Wut in Kolkata instrumentalisiert
Von Thomas BergerSchlagstöcke, Wasserwerfer, Tränengas: In der 20-Millionen-Metropole Kolkata ist die Polizei am Dienstag mit Gewalt gegen einen Protestmarsch vorgegangen – ein Hauptthema in Onlinekanälen und auf den vorderen Seiten der indischen Zeitungen. Es gab laut Berichten mehrere Verletzte und 200 Festnahmen. Die Demonstranten, die den Amtssitz der Regionalregierung von Westbengalen zum Ziel hatten und die Barrikaden überwunden hatten, forderten den Rücktritt von Chefministerin Mamata Banerjee, die seit 13 Jahren in dem Unionsstaat regiert. Die jüngsten Ereignisse reihen sich ein in landesweite Wut, Erschütterung und Proteste, nachdem am 9. August der Fall einer in Ausbildung befindlichen Ärztin publik wurde, die vor ihrer Ermordung laut bisherigen Erkenntnissen mutmaßlich von mehreren Männern vergewaltigt worden war. Brutale sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist im bevölkerungsreichsten Land der Erde zwar alles andere als ein seltenes Vorkommnis. Doch der aktuelle Fall, bei dem im als geschützt geltenden Raum einer Klinik eine junge Medizinerin das Opfer wurde, hat eine besondere Schockwirkung.
Mamata Banerjee war genau eine Woche nach der Tat selbst bei einer Protestdemo mitmarschiert. Die von ihr geführte Regionalregierung hat eine Sonderkommission zur Untersuchung des Vorfalls am R. G. Kar Medical College and Hospital eingesetzt, auch das CBI (mit dem deutschen Bundeskriminalamt vergleichbar) und andere Behörden ermitteln. Der bisherige Hauptverdächtige wird weiter verhört, um an vermutete Mittäter zu kommen. Für aktivistische Gruppen ist es ein weiterer Anlass, mehr effektiven Schutz für Frauen vor sexuellen Übergriffen, klare juristische Aufarbeitung von Gewalttaten mit angemessenen Strafen und ein gestärktes gesellschaftliches Bewusstsein für das tieferliegende Problem zu fordern. Im Rahmen der ersten landesweiten Protestwelle, von Beschäftigten des medizinischen Sektors angeführt, waren auch ganz praktische Verbesserungen eingebracht worden, die zügig umzusetzen wären. So forderten etwa im Unionsstaat Telangana Ärztinnen in Ausbildung bei einem Treffen mit der Vorsitzenden der staatlichen Frauenkommission, Nerella Sharada, Videoüberwachung in Krankenhäusern zu installieren, um weibliche Beschäftigte zu schützen.
Die auf nationaler Ebene regierende hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi, die bei den Wahlen vor drei Monaten einen deutlichen Dämpfer erhalten hatte, versucht nun offenbar, parteipolitischen Nutzen zu schlagen, die Proteste zu kapern und sie gezielt gegen die zur Oppositionsfront gehörende Banerjee und deren Partei, den Trinamool Congress (TMC), zu richten. Der eskalierte Marsch am Dienstag war zwar von einer bisher wenig bekannten Studierendenvereinigung organisiert worden, deren Sprecher vor Reportern darauf hinwiesen, dass sich Mitglieder diverser Parteien unter den Teilnehmenden befunden hätten. Auffällig waren aber vor allem BJP-Stimmen, und nach der Polizeigewalt waren es die bengalischen Hindu-Nationalisten, die für Mittwoch zu einem Zwölfstundenstreik aufriefen. Aktivisten blockierten in Kolkata unter anderem Busse. Schulen und Unis blieben zwar geöffnet, dennoch gab es diverse Einschränkungen, etliche Geschäfte in der Innenstadt blieben den zweiten Tag geschlossen.
Die seitens der politischen Rechten, aber auch von progressiven Gruppen unter Druck stehende Banerjee ist versucht, proaktiv zu reagieren und hat bei einer für nächste Woche einberufenen Sondersitzung des Regionalparlaments binnen zehn Tagen ein neues Gesetz angekündigt. Dieses sieht – wenig progressiv – die Todesstrafe für Vergewaltiger vor. Sofern Gouverneur C. V. Ananda Bose, ein Parteigänger Modis, seine Unterschrift zur Inkraftsetzung verweigere, was sie annehme, wolle man vor seinen Amtssitz ziehen. Lokale Vertreter der größten nationalen Oppositionspartei Indian National Congress (INC) sprachen sich ebenfalls für verschärfte Gesetze aus und warnten die BJP vor einer Instrumentalisierung der Proteste.
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