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Aus: Ausgabe vom 28.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Autokrat Macron

Regierungsbildung in Frankreich
Von Hansgeorg Hermann
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Seit 2017 arbeitet Macron beharrlich daran, den Konzernen sein Land zu überlassen (Paris, 25.8.2024)

Wie es in der französischen Nationalversammlung und am Pariser Regierungssitz Hôtel Matignon weitergehen soll, wusste Staatschef Emmanuel Macron entweder schon seit dem verhunzten Wahlabend am 7. Juli, also seit rund 50 Tagen. Oder, was schlimmer wäre, zunächst einmal überhaupt nicht. Wer soll die neue Regierung führen, weil er die alte, eigene Truppe ja zum Rücktritt gezwungen hat? Wo will er die Mehrheit für einen neuen Handlanger im Rock des Ministerpräsidenten auftreiben, wo doch seine Leute im Parlament nicht einmal mit Hilfe der allzeit flexibel zu Diensten stehenden katholisch-bürgerlichen Rechten, den sogenannten Républicains, eine entscheidungsfähige Mehrheit zusammenbringt?

Der Präsident könne nicht gleichzeitig Staatschef, Premierminister und Parteivorsitzender sein, hat ihn am Dienstag Lucie Castets, die kluge Kandidatin der Neuen Volksfront, belehrt. Ihm auszureden, dass er ein gewählter Präsident ist, der spätestens im Juni 2027 seine Sachen packen muss, und kein Erbfürst – das versuchen seit Jahren selbst mit allen Wassern gewaschene politische Schleuser wie der berüchtigte Jacques Attali, Macrons Helfer der ersten Stunde, vergeblich. Am Dienstag nachmittag lud er Nicolas Sarkozy in seinen Palast, dazu den Vorgänger François Hollande. Der eine, der frühere Präsident Sarkozy, ist ein in ersten Instanzen wegen Korruption und Vorteilnahme verurteilter Straftäter; der andere ist ebenfalls ein ehemaliger Staatschef, der in nur fünf Jahren alle Hoffnungen der französischen Linken auf ein neues Gesellschaftsmodell zerstörte und seine eigene Partei, den Parti Socialiste, nicht nur politisch ruinierte. Macrons »Ratgeber« sind, wie er selbst, nicht die erste Garnitur der Demokratie.

Der Staatschef, das weiß inzwischen nicht nur die große Mehrheit des 50 Millionen Menschen zählenden Wahlvolks, ist beratungsresistent. Seine Entscheidungen waren von Beginn an, seit 2017 also, eigenmächtig. Er war schon immer, was er auch jetzt ist: Ein Autokrat, dem das Menschliche, ganz allgemein gesprochen, wirklich fremd ist. Ein »Voyou«, sagen manche, ein schlauer Gauner also, der sich als ein irgendwie undefinierbarer Sozialdemokrat maskiert – mit der geballten Wucht des Kapitals im Rücken, hier sei unter vielen anderen nur der Ultra­milliardär Bernard Arnault genannt, den Thron im Palais Élysée erschleichen konnte. Kaum hatten am Dienstag nachmittag die befreundeten Delegationen des von ihm so genannten »politischen Zentrums« den Palast verlassen, da enttäuschte er auch sie. Nominieren will er jetzt einen Kandidaten – von einer Frau war bisher nicht die Rede – »nicht vor dem Wochenende«. Falls ihm beim Frühstück nichts besseres einfällt.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. August 2024 um 14:39 Uhr)
    Nach der Olympiapause richtet sich die Aufmerksamkeit der Franzosen wieder auf die Suche nach einer neuen Regierung. Präsident Macron stellte nun klar, dass er für den Premierposten niemanden aus dem Linksbündnis NFP benennen will. Dies hatte bei den Wahlen die meisten Sitze erlangt, könne aber Macron zufolge keine stabile Regierung bilden. Das offensichtliche Ziel des Staatschefs, der im französischen System kein Schiedsrichter, sondern ein Mitspieler ist. Vielleicht müssen mehrere Regierungen zusammenbrechen, damit jede Seite nach echten Kompromissen sucht – aber es muss sich etwas ändern. Frankreich hat mittlerweile ein echtes institutionelles Problem. Und sei es nur, um zu verhindern, dass sich in unserem Land die Vorstellung festsetzt, dass es sinnlos sei, wählen zu gehen. Und weil ein chaotischer Auftakt im Parlament besser ist als ein chaotischer Auftakt auf der Straße.

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