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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 5 / Inland
Hochschulpolitik

Studium existenzbedrohend

Statistikamt: Dreiviertel der allein wohnenden Hochschüler leben in Armut. Verbände fordern raschen Nachschlag bei Ausbildungsförderung
Von Ralf Wurzbacher
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Prekäres Lernen: Studenten hocken im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität (München, 16.10.2023)

Wer in Deutschland studiert oder eine Ausbildung absolviert und außerhalb des Elternhauses wohnt, ist in der Mehrzahl der Fälle arm. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Mittwoch mitteilte, betrifft dies 77 Prozent der allein lebenden Hochschüler und 54 Prozent der Azubis. In der Gesamtsicht fallen 35 Prozent aller Studierenden in diese Kategorie und 18 Prozent der jungen Menschen in Berufsvorbereitung. Ferner verdeutlichen die Zahlen einmal mehr: Staatliche Hilfsleistungen, namentlich die Bundesausbildungsförderung (BAföG), genügen nicht ansatzweise. Unter den Einnahmequellen der Betroffenen bilden entsprechende Bezüge oft nur noch ein Aufgeld neben dem Job, aber nichts, wovon sich existieren ließe.

Nicole Gohlke von Die Linke im Bundestag findet das »nur noch beschämend«. Mit ihrer Tatenlosigkeit bewiesen die politisch Verantwortlichen, dass ihnen »die jüngeren Generationen schlichtweg egal sind«, erklärte sie gestern in einem Pressestatement. Die Daten zeigten, »wie groß der Handlungsdruck beim BAföG weiterhin ist«, auch über die jüngste, zum bevorstehenden Wintersemester wirksam werdende Novelle hinaus, nahm Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerkes (DSW) gleichentags Stellung. Mit der Reform wird der BAföG-Höchstsatz inklusive Zuschüssen zum Wohnen und zur Kranken- und Pflegeversicherung 992 Euro betragen. Dagegen lag die amtliche Armutsschwelle für Einzelhaushalte 2023 bei 1.314 Euro netto im Monat, was 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung entsprach. Im Schnitt hätte im Vorjahr die Hälfte der Studierenden über Bezüge von weniger als 867 Euro verfügt, gaben die Wiesbadener Statistiker bekannt. Grundlage ihrer Befunde ist die europäische Gemeinschaftserhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen EU-SILC.

Nach dieser Messlatte galten zuletzt »nur« 14,3 Prozent der Menschen in Deutschland als »armutsgefährdet«, während von den Studierenden mit eigener Bleibe drei von vier in materiellen Nöten stecken. Hauptursache sind die exorbitant überhöhten Mieten, die laut Destatis im Mittel 54 Prozent ihrer Einkünfte verschlingen. In der Gesamtbevölkerung beläuft sich der Wert auf 25 Prozent. »Überlastung« tritt offiziell ab einem Niveau von 40 Prozent ein, für allein wohnende Studierende traf diese 2023 in 61 Prozent der Fälle zu. Demnächst steigt die Wohnkostenpauschale auf 380 Euro. Das sind zwar 20 Euro mehr als bisher, aber 30 Euro weniger als die sogenannte Düsseldorfer Tabelle vorgibt, die in Fragen des Unterhaltsrechts von Studierenden herangezogen wird. Selbst damit lässt sich in kaum einer deutschen Hochschulstadt ein WG-Zimmer auftreiben. Kritiker fordern schon länger, die Zuwendungen an den Preisen der örtlichen Wohnungsmärkte zu orientieren, was jedoch die Bundesregierung mit ihrer Reform unterließ.

DSW-Chef Anbuhl monierte: »Die Wahl der Hochschule hängt immer mehr davon ab, ob ich mir dort die Miete in der Stadt leisten kann. Das ist eine neue Form der sozialen Auslese!« In »dringender Bringschuld« sieht Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Ampel desgleichen in puncto Bedarfssätze. Über die kümmerliche Zugabe von fünf Prozent hinaus brauche es »noch in dieser Wahlperiode eine kräftige BAföG-Reform mit dem Richtwert von mindestens 1.200 Euro als Vollzuschuss, der nicht zurückbezahlt werden muss«, befand er gegenüber junge Welt. Gemäß Destatis bezeichnen bloß noch 14 Prozent der Studierenden mit eigener Haushaltsführung das BAföG oder Stipendien als wichtigste Einkommensart. Eine weit größere Rolle spielen Unterhaltszahlungen der Eltern (41 Prozent) und Erwerbsarbeit neben dem Studium (36 Prozent).

»Ein Vollzeitstudium ist ein Vollzeitjob«, weshalb auch das BAföG die »einzig notwendige Einkommensquelle« von Studierenden zu sein habe, äußerte sich am Mittwoch im jW-Gespräch Niklas Röpke, Vorstandsmitglied beim studentischen Dachverband FZS. Er erinnerte an ein bevorstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vermutlich die Regeln zur Ermittlung der Bedarfssätze beanstanden wird. Auch deshalb müsse für alle Parteien eine umfassende Reform ein Kernanliegen der Bildungspolitik ihrer Wahlprogramme zur Bundestagswahl sein, »alles andere wäre realitätsfern«. Bis es allerdings so weit sei, müsse der Mindestlohn »schon jetzt drastisch angehoben werden, um die notwendige Arbeitszeit neben dem Studium zu senken«, so Röpke.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. August 2024 um 15:28 Uhr)
    Ein Staat, der bevorzugt Kasernen baut statt Studentenwohnheime, bringt seine Prioritäten dadurch unmissverständlich zum Ausdruck. Kanonenfutter muss nicht auch noch akademisch oder gar gebildet und wo möglich auch noch kritisch eingestellt zu sein. Es hat zu gehorchen und Befehle auszuführen! Außerdem gibt es da ja noch die »künstliche Intelligenz«. Da kann sich das Kapital ein breites Kontingent an »natürlicher Dummheit« als Teil einer strategischen »industriellen Reservearmee« locker leisten. Und die »hoch qualifizierten Fachkräfte« kommen ja angeblich mehrheitlich eh aus dem Ausland. Na, dann ist ja alles klar. Dann brauchen wir nur noch die Welt zu erobern.

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