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Aus: Ausgabe vom 28.08.2024, Seite 12 / Thema
Multiple Krise

Der Weg nach rechts

Krise nach Prosperität. Autoritärer Kapitalismus – Der Aufschwung der politischen Rechten in den Kapitalmetropolen des Westens (Teil 1)
Von Frank Deppe
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Autoritärer Charakter und die Staatsgewalt. Der AfD-Mann Julian Flak, beschützt von Polizisten (Essen, 29. Juni 2024)

In der kommenden Woche erscheint Heft 139 der Zeitschrift Marxistische Erneuerung. Wir veröffentlichen daraus in zwei Teilen und mit freundlicher Genehmigung von Autor und Herausgebern den Aufsatz »Autoritärer Kapitalismus – Der Aufschwung der politischen Rechten in den Kapitalmetropolen des Westens« von Frank Deppe. Teil 2 erscheint in der Ausgabe von Donnerstag, das vollständige Heft kann bestellt werden unter: zeitschrift-marxistische-erneuerung.de (jW)

Im Jahre 2020 gewann der Kandidat der Demokratischen Partei, Joe Biden, die Präsidentschaftswahlen in den USA gegen den amtierenden Präsidenten der Republikaner, Donald Trump. Dieser hatte seine Präsidentschaft sowie den Wahlkampf unter die Losung »Make America Great Again« gestellt. Im März 2021 verkündete Präsident Biden in seiner »nationalen Sicherheitsstrategie«: »Ich glaube, dass wir uns inmitten einer historischen und grundlegenden Debatte über die künftige Richtung unserer Welt befinden. Manche argumentieren, dass angesichts all der Herausforderungen, vor denen wir stehen, Autokratie der beste Weg in die Zukunft ist. Und es gibt diejenigen, die verstehen, dass Demokratie unerlässlich ist, um alle Herausforderungen unserer sich wandelnden Welt zu meistern.« Im Oktober 2022 fügte er hinzu: »Auf der ganzen Welt ist der Bedarf an amerikanischer Führung so groß wie nie zuvor. Wir sind inmitten eines strategischen Wettbewerbs um die Gestaltung der Zukunft der internationalen Ordnung.«¹

China war schon von seinen Vorgängern zum Hauptrivalen erklärt worden. Der Ukraine-Krieg eskaliert seit 2022 zu einem Stellvertreter- und Propagandakrieg des »Freien Westens« gegen Russland und den Autokraten Putin, der von dem »Diktator« Xi Jinping im Fernen Osten unterstützt wird. Die grüne Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, Annalena Baerbock, sieht sich schon im Krieg mit Putins Russland. In einer Rede zur »nationalen Sicherheitsstrategie« ruft sie den Feinden zu: »Wir werden unser Europa, jeden Quadratzentimeter unseres Europas und unserer Freiheit verteidigen.« Die wiedergewählte Präsidentin der EU-Kommission sowie die neue Außenbeauftragte der EU aus Estland stimmen begeistert zu. Der NATO-Gipfel in Washington im Juli 2024 sollte die neue Stärke des westlichen Bündnisses im globalen Kampf gegen den Autokratismus bzw. gegen die Feinde der Freiheit demonstrieren.

Aufschwung der Rechten

Seit geraumer Zeit deuten die Wahlergebnisse sowie die Prozesse der Regierungsbildung in den entwickelten kapitalistischen Staaten des Westens auf »gravierende Bedrohungen pluralistischer Gesellschaften und moderner Demokratien« hin. »Aufgrund zurückliegender und aktueller Krisen sind in den letzten beiden Jahrzehnten, auch in westlichen Gesellschaften, vermehrt autoritäre Versuchungen in Teilen der Bevölkerung sichtbar geworden«.²

In den USA zeichnet sich ein Sieg von Donald Trump bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ab. Beim Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar 2021 – also nach der verlorenen Wahl gegen Biden – zeigte sich die blutige wie ignorante Fratze eines amerikanischen Faschismus, der erneut auf einen Wahlsieg von Trump setzt. In Frankreich triumphierte die extreme Rechte bei den Europawahlen. Bei den nachfolgenden Wahlen zur Nationalversammlung unterlag sie allerdings der linken »Volksfront« und den Liberalen von Macron. Das Wahlergebnis eröffnet eine Periode der »Unregierbarkeit«. Die Führung um Marine Le Pen spricht von einem »gestohlenen Sieg«.

In Ungarn, Italien und den Niederlanden ist die extreme Rechte bereits in den Regierungen vertreten. In Belgien siegte bei den nationalen Wahlen im Juni 2024 die separatistische Neu-Flämische Allianz (NVA) von Bart De Wever mit fast 20 Prozent der Stimmen. Sie tritt für eine Abspaltung Flanderns von Belgien ein und hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter nach rechts bewegt. Die Neu-Flämische Allianz ist im EU-Parlament in der EKR-Fraktion zusammen mit Giorgia Melonis postfaschistischer Regierungspartei »Fratelli d‘Italia«. Der rechtsextreme Vlaams Belang wurde zweitstärkste Partei. Ein Lichtblick: Die junge marxistische Partei der Arbeit (PVDA/PTB) erhöhte ihren Anteil auf zirka zehn Prozent.

In Skandinavien (Schweden, Finnland) dominieren rechte Parteien, die den Eintritt in die NATO vorangetrieben haben. In Deutschland erreicht die AfD Umfragewerte und Wahlergebnisse, die – vor allem im Osten der Republik – bei mehr als 30 Prozent liegen. Dazu kommen Wahlgewinne der CDU/CSU. Bei den Europawahlen vom Juni 2024 erzielten – neben den konservativen Christdemokraten – sogenannte Euroskeptiker, Nationalisten und Rechtsextreme die stärksten Zugewinne. Durch die Kapitalmetropolen – aber auch durch die EU-Mitgliedstaaten von Südosteuropa – verläuft eine Welle antidemokratischer – nationalistischer und rassistischer – Politik, die sich aus der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsteile – vor allem auch aus den Unterschichten – über die soziale, wirtschaftliche und politische Entwicklung speist und sich als Abwendung von den »alten«, demokratischen Parteien manifestiert.³ Die »politische Klasse« und ihr »parlamentarisches Geschäft« stehen in geringem Ansehen.

In diesem Beitrag wird der Frage nach den Ursachen dieser Rechtsverschiebung im politischen System der Staaten des Westens nachgegangen. Dabei wird die These zu überprüfen sein, dass der Übergang von der »langen«, expansiven Welle kapitalistischer Expansion im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in eine lange depressive Welle krisenhafter Entwicklung seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 in letzter Instanz auch die politische Krise des Systems der repräsentativen Demokratie – eingeschlossen die Abwendung größerer Teile der Bevölkerung von den demokratischen Werten und Parteien – determiniert. Daran schließt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem neoliberalen Herrschaftsmodell des Kapitalismus und der Tendenz zu autoritär-faschistischen Formen der Sicherung bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft in den alten Metropolen des Kapitals an.

Erschütterte demokratische Regime

Derzeit dominieren im herrschenden Block⁴ Strategien, die im Zuge des permanenten Krisenmanagements auf Mehrheiten der (von rechts sogenannten) »Alt- oder Systemparteien« angewiesen sind. Oder sie sehen sich durch Wahlergebnisse gezwungen, Regierungsbündnisse mit rechts­extremen Parteien einzugehen. Das Beispiel Italien zeigt, dass die Regierungschefin Giorgia Meloni von den Konservativen in Italien wie in der EU als Partnerin anerkannt und umworben wird. Hier findet die Wende nach rechts im Rahmen der bestehenden Verfassung und der Rechtsordnung der EU statt. Für die Zukunft wird die entscheidende Frage sein, ob sich bei Zuspitzung der sozialökonomischen und kulturell-politischen Krisenprozesse in den Kapitalmetropolen selbst der faschistische Flügel dieser rechten Parteien – in Zusammenarbeit mit Kräften aus großen Konzernen und dem Staatsapparat (Polizei, Militär, Geheimdienste) – zum Angriff auf die Demokratie und die Errichtung einer Diktatur entschließen wird, die die Lösung der Krise im Rahmen eines autoritären – auf Nationalismus, Rassismus, der Vorherrschaft des »weißen Mannes« und die Zurückdrängung von Migranten ausgerichteten – Herrschaftsmodells anstrebt und dabei bereit ist, Gewalt gegen Minderheiten und abweichende Meinungen, vor allem aber gegen reale und vermeintliche Linke anzuwenden.⁵

Das kapitalistische Wirtschaftsmodell wird dabei nicht in Frage gestellt – im Gegenteil: die Anhänger von Friedman und Hayek werden – wie die Milliardäre Elon Musk oder Peter Thiel, die Donald Trumps Wahlkampf unterstützen – in einem solchen Regime darauf hinarbeiten, die letzten Reste des »sozialdemokratischen Jahrhunderts« (also Sozialstaat und Gewerkschaftsmacht) zu beseitigen. In Argentinien ist Präsident Javier Milei dabei, das Modell eines »libertären Autoritarismus« in die Praxis umzusetzen.⁶

In den USA hat gerade der einstige Chefberater von Donald Trump, der Faschist Steve Bannon, eine Gefängnisstrafe von vier Monaten angetreten. Die FAZ berichtete am 3. Juli 2024: »Mit einer melodramatischen Mini-Rally vor den Knastmauern (…) peitschte Steve Bannon kurz vor seinem Antritt seine Fans ein: ›Sieg oder Tod‹ rief der 70jährige. (…) Ich bin stolz darauf, ins Gefängnis zu gehen! In einem, wie die New York Times befand, ›zirkusreifen‹ Auftritt, bei dem er sich außerdem von einem Priester segnen ließ. ›Entweder, wir gewinnen, oder wir haben den Tod einer konstitutionellen Republik‹, rief er im Blick auf die (…) Präsidentschaftswahl am 5. November (2024).«

Innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes hat sich also eine eigentümliche Verkehrung vollzogen: von der Konstruktion eines globalen Schlachtfeldes zwischen Demokratie und Autokratie zur Realität einer tiefen Krise der demokratischen Regime in den Kapitalmetropolen selbst. Mit dem Aufschwung der rechten Welle werden natürlich auch Fragen erneuert, die (im vergangenen Jahrhundert) den Zusammenhang zwischen der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung zwischen den beiden Weltkriegen einerseits und dem Aufstieg bzw. den Siegen des Faschismus in verschiedenen europäischen Staaten (vor allem in Deutschland) andererseits thematisiert hatten. Gibt es Analogien zum »Zeitalter der Extreme« (Eric Hobsbawm) oder hat sich die Welt inzwischen – vor allem nach dem Zusammenbruch des »realen Sozialismus« in der Sowjetunion – so stark verändert, dass der Bezug der alten Faschismustheorien zur sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung nur wenig zu erhellen vermag, weil diese Arbeiterbewegung in den Kapitalmetropolen derzeit keine Kraft antikapitalistischer Veränderungen repräsentiert?

Karl Marx vertrat 1852 die These, dass in Frankreich die Bourgeoisie in der Revolution von 1848 aufgrund ihrer Angst vor der proletarischen Revolution schließlich auf die »parlamentarische Republik« verzichtete und dem Staatsstreich des Louis Bonaparte applaudierte.⁷ Heute verbindet sich im Aufschwung antidemokratisch-autoritärer Herrschaftsformen die wachsende Unzufriedenheit im Volk »von unten« mit der Angst im »herrschenden Block« (als eines Bündnisses von Klassenfraktionen auf der Basis der kapitalistischen Eigentumsordnung) – also »von oben« – vor den Folgen der »Vielfachkrise« im Inneren, d.h. vor den selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus sowie vor dem globalen Niedergang der Hegemonie des Westens angesichts des Aufstiegs der Volksrepublik China und des »Südens«.

Neoliberale Hegemonie

Die lange Welle neoliberaler Hegemonie war eine außergewöhnlich dynamische Phase in der Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus. Während das Wachstum in den alten Zentren nach wie vor schwach blieb, bezeichnete die »Globalisierung« die Erschließung neuer Räume der »Kommodifizierung« bzw. der »Landnahme« unter der Führung des Finanzkapitals (»Dollar-Wall-Street-Regime«, Peter Gowan). Im Inneren der Kapitalmetropolen wurde im Zeichen der neoliberalen Hegemonie mit der »angebotsorientierten« Politik – von fiskalischer Austerität sowie von Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung – der Einfluss des Staates, vor allem des Sozialstaates (in den Bereichen des Arbeitsmarktes, des Gesundheitswesens, des Wohnens und der Alterssicherung), zurückgefahren. Steuersenkungen für die Wirtschaft (und die oberen zehn Prozent der Vermögensbesitzer) und insbesondere die Liberalisierung des Kapitalverkehrs standen dem gegenüber. Auch die Macht der Gewerkschaften, die in den Klassenkämpfen der 70er Jahre erheblich zugenommen hatte, wurde angegriffen.⁸

Die sozialistischen und kommunistischen Massenparteien in den westeuropäischen Kapitalmetropolen gerieten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des »sozialistischen Lagers« seit 1991 in tiefe Krisen, die bis heute anhalten. In Deutschland war das Jahrzehnt nach 1991 durch den Anschluss der DDR überdeterminiert – verbunden einerseits mit einer massiven ideologischen Diskreditierung des Sozialismus und andererseits mit großen Erwartungen in der ehemaligen DDR auf ein besseres Leben und auf »blühende Landschaften«.

Der Zyklus neoliberaler Hegemonie erreichte in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Das American Empire bildete das Zentrum und Gerüst der globalen Herrschaftsordnung.⁹ Die bipolare Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war, wich einer »unipolaren« Ordnung, in der die USA die Führung und die Rolle des »Global Sheriffs« beanspruchten. Die Weltfinanzmärkte – miteinander durch die digitale, informationelle »Revolution« verbunden – boomten; die transnationalen Konzerne produzierten an der Billiglohnperipherie des Weltmarktes (vor allem in Ostasien); die Lieferketten und die Logistik wurden den Anforderungen globaler Vernetzung angepasst. Die erweiterte Produktion des Reichtums und dessen Aneignung in den Kapitalmetropolen kam vor allem denjenigen Staaten zugute, die sowohl durch die Produktion für den Export als auch durch die Expansion der transnationalen Konzerne und der Finanzmarktakteure von diesem neuen Schub der Globalisierung – zu dem auch der vermehrte Bezug billiger, fossiler Energieträger (Öl, Gas) aus Russland gehörte – in besonderer Weise profitierten.

Relative Stabilität

Deutschland konnte als »Exportweltmeister«, aber auch aufgrund seiner führenden Rolle in der Europäischen Union, die »Kosten« der Wiedervereinigung bewältigen, obwohl im Osten vielfach Verbitterung und Wut über die »Wessis« zurückblieb. Die EU setzte in den 90er Jahren das Programm des Binnenmarktes, der Osterweiterung und der Einführung einer gemeinsamen Währung (»Euro«) durch. Für die Beschäftigten in den verarbeitenden – stark exportorientierten – Industrien (z. B. Automobilindustrie) waren dadurch sichere Arbeitsplätze gewährleistet; starke Gewerkschaften wie die IG Metall garantierten Tariflöhne, die allerdings langfristig stagnierten. Selbständige Akademiker (Ärzte, Architekten, Anwälte etc.), vor allem aber die neuen IT-Spezialisten, profitierten vielfach von dieser Entwicklung, die einen Boom des Bau- und Immobiliensektors einschloss. Am unteren Ende der Beschäftigungspyramide weitete sich ein Sektor der Prekarität – mit fluktuierender Beschäftigung, Niedriglöhnen, informellen Arbeitsbeziehungen und mit einem hohen Anteil von Frauen und Migranten – aus; Armut wurde wieder sichtbar, z. B. in Form von Obdachlosigkeit.¹⁰

Dass die aus dem Osten stammende Politikerin Angela Merkel (CDU) von 2005 bis 2021 die Bundesrepublik als Kanzlerin repräsentierte – meist in einer Koalition mit der SPD –, war offensichtlich Ausdruck einer gesellschaftlichen und politischen Stabilität, die sich einerseits auf eine relative – höchst ungleich verteilte – wirtschaftliche Prosperität¹¹, andererseits auf die Bereitschaft von Merkel und der CDU/CSU stützte, sowohl mit der SPD im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als auch mit den stärker werdenden Grünen beim Ausstieg aus der Kernenergie und der Umweltpolitik Kompromisse einzugehen. Vielen Deutschen erschien die Bundesrepublik im Vergleich mit manchen Nachbarstaaten – ganz zu schweigen von den Staaten des »Südens« – als eine »Insel der Glückseligen«. Am rechten Rand wurde 2013 (im Zeichen der Finanzkrise von 2008/09 und der folgenden »Euro-Krise«) die AfD gegründet. Der Protest gegen die Einführung des Euro stand dabei zunächst im Vordergrund. Die Linke entstand 2007 als Bündnis von linken, sozialdemokratischen Gewerkschaftern aus dem Westen, die gegen die »Agenda 2010« von Gerhard Schröder und die »Hartz-Reformen« protestierten, und der PDS, in deren Wahlergebnissen im Osten sich auch der Protest der »Verlierer der deutschen Einheit« artikulierte. Das »System Merkel« erwies sich im Übergang zu den sich seit der Wirtschafts- und Finanzkrise (2008/09) kumulierenden Herausforderungen an die Politik dennoch als relativ stabil.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Frank Deppe: Zeitenwenden? Der »neue« und der »alte« Kalte Krieg. Hamburg 2023, S. 80/81

2 Günter Frankenberg / Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Treiber des Autoritären. Campus-Verlag, Frankfurt / New York 2022, S. 9

3 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) – Fanfare des Neoliberalismus – zitiert am 28. Juni 2024 den »renommierten MIT-Ökonomen Acemoglu«. Dieser vertritt die Auffassung: »Die Demokratie hat versagt.« Seine Begründung: »Seit 40 Jahren stagniert das mittlere Einkommen, die Ungleichheit ist viel größer geworden, die Lebenserwartung ist in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Die Menschen (in den USA und in Europa, Anm. d. A.) werden also unzufrieden. (…) Ich glaube, es gibt einfach ein allgemeines Gefühl, dass die Demokratien nicht so gut funktionieren, wie es versprochen wurde.« Der Professor stellt fest: »Die Demokratie muss besser werden. Sie muss sich mehr für das Gemeinwohl und das Wohlergehen der Mittelschicht einsetzen. Das System könne nicht lang überleben, wenn es nur für Milliardäre gut sei.«

4 Politische Herrschaft wird im modernen Kapitalismus – im Kernbereich staatlicher Herrschaft sowie in den ideologischen Staatsapparaten – durch ein Bündnis von sozialen und politischen Kräften ausgeübt, das sich nicht allein aus den Wirtschaftseliten (ökonomisch herrschende Klasse), sondern auch aus dem Leitungspersonal der Staatsapparate, der Medien und des Wissenschaftssystems zusammensetzt. In den herrschenden Block werden auch Repräsentanten der Arbeiterklasse (aus den Gewerkschaften und den politischen Parteien) integriert. Im herrschenden Block werden allerdings auch fraktionelle Widersprüche ausgetragen – z. B. über die Frage, welche Fraktion (oder Person) die Führung innerhalb des herrschenden Blocks einnimmt. Der Konflikt zwischen Neoliberalismus und Keynesianismus – derzeit der Streit in der Ampelregierung um die Fiskalpolitik und die »Schuldenbremse« – ist dafür ein anschaulicher Beleg. Auch die Öffnung der etablierten Konservativen zur extremen Rechten ist innerhalb des herrschenden Blocks umstritten. Die Fraktionen innerhalb des herrschenden Blocks vertreten immer auch unterschiedliche Interessen, die auf eine einheitliche Linie gebracht werden müssen.

5 Das Portal World Socialist Web Site berichtete im Juni 2023: »Die Wahlkampfrede, die der Expräsident und Spitzenkandidat der Republikaner Donald Trump am Samstag in Washington D. C. gehalten hat, war eine faschistische Hetzrede gegen die – wie er es nannte – wachsende Gefahr des Sozialismus und Kommunismus in den USA. Wenn er gewählt wird, so Trump, würde er das Heimatschutzministerium anweisen, linke Menschen, egal ob US-Bürger oder nicht, massenhaft abzuschieben.«

6 Vgl. dazu Dieter Boris / Patrick Eser: Der rätselhafte Aufstieg des »Messias« Milei. In: Prokla 215, Juni 2024, S. 325–350

7 Karl Marx: Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. In: MEW 8, S. 194–207

8 Aus Platzgründen muss auf eine gründlichere Analyse dieser »expansiven Welle« verzichtet werden; vgl. u. a. David Harvey: The New Imperialism. Oxford 2003; ders.: A Brief History of Neoliberalism. Oxford 2005; Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Band 4: Übergang ins 21. Jahrhundert. Hamburg 2016.; ders.: Autoritärer Kapitalismus. Demokratie auf dem Prüfstand. Hamburg 2013

9 Vgl. Leo Panitch / Sam Gindin: The Making of Global Capitalism. The Political Economy of the American Empire. London / New York 2012

10 Vgl. Christoph Butterwege: Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Weinheim 2020

11 In der Zeit von Merkels Kanzlerschaft stieg das BIP kontinuierlich an, wenn auch langsamer als in früheren Boomperioden (2015 = 100, 2005 = 90, 2021 = 110), unterbrochen durch einen Einbruch 2009/10 (Big Crash) sowie 2020/21 (»Corona«) – im Durchschnitt ein schwaches Wachstum von 1,25 Prozent, bei dem der Export und der Konsum Antreiber waren. Die Investitionen waren seit den 1990er Jahren stark eingebrochen – ab 2009 nahmen sie wieder etwas zu, vor allem durch den Anstieg der Bauinvestitionen. Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2024. Köln 2024, S. 255

Frank Deppe war von 1972 bis 2006 Professor für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. August 2024 um 17:01 Uhr)
    Es gibt die Dimitroffsche Definition von 1935, die den unmittelbaren Bezug zwischen dem Finanzkapital und der von ihm bevorzugten Herrschaftsform des Faschismus herstellt. Es ist eben nicht die zunehmende Radikalisierung breiter Volksmassen die eigentliche Ursache für die zunehmende Faschisierung der Gesellschaft. Sondern es sind die ganz präzise benennbaren Ansprüche des reaktionärsten und am meisten chauvinistischen Teil des Kapitals an das ihm genehme Herrschaftssystem, in denen die von Achim Deppe so treffend beschriebenen Entwicklungen wurzeln. »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«, warnte Bert Brecht weitsichtig. Die Frage exakt zu beantworten, woher diese Gefahr gekrochen kommt, ist unendlich wichtig. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man die Ursache der Faschisierung in der AfD sieht oder bei denen, die sie hätscheln und reichlich füttern.

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