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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 2 / Inland
Repressive Migrationspolitik

»Ein Instrument zur staatlichenKontrolle«

Bayern: Bezahlkarte macht Asylsuchenden das Leben schwer. Ein Gespräch mit Franziska Schmid
Interview: Hendrik Pachinger
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Wo keine Kartenzahlungen möglich ist, gucken Asylsuchende mit Bezahlkarte in die Röhre

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kündigte an, im Freistaat werde die Bezahlkarte für Geflüchtete »schneller und härter« eingeführt werden als in anderen Bundesländern. Ist das geschehen?

Obwohl auf dem Bund-Länder-Gipfel im November 2023 eine bundesweit einheitliche Lösung vereinbart wurde, hat Bayern mal wieder einen Alleingang hingelegt. Dabei wurden viele Modalitäten der Karte, die Bayern mehr oder weniger willkürlich festgelegt hat, zum Vorbild für die bundesweiten Standards. Bereits im März gab es hier erste Tests mit einem Bargeldhöchstbetrag von 50 Euro pro Person und Monat. Alles andere, was die Menschen benötigen, müssen sie nun per Kartenzahlung kaufen. Das ist ein krasser Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung und schränkt Geflüchtete stark in ihrem Alltag ein. Plötzlich fallen Möglichkeiten weg, günstig einzukaufen, zum Beispiel auf Flohmärkten. Auch geographische Einschränkungen machen das Leben schwer. In bestimmten Fällen sind die Karten auf ein Postleitzahlgebiet beschränkt. Wenn die nächstgelegene Stadt dann eine andere Postleitzahl hat und der Dorfladen keine Kartenzahlung akzeptiert, bedeutet das mitunter 10-20 Kilometer Umweg für eine Packung Windeln.

Sehr zu Söders Unmut wurde die Karte mit einigen Änderungen eingeführt, etwa mit der Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen. Wieso war das wichtig?

Menschen Überweisungen zu verwehren, bedeutet, sie vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Überweisungen sind notwendig, um grundlegende Güter erhalten zu können. Das betrifft zum Beispiel Anwaltskosten, Handy­verträge, das 49-Euro-Bahnticket oder günstige Einkäufe in Onlineshops.

Ohne die Überweisungsfunktion wäre es daher einfacher gewesen, die Bezahlkarte juristisch auszuhebeln. Allerdings ist auch die jetzige Lösung alles andere als optimal: Die Behörden prüfen nun im Einzelfall, welche Zahlungsempfänger auf eine sogenannte »Whitelist« kommen. (Eine Liste mit genehmigten Zahlungsempfängern, jW). Dabei ist allerdings nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien das genau geschieht. Auch datenschutzrechtlich ist dieses Vorgehen höchst fragwürdig: Den Staat sollte es eigentlich nichts angehen, welche Überweisungen ich tätigen möchten.

Die Karte wird als ineffizient, menschenverachtend und als Belastung für alle Beteiligten kritisiert. Teilen Sie diese Kritik?

Die Bezahlkarte ist ein staatliches Kontrollinstrument, das das Recht auf Selbstbestimmung von Geflüchteten untergräbt, sie in ihrem Alltag erheblich einschränkt und diskriminiert. Sie ist eine populistische Maßnahme, die eine nicht vorhandene Handlungsfähigkeit suggerieren soll, dabei aber weder vermeintliche noch reale Probleme löst. Die Bezahlkarte muss weg!

Ihre Organisation hat ein Informationsportal zum Thema Bezahlkarte eingerichtet und ruft auch zur Bildung von »Tauschaktionen« auf. Was ist das?

Wir möchten der staatlichen Diskriminierung praktische Solidarität entgegensetzen und halten neben unserer allgemeinen Kritik an der Bezahlkarte insbesondere die Bargeldeinschränkung von 50 Euro pro Person für höchst problematisch. Daher beteiligen wir uns an Aktionen, die Gutscheine, beispielsweise aus Supermärkten, gegen Bargeld eintauschen. Diese Gutscheine können Geflüchtete mit dem Guthaben auf ihrer Bezahlkarte kaufen, und sie erhalten dann den Gegenwert von Initiativen wie der »Offen!«-Kampagne aus München wieder als Bargeld. So können sie selbstbestimmt entscheiden, was und wo sie mit ihrem Geld einkaufen – wie alle anderen Menschen in diesem Land auch.

Sehen Sie eine Chance, dass die Einführung der Karte auf dem juristischen Weg verhindert werden kann?

Auf juristischem Weg gab es bereits Etappensiege. Die Sozialgerichte in Hamburg und Nürnberg haben festgestellt, dass die pauschalen und willkürlichen Einschränkungen, die mit der Bezahlkarte einhergehen, nicht rechtens sind, und sie haben damit den Klägern recht gegeben. Die Kommunen müssen nun prüfen, welche Einschränkungen im individuellen Fall zumutbar sind. Zwar haben die beiden Gerichte damit nicht die Bezahlkarte als Maßnahme an sich verworfen, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Kommunen einen derartigen Verwaltungsaufwand leisten werden können. Wichtig dafür ist allerdings, dass sich so viele Menschen wie möglich juristisch gegen die Bezahlkarte zur Wehr setzen.

Franziska Schmid ist als Beraterin beim Bayerischen Flüchtlingsrat tätig

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