Narben auf dem Kopf
Von André WeikardWenn Roy (Russell Crowe) morgens aus dem Bett steigt, muss er von einem Zettel am Badezimmerspiegel ablesen, wie er heißt. Diagnose Alzheimer. Die Gesichter seiner besten Freunde, der Name seiner Mutter, alles weg. Oder doch nicht wirklich weg, nur verschüttet. In Flashbacks gewittern einzelne Erinnerungen über Roy herein. Szenen im Krankenhaus. Eine Hirn-OP. Daher also die Narben quer über den Kopf.
Roy ist ein Excop. Seit einem Unfall leidet er an Erinnerungsstörungen. Um sein Hirn wieder in Gang zu bringen, puzzelt er. Und liest alte Fallakten. Er lässt sich sogar darauf ein, einen Mann, der seit zehn Jahren seinetwegen im Todestrakt sitzt, im Gefängnis zu besuchen. Er sei unschuldig, beteuert der. Und Roy glaubt ihm.
Die Ausgangssituation des Thrillers »Sleeping Dogs«, in Deutschland mit dem überflüssigen Untertitel »Manche Lügen sterben nie« versehen, ist wenig originell, aber durchaus reizvoll. Hauptdarsteller Russell Crowe, längst kein Gladiator mehr, sondern ein kugelbäuchiger, älterer Mann, der durch die Gegend tapst wie ein angetrunkener Braunbär auf der Suche nach einem Plätzchen, um seine Notdurft zu verrichten, macht sich gut als Roy. Wortkarg und einigermaßen naiv wühlt er in der Vergangenheit. Auf seine Ein-Mann-Ermittlungen folgen bald mysteriöse Todesfälle, ein Manuskript taucht auf, in dem die Vorgeschichte des Mordes geschildert wird und – wie es sich für einen klassischen Thriller gehört – auch eine kühle, attraktive Frau (Karen Gillan).
Der Bär ist der Femme fatale zu keiner Zeit gewachsen. Das erkennt der Zuschauer recht schnell. Und das macht den Charme dieses Neo-Noir-Films aus, der zudem recht zügig immer neue Figuren einführt und mit Schilderungen aus deren jeweiliger Perspektive das Bild der Mordnacht vervollständigt. Ein Puzzle eben.
Bei der US-Kritik fiel der Thriller dennoch weitgehend durch. Man mag sich an dem hanebüchenen Verlauf von Roys Krankheit stören, die mit einer Altersdemenz schlicht nichts zu tun hat und den Cop einerseits daran hindert, seinen Expartner (Tommy Flanagan) wiederzuerkennen, anderseits aber in die Lage versetzt, einen vor zehn Jahren vergraben Gegenstand wiederzufinden und auszubuddeln. Den Täter hat die Hälfte des Kinosaals zur Mitte des Films vermutlich erraten, die andere Hälfte ahnte es von Anfang an. Auch die Schauplätze, hier ’ne Bar, da ein Schlachthof, noch ’ne Bar, fügen dem Genrerepertoire wenig Neues hinzu.
Trotzdem hat Regiedebütant Adam Cooper einen guten Job gemacht. Die verworrene Geschichte der 384 Seiten starken Romanvorlage »Buch der Spiegel« von Eugene Chirovici in knapp zwei Stunden Spielzeit zu zwängen, war weiß Gott nicht einfach. Der große Unsympath des Films ist gelungenerweise nicht der Mörder, sondern das Opfer. Und Russell Crowe kann seinen verdutzen Hush-Puppy-Blick ausgiebig anbringen. Einen Oscar wird es dafür nicht geben. Aber dafür hatte man nach dem Dreh auch nicht so viel Sand zwischen den Zehen. Russell Crowe wird zufrieden sein. In »Gladiator II«, angekündigter Start im November, spielt er nicht mehr mit.
»Sleeping Dogs: Manche Lügen sterben nie«, Regie: Adam Cooper, Australien/USA 2024, 110 Min., Kinostart: heute
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