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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 7 / Ausland
Palästina

Schlinge zugezogen

Westbank: Tote nach großangelegten Razzien Israels in besetztem palästinensischem Gebiet. Bewohner unter Belagerung
Von Gerrit Hoekman
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Das ganze Ausmaß der Zerstörung gibt es nicht zu sehen: Aufmarsch der israelischen Armee am Mittwoch in Dschenin

Bei der größten Razzia in der Westbank seit mehr als 20 Jahren hat die israelische Besatzungsarmee in der Nacht zu Mittwoch mindestens neun Palästinenser erschossen und elf weitere verletzt. Das meldete die amtliche palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. Offenbar handelt es sich um eine großangelegte Militäroffensive auf die Flüchtlingslager in Dschenin, Tulkarem und Tubas mit insgesamt rund 80.000 Einwohnern. Die Soldaten würden Krankenhäuser belagern und wichtige Infrastruktur zerstören, berichtete WAFA. Zuvor hatte das Militär die Namen von fünf Palästinensern veröffentlicht, die als »militante Kämpfer« identifiziert worden sein sollen und am Montag in Tulkarm getötet wurden. Der 20jährige Dschibril Ghassan Dschibril war im November im Rahmen des Gefangenenaustauschs aus israelischer Haft befreit worden. Die bewaffneten Flügel der Hamas, des »Islamischen Dschihad« und der Fatah führten in getrennten Erklärungen aus, dass ihre Kämpfer in den drei Gebieten im Westjordanland Bomben gegen israelische Militärfahrzeuge zündeten. Sie seien »in gewaltsame Zusammenstöße mit den Besatzungstruppen verwickelt«.

Aus Israel drohte Außenminister Israel Katz: »Das ist ein Krieg um alles, und wir müssen ihn gewinnen«; man müsse »mit der Bedrohung aus dem Westjordanland genauso umgehen wie mit Gaza«. Landwirtschaftsminister Avi Dichter wurde von der Times of Israel ergänzend zitiert: »Wenn wir Menschen evakuieren müssen, werden wir sie evakuieren«, um die israelischen Truppen zu schützen. Natürlich könnten die Palästinenser zurückkehren, sobald es in ihren Wohngebieten wieder sicher sei.

Tatsächlich habe die israelische Besatzungsmacht die Bewohner des Flüchtlingslagers Nur Schams in der Nähe von Tulkarem aufgefordert, das Lager innerhalb von vier Stunden zu evakuieren, meldeten WAFA und die palästinensische Nachrichtenseite Maan am Mittwoch mittag. In dem Lager sei ein Militärposten eingerichtet worden, an dem die Menschen vor dem Verlassen des Lagers durchsucht werden sollen. Nur Schams hat im Moment etwa 6.000 Einwohner. Das Militär widersprach der Meldung. Es habe den Bewohnern nicht befohlen, sondern lediglich freigestellt, das Lager zu verlassen und sich in »sichere Zonen« zu begeben. Wo sich diese angeblich sicheren Zonen befinden, was die Bevölkerung dort vorfinden wird und wie lange die Menschen dort bleiben müssen, teilte die Armee nicht mit. Einige Familien hätten trotzdem begonnen, ihre Häuser zu räumen, erfuhr Maan von einer Quelle in Nur Schams. Für die östliche Region Dschenin soll die Armee eine Ausgangssperre verhängt haben, meldete WAFA.

Times of Israel erfuhr aus Militärkreisen, dass die gesamte Operation in der Westbank mehrere Tage dauern solle. Sie finde in dem Gebiet statt, aus dem der Mann stamme, der vergangene Woche in Tel Aviv einen Anschlag verüben wollte. Der Attentäter starb, als seine Bombe früher als geplant explodierte. Ein Passant wurde leicht verletzt. Die Hamas und der »Islamische Dschihad« bekannten sich gemeinsam zu dem versuchten Anschlag. Die Armee vermutet, der Attentäter, der aus der Westbank stammte, habe zu einem Terrornetzwerk gehört, das mit der Razzia ausgehoben werden soll. Mehrere gesuchte Personen seien bereits verhaftet worden. Das Ziel sei außerdem, in den Flüchtlingslagern versteckte Sprengsätze unschädlich zu machen.

Angesichts der Eskalation brach der palästinensische Präsident Mahmud Abbas seinen Staatsbesuch in Saudi-Arabien ab, wo er sich mit Kronprinz Mohammed bin Salman getroffen hat. Das israelische Vorgehen werde »gefährliche Konsequenzen« haben, warnte Abbas’ Sprecher Nabil Abu Rudeina laut WAFA. »Jeder wird den Preis zahlen« für die Eskalation. Der Angriff sei »die Fortsetzung eines umfassenden Krieges gegen unser Volk, unser Land und unsere heiligen Stätten«, der »keiner Seite Sicherheit oder Stabilität bringen wird«.

Israel beabsichtige »seit sehr, sehr langer Zeit, große Teile des Westjordanlandes zu annektieren und ethnisch zu säubern«, sagte der in den USA lebende, palästinensische Politikanalyst Omar Baddar am Mittwoch auf Al-Dschasira. »Ich denke, dass sie (die Armee) angesichts der Tatsache, dass die Welt durch den Horror, den Israel in Gaza entfesselt, abgelenkt ist, eine Gelegenheit sieht, die Lage im Westjordanland zu eskalieren.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. August 2024 um 23:05 Uhr)
    Es scheint, als hätten einige zionistische Strömungen von Anfang an das Ziel verfolgt, ein Großisrael zu etablieren. Bestimmte politische Kräfte arbeiten weiterhin daran, diese Vision zu verwirklichen. Während dies in der Vergangenheit mit Unterstützung des Westens möglich wäre, ist es in der heutigen Informationsgesellschaft schwieriger geworden, solche Bestrebungen zu verschleiern. Der Konflikt hat vor allem für die Palästinenser schwerwiegende Konsequenzen, und ohne eine baldige Lösung wird ihr Leid unvermindert fortdauern. Es ist bedauerlich, dass bislang keine Bereitschaft besteht, anzuerkennen, dass dauerhafter Frieden in der Region für alle Beteiligten, einschließlich Israels, von entscheidender Bedeutung ist.

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