr soziale Säuberung« schildert die Philosophin Barret Bertelloni: In der Nacht des 29. Oktober 2023 war in Aubervilliers auf die Fassade des Hauptquartiers des Organisationskomitees der Olympischen und Paralympischen Spiele (COJOP) die Botschaft projiziert: »Paris 2024: die andere Seite der Medaille«. Ein offener Brief wurde an zuständige Behörden und Organisatoren verteilt. Mit diesem Alarmruf machten wir darauf aufmerksam, dass die am stärksten gefährdeten, prekären Bevölkerungsgruppen von Vertreibung und Unsichtbarmachung betroffen und auf andere angewiesen sind. Vor allem während solcher Megasportereignisse mit globaler Auswirkung.

Antoine de Clerck ist aktiv beim Kollektiv »Le revers de la Médaille«, auf deutsch: »Die andere Seite der Medaille«

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