75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Volles Rohr für Frieden

Kiew: Kompromissbereit, aber Dialog mit Putin sinnlos. Ukraine will USA »Siegesplan« vorlegen, der Eskalation im russischen Hinterland beinhaltet
Von Reinhard Lauterbach
Präsident Selenskij will mit solchen taktischen ATACMS-Raketensystemen Ziele tief in Russland angreifen
Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi, besuchte am Dienstag das Atomkraftwerk in Kursk

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat einander ausschließende Bedingungen für einen Frieden mit Russland formuliert. In Kiew sagte er, die ­Ukraine könne sich einen Kompromissfrieden vorstellen, aber ein Dialog mit Russland unter der Führung Wladimir Putins sei sinnlos. Putin wolle 30 Prozent der Ukraine behalten, dem werde Kiew nie zustimmen. Gleichzeitig betonte Selenskij, ihm liege daran, dass Russland an der zweiten Ausgabe des von der Ukraine initiierten »Friedensgipfels«, diesmal in einem Land des globalen Südens, teilnehme. Moskau hat dies bereits unter Verweis auf den ukrainischen Angriff auf das Gebiet Kursk abgelehnt.

Selenskij kündigte außerdem an, den USA einen Plan für den ukrainischen Sieg vorzulegen. Der Vorstoß auf Kursk sei Teil dessen. Ein anderer ist offenbar eine Liste mit 250 militärischen Zielen im tieferen Hinterland Russlands, die die Ukraine gern mit US-Raketen des 400 Kilometer weit reichenden Typs ATACMS beschießen würde. Dies setzt aber die Zustimmung der USA voraus, die es bisher zumindest offiziell nicht gibt. Eine Liste der möglichen Ziele hatte das US-amerikanische »Institute for the Study of War« in der Nacht zum Mittwoch veröffentlicht. Darunter sind offenbar 16 Militärflugplätze, im übrigen aber vorwiegend Kasernen und Treibstofflager. Eines davon im russischen Bezirk Rostow in relativer Frontnähe brennt auch eine Woche nach einem ukrainischen Angriff noch.

In Brüssel kamen am Mittwoch die Außen- und Verteidigungsminister der EU-Staaten zu Beratungen über die weitere Unterstützung der Ukraine zusammen. Auf dem Tisch liegt insbesondere ein von Frankreich vorgeschlagenes Mandat zum Einsatz europäischer Soldaten zur Ausbildung ukrainischer Truppen direkt in der Ukraine. Der Vorstoß findet offenbar die Unterstützung des scheidenden EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und einiger osteuropäischer Mitgliedstaaten; der Europäische Auswärtige Dienst hat aber in einem Gutachten vor den mit einer solchen Entsendung verbundenen Eskalationsrisiken gewarnt.

An der Front setzen russische Truppen ihren Vormarsch auf die Stadt Pokrowsk im Donbass fort. Medien beider Kriegsparteien berichteten über die Eroberung weiterer Ortschaften im östlichen und südöstlichen Vorfeld der Stadt. Die ukrainische Abgeordnete Marjana Besugla beschrieb auf Facebook ihre Eindrücke von einem Frontbesuch: Die vorbereiteten ukrainischen Stellungen seien »außer von Mücken von keinen anderen Lebewesen bevölkert« gewesen. Aus dem Bezirk Kursk wird von russischen Gegenangriffen und der Rückeroberung mehrerer Ortschaften berichtet. Angeblich hat die Präsidialverwaltung in Kiew inzwischen verboten, in Todesanzeigen für ukrainische Soldaten die Formel »gefallen bei Kursk« zu verwenden.

Derweil hat sich der Generalsekretär der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), Rafael Grossi, nach einem Besuch im russischen Atomkraftwerk Kursk besorgt über das Risiko eines »nuklearen Zwischenfalls« geäußert. Er habe Spuren von Drohnenangriffen im Umkreis der Anlage gesehen. Die Gefahr werde verschärft, da in Kursk vier Reaktoren des Tschernobyl-Typs RBMK installiert sind. Diese haben konstruktionsbedingt keine innere Umhüllung (Containment) und könnten deshalb bei einem Angriff auf das Reaktorgebäude schnell beschädigt werden. Grossi rief beide Seiten zu »äußerster Zurückhaltung« auf.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. August 2024 um 11:39 Uhr)
    Selenskyj erklärte eilig in den vergangenen Tagen, dass der ukrainische Vormarsch in Kursk beweise, dass Putins »rote Linien« ein Bluff seien und die westlichen Partner daher der Ukraine mit allen Mitteln helfen und die Beschränkung des Einsatzes von Waffensystemen gegen Russland aufheben sollten. Dies ist eine äußerst gefährliche Einschätzung, die den Westen in einen direkten Konflikt mit Russland verwickeln könnte, mit unvorhersehbaren globalen Dimensionen und Folgen. Denn Selenskyjs Gleichung trägt der Tatsache Rechnung, dass es bisher noch keine substanzielle und entschlossene Antwort aus Moskau gegeben hat – was aber nicht bedeutet, dass Russland und Wladimir Putin nicht reagieren werden.
    • Leserbrief von Wieland König aus Neustadt in Holstein (29. August 2024 um 14:36 Uhr)
      Ein Tag ohne fundamentale Weisheiten von Herrn Istvan Hidy in der jungen Welt ist zwar denkbar, aber sinnlos.
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. September 2024 um 11:24 Uhr)
        Herr König, wir leben in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Mein Name steht vor meinem Leserbrief, und Sie haben die Freiheit, ihn nicht zu lesen.

Ähnliche:

  • NATO-Staaten zahlen weitere 40 Milliarden zur Fortsetzung des Kr...
    05.07.2024

    Poker um den Frieden

    Moskau und Kiew sprechen von Möglichkeit eines Waffenstillstandes. USA und NATO setzen weiter auf Eskalation