75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 5 / Inland
Nahrungsmittelindustrie

Kostenfalle Konsum

Verbraucherzentrale fordert Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel. Ein Papiertiger, befürchten Kritiker
Von Gudrun Giese
imago0240549422h.jpg
Vor dem Kassenband sitzt das Geld im Portemonnaie überhaupt nicht mehr locker

Die Lebensmittelpreise sind seit 2021 in der Bundesrepublik um 33 Prozent gestiegen, womit diese Entwicklung deutlich über der Gesamtinflationsrate von 20 Prozent im selben Zeitraum liegt. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) fordert für eine größere Transparenz nun die Einrichtung einer Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel.

Möglich wäre das, erklärte am Donnerstag VZBV-Vorständin Ramona Pop bei einer Pressekonferenz in Berlin. Das habe ein Gutachten der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) im Auftrag ihrer Institution ergeben. Wie bereits bestehende Preisbeobachtungsstellen etwa in Frankreich und Spanien zeigen, wird so transparent, an welchen Stellen der Wertschöpfungs- und Lieferketten Kosten anfallen und Preise gebildet werden. Wie das konkret in Frankreich abläuft, erläuterte Hans-Christian Behr von der AMI am Beispiel der Preisentwicklung für teilentrahmte Milch von 2017 bis 2022. Tatsächlich stiegen in diesem Zeitraum Erzeuger- und Verbraucherpreis in vergleichbarer Größenordnung. Aber bereits die Preisbildung bei einem Kilogramm Rispentomaten im Jahr 2019 verdeutlichten, wie viele Einzelfaktoren bisher eben nicht bekannt sind. Eine Preisbeobachtungsstelle könne hier zu mehr Klarheit verhelfen.

Allerdings würden die Lebensmittelpreise mit einer solchen Einrichtung nicht zwangsläufig sinken, stellte der Studienautor klar. Es werde mehr Transparenz über die Preisbildung hergestellt, doch gebe es keine Möglichkeit zu direkten Markteingriffen. Im Mittelpunkt stehe die Information der Öffentlichkeit. VZBV-Vorständin Pop musste zudem einräumen, dass Deutschland innerhalb der Europäischen Union in diesem Bereich ohnehin eher die Nachhut bilde als den Vorreiter. Die EU sei sehr stark interessiert an nationalen Preisbeobachtungsstellen, die nach einheitlichen Kriterien die Entwicklung der Lebensmittelpreise erheben und auswerten würden. So wäre eine kohärente Preisbeobachtung im »europäischen Binnenmarkt« möglich, so Pop.

Sie schlug vor, zunächst die Preisbeobachtung nur auf frische und wenig verarbeitete Grundnahrungsmittel anzuwenden. Dabei sollten ökologisch und konventionell erzeugte Lebensmittel separat erfasst werden, da ihre Wertschöpfung sich unterscheide. Ein jährlicher Preisbericht solle dann im Bundestag präsentiert werden und gesellschaftliche Debatten sowie konkrete Handlungen anregen. Einschränkend verwies die VZBV-Vorständin auf die schwierigen Bedingungen des Agrarsektors, der zunehmend von den Folgen des anhaltenden Klimawandels betroffen sei. Kriege und andere internationale Konflikte wirkten sich ebenso auf das vorhandene Angebot an Landwirtschaftsprodukten und ihre Preise aus.

Letztlich blieb die Frage vollständig offen, inwieweit sich eine Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel dämpfend auf die Entwicklung der Preise auswirken könnte. Doch genau das wäre nötig, da die Lebensmittelpreise auch nach der Abflachung der Inflation auf weiterhin hohem Niveau verharren. Pop wies darauf hin, dass insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen einen überproportionalen Anteil ihres Geldes für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs aufwenden müssten. Zugleich klagten aber auch viele Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte über zu geringe Einnahmen. Eindeutig geklärt sei eben nicht, wie die Preise gebildet würden. »Die Lebensmittelpreise gleichen einer Blackbox«, sagte die VZBV-Frau. »Die hohen Umsätze der Lebensmittelindustrie geben Anlass zur Vermutung, dass hier auf Kosten von Verbraucher:innen Kasse gemacht wird.« So werde auch eine gesunde Ernährung zunehmend zu einer Frage des Einkommens. Angesichts der Marktmacht einiger weniger Handelsunternehmen wie Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) dürfte es jedoch eigentlich kein Geheimnis sein, dass viele Lebensmittelpreise zustande kommen, indem möglichst gute Renditen eingepreist werden. Dem könnte auch eine Beobachtungsstelle kaum einen Riegel vorschieben.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Unkrautvernichtungsmittel Roundup: Die einen halten es für beden...
    12.04.2023

    Ertragreiches Gift

    Pflanzenschutzmittel: Umwelthilfe und Foodwatch opponieren juristisch gegen Pestizidzulassung. Bauernbund warnt vor Ernteausfällen
  • Magermilchpulver bis zur Decke in einer Lagerhalle am Seehafente...
    09.08.2017

    Die Wende fördern

    Debatte um Agenda der EU-Agrarpolitik ab 2021 nimmt Fahrt auf. Bauern-, Umwelt- und Verbraucherorganisationen fordern ­grundlegende Reform
  • Legehennenhaltung in großen Beständen &nd...
    18.01.2014

    Zeit für die Agrarwende

    Grüne Woche: Bauern-, Naturschutz- und Verbraucherverbände für Umdenken bei Tierhaltung. Strategien gegen Lebensmittelverschwendung und Umweltbelastung gefordert

Mehr aus: Inland