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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 4 / Inland
Ausstellung abgesagt

»Cancel Culture« in Lichtenberg

Berlin: Bezirksamt sagt Ausstellung wegen »abweichender politischer Haltung« zu Nahostkonflikt ab
Von Saskia Jaschek
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Dann eben nichts anschauen. Das Bezirksamt will kein Ausstellungsort sein, in dem von einem »Völkermord in Gaza« die Rede ist

Weil Künstler in einem Werk den Begriff »Genozid« mit Bezug auf den Gazastreifen verwendeten, wurde ihre geplante Ausstellung in Berlin von der Stadt abgesagt. In der »rk – Galerie für zeitgenössische Kunst im Ratskeller« in Berlin-Lichtenberg sollte vom 23. August bis zum 13. November die Ausstellung »Of Love« zu sehen sein. Am Tag der geplanten Eröffnung sagte das zuständige Bezirksamt die Ausstellung jedoch samt dazugehöriger Vernissage ab. In einer Pressemitteilung vom Donnerstag begründete das Bezirksamt seine Entscheidung damit, »dass die politische Haltung des Bezirksamtes und die Haltung der Künstlerinnen und Künstler so abweichen, dass es zu keiner Einigung kommen konnte«.

Dabei schien das Thema der Ausstellung zunächst politisch wenig brisant. »Of Love« sollte sich mit altruistischen Taten des Mitgefühls in Natur und Gesellschaft befassen. »Taten, die aus Liebe geboren sind und von der Sorge für die Menschheit und dem Wunsch zeugen, eine Welt zu gestalten, in der man leben möchte«, heißt es in der Ausstellungsbeschreibung. Insgesamt 14 Künstler verschiedener Herkunftsländer hätten ihre Werke präsentieren sollen.

Das Bezirksamt hat laut eigener Aussage erst beim Ausstellungsaufbau Kenntnis über die einzelnen künstlerischen Objekte erhalten, in denen sich diese »abweichende Haltung« offenbarte. Um welche Kunstobjekte es sich handelte und was genau deren Inhalte waren, wurde nicht bekanntgegeben. In der Mitteilung heißt es lediglich, das Bezirksamt werde »kein Ausstellungsort sein, in dem über den ersten Jahrestag des 7. Oktober hinweg von einem ›Völkermord in Gaza‹ die Rede ist, ohne mit einem Wort die Greueltaten des 7. Oktober 2023 zu erwähnen«. Im Januar hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Zwischenurteil festgestellt, dass es zumindest plausible Anzeichen für die Behauptung gibt, Israel begehe in Gaza einen Völkermord.

Aus Künstlerkreisen heißt es gegenüber jW, Anlass des Disputs sei der Begriff »Genozid« in bezug auf Gaza in einem der Kunstwerke. Das Bezirksamt sei mit einer solchen Formulierung nicht einverstanden gewesen und untersagte die Veröffentlichung des Kunstwerkes. Statt dessen habe das Amt angeboten, entweder das betroffene Kunstwerk und die dazugehörige Beschreibung entsprechend anzupassen oder ein anderes Kunstwerk der betroffenen Person zu präsentieren. Ansonsten solle die Ausstellung ohne den betreffenden Künstler stattfinden. Dies habe man abgelehnt und entgegnet, die Ausstellung solle stattfinden, wie sie geplant worden war.

Die CDU Lichtenberg begrüßte »die Entscheidung von Bezirksbürgermeister Martin Schaefer, eine Ausstellung in der rk-Galerie abzusagen« und lobte »die klare Haltung des Bezirksbürgermeisters in dieser Angelegenheit«, wie die Berliner Morgenpost am Dienstag berichtete. Das Bezirksamt Lichtenberg erklärte gegenüber jW, man habe »Optionen diskutiert« und das Gespräch gesucht. Dies sei von der anderen Seite abgelehnt worden. Die Absage der Ausstellung sei auf Betreiben des Künstlerkollektivs zustande gekommen. Der betroffene Beitrag dürfe nicht mit dem Logo des Bezirksamtes »verteilt« oder »veröffentlicht« werden. Die Kunstfreiheit bleibe von dieser Entscheidung aber unberührt. Eine offizielle Stellungnahme zu dem Fall haben die Künstler bisher nicht abgegeben.

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli reagierte am Freitag auf X auf den Vorgang. »Egal, wie man zum Krieg in Gaza steht, als Demokrat können einem die Eingriffe auf Wissenschafts-, Kultur und Pressefreiheit doch nicht egal sein …« Das Kollektiv »Archive of Silence«, das palästinabezogene Zensur in Deutschland dokumentiert, kommentierte den Fall: »Und einmal mehr sehen wir, dass die überwältigende Mehrheit der zensierten Künstler in Deutschland jene sind, die rassifiziert werden. Es ist schade, dass wir ihre Kunstwerke nicht zu sehen bekommen – dies wäre eine Ausstellung gewesen, die die Stadt dringend gebraucht hätte.«

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