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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 8 / Ausland

Keine Schlafwandler

Vorschlag für EU-Militärausbilder in Ukraine
Von Reinhard Lauterbach
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Wolodimir Selenskij besucht ukrainische Soldaten, die noch in Deutschland ausgebildet werden (11.6.2024)

Angesichts der insbesondere von Frankreich vorgelegten Pläne zur Ausbildung des ukrainischen Militärs durch Soldaten aus EU-Staaten direkt in der Ukraine wäre es bequem, Christopher Clarks Metapher von den »Schlafwandlern« wiederzubeleben, die Europa in den Ersten Weltkrieg geführt hätten.

Tatsächlich stimmt diese Metapher für 1914 nicht, und sie wird auch 2024 nicht passen: weil sie eine Reflexion vom Ende her darstellt, die sich die Frage stellt, wie jemand mit wachem Verstand und funktionierenden Beraterstäben eine so fatale Dynamik habe zulassen können. Es hat aber 1914 auch niemand mit dem gerechnet, was in den kommenden vier Jahren passiert ist; und tatsächlich ist es offenbar so, dass die »Stabsoffiziere« vom Auswärtigen Dienst der EU vor den Eskalationsrisiken warnen, die ein solcher Schritt mit einiger Wahrscheinlichkeit mit sich bringen würde.

Zumindest würde er das russische Narrativ bestätigen, dass EU und NATO in der Ukraine bereits aktive Kriegspartei seien. Und ein Schlag gegen ukrainische Orte, wo solche Ausbilder tätig wären, wäre aus russischer Sicht wesentlich weniger riskant als zum Beispiel ein Beschuss des US-Truppenübungsplatzes Grafenwöhr oder des Bundeswehr-Übungsgeländes in der Lüneburger Heide, wo ukrainische Soldaten das »Himars«-Schießen und »Leopard«-Fahren lernen. Er wäre nämlich kein Angriff auf NATO-Gelände, er würde damit nicht automatisch den Beistandsmechanismus nach Artikel 5 in Gang setzen; insofern ist der französische Vorschlag elementar dumm. Emmanuel Macron bringt damit das Leben seiner Soldaten willentlich und bewusst in Gefahr. Das könnte einem noch egal sein, solange es sich um Berufsmilitärs handelt, die wissen (sollten), worauf sie sich mit ihrer Unterschrift eingelassen haben. Kann es aber nicht, weil sich jeder ausrechnen kann, welchen Grad an Kriegshysterie es in Teilen der westlichen Öffentlichkeiten auslösen würde, wenn »eigene« Soldaten beim Einsatz in der Ukraine fallen sollten.

Denn es gibt in westlichen Hauptstädten Politiker, die die Eskalationsspirale bewusst weiterdrehen wollen: Stichwort »strategische Ungewissheit« für Russland. Polens Außenminister Radosław Sikorski gehört dazu, der diesen Terminus in den politischen Sprachgebrauch eingeführt hat, Macron, der Präsident ohne Mehrheit, die notorischen Scharfmacher aus dem Baltikum und die ganze Plejade von Berliner Bellizisten, deren Namen zu erwähnen hier nicht der Platz ist. Sie alle spielen das Spiel von Wolodimir Selenskij mit. Der jedoch macht mit jeder seiner Stellungnahmen deutlich, dass er nur überleben kann, wenn der Westen stärker »ins Risiko geht«. Also will er ­genau das erreichen; und seine nützlichen Idioten ziehen mit.

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  • Leserbrief von H.S. aus Silbach (29. August 2024 um 14:36 Uhr)
    Bei Betrachtung des oben gezeigten Bildes dreht sich mir der Magen um. Wenn ich mich nicht irre, sehe ich den deutschen Verteidigungsminister Pistorius, wie er in Deutschland ausgebildete vermummte Krieger freudig begrüßt (die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben) oder sogar verabschiedet, um in Russland andere Krieger oder auch unbeteiligte Zivilisten zu töten. Er schickt sie in ein Land, das Deutschland nichts, aber auch gar nichts getan hat, ganz im Gegenteil, durch ein friedliches Zusammenleben nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland durch vorteilhafte Wirtschaftsverbindungen mit Russland zur bestimmenden Macht in Europa aufgestiegen, Deutschland hat durch vernünftige Politik beider Seiten die Wiedervereinigung erreicht, russische Soldaten sind aus Deutschland abgezogen, und nun dieser Hass der deutschen Regierung und der deutschen Medien auf Russland. Was da wieder hochkommt, einfach ekelhaft.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. August 2024 um 20:32 Uhr)
    Ich kann mich der Argumentation, der Macron-Vorschlag sei »elementar dumm« nicht anschließen. Die WW-Strategie ist doch, einen Verschleißkrieg führen zu lassen und sich selber bis Unterkante Oberlippe aufzurüsten. Genau die Kriegshysterie durch den Tod eigener Soldaten ist angestrebt und Bestandteil des Kalküls. Macron würde sie außerdem noch helfen, innenpolitisch leichter über die Runden zu kommen. Frankreich hat dazu den strategischen Vorteil, dass es dort keine amerikaischen Militärbasen gibt und die russischen Spielverderberraketen knapp bis an die französiches Grenzen reichen (bis Büchel z. B.). Irgendwie stellt sich bei mir die Assoziation ein, der WW betrachte Putin als den schwarzen Ritter aus »Die Ritter der Kokosnuss«.
    • Leserbrief von N. Schreiber aus München (30. August 2024 um 05:39 Uhr)
      Yep, mit entsprechend tiefschwarzem Humor ausgestattet, ist Monty Pythons Schwarzer-Ritter-Clip selber genauso lustig wie diese Assoziation in diesem Kontext. Lustig, weil wahr. Die Realitätsverweigerung der Herrscher im Westen ist ja nun schon wirklich grotesk. So grotesk, dass sie zur nächsten Assoziation führt, zu einem Zitat Brechts: »Die Kapitalisten wollen keinen Krieg. Sie müssen ihn wollen.«

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