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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 12 / Thema
Geopoliitk

Schiffe versenken

Im südchinesischen Meer kämpfen vor allem die Volksrepublik und die Philippinen um Riffe und Atolle. Dabei geht es um sehr viel mehr als die Frage, wer sein Fähnchen in eine Sandbank steckt
Von Jörg Kronauer
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Wiederkehrende Scharmützel. Ein Boot der chinesischen Küstenwache schießt mit einer Wasserkanone auf ein philippinisches Versorgungsschiff in der Nähe des Riffs Second Thomas Shoal im südchinesischen Meer (5. März 2024)

Die beiden Videos ließen nur wenig Raum für Zweifel. Das erste, vom chinesischen Sender CCTV verbreitet, zeigte deutlich, wie ein philippinisches Schiff ein chinesisches an der Seite rammte, bevor es davonfuhr. Auf dem zweiten war zu sehen, wie ein chinesisches Schiff auf das Heck eines philippinischen prallte. Die Schäden hielten sich in beiden Fällen offenkundig in Grenzen – und dennoch wogen die Kollisionen schwer. Bereits seit dem vergangenen Jahr, verstärkt in jüngster Zeit, war es immer häufiger zu gewaltförmigen Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik und den Philippinen um das Second Thomas Shoal gekommen, ein Riff im Südchinesischen Meer. Der jüngste Zusammenstoß am 19. August 2024 aber war an anderer Stelle geschehen, nämlich beim Sabina Shoal, einem Atoll, auf das sowohl China als auch die Philippinen Anspruch erheben. Der Konflikt zwischen den beiden Staaten, ohnehin gefährlich genug, hat sich damit also ausgeweitet.

Ökonomisch und strategisch ­wichtig

Das Südchinesische Meer, das sich von Singapur und der dortigen Straße von Malakka im Südwesten bis Taiwan im Nordosten erstreckt, besitzt ökonomisch erhebliche Bedeutung. Zum einen liegen unter dem Meeresboden umfangreiche Vorräte an Erdöl und Erdgas. Die U.S. Energy Information Administration schätzt sie auf 3,6 Milliarden Barrel Öl sowie 1,14 Billionen Kubikmeter Gas. Davon befindet sich der überwiegende Teil in Gebieten, deren territoriale Zugehörigkeit unumstritten ist. Größter Förderer von Erdöl aus dem Südchinesischen Meer ist derzeit Malaysia, größter Förderer von Erdgas China. Darüber hinaus verlaufen über das Gewässer bedeutende Seehandelsrouten. Im Jahr 2016 wurden gut 21 Prozent des gesamten Welthandels – Güter im Wert von rund 3,4 Billionen US-Dollar – auf diesem Wege transportiert. Ein Drittel davon kam aus oder ging nach China. Insbesondere wurden 37 Prozent des weltweit auf dem Seeweg gehandelten Öls und 34 Prozent des verschifften Flüssiggases (Liquefied Natural Gas, LNG) über das Südchinesische Meer transportiert. Der größte Teil davon war ebenfalls für die Volksrepublik bestimmt.

Zur ökonomischen Bedeutung des Südchinesischen Meeres kommt eine enorme strategische Relevanz. Bei einem möglichen Krieg um Taiwan würden der militärische Aufmarsch und vermutlich auch Kämpfe in den nordöstlichen Teilen des Gewässers stattfinden. In einem etwaigen Krieg gegen China wären Angriffe des Westens über das Südchinesische Meer gut denkbar – auf ähnlichen Routen wie die, auf denen im 19. Jahrhundert die europäischen Kolonialmächte ihre Kriegsschiffe zur Unterwerfung des Reichs der Mitte anrücken ließen. Von Taiwan über die Philippinen bis Borneo reicht außerdem die südliche Hälfte der ersten Inselkette, die zumindest bis zur langgestreckten südwestphilippinischen Insel Palawan aktuell von den Vereinigten Staaten kontrolliert wird. Von dort aus ließen sich chinesische Handels- und Kriegsschiffe von der Fahrt in den Pazifik abhalten, von dort könnten die USA und die westlichen Verbündeten den Süden der Volksrepublik beschießen oder China auch anderweitig angreifen. Die Frage, wer das Südchinesische Meer letztlich kontrolliert, ist alles andere als banal.

Anrainer mit Ansprüchen

Das hat auch sehr viel damit zu tun, wem die zahlreichen Riffe, Sandbänke und Inselchen in dem Gewässer gehören. Da wären zunächst die Paracel Islands, eine Gruppe von gut drei Dutzend Inseln und einer Vielzahl winziger Riffe, die 350 Kilometer südöstlich der südchinesischen Insel Hainan und in etwa ebenso weit östlich der vietnamesischen Hafenstadt Da Nang liegen. Ihre Fläche oberhalb des Meeresspiegels beläuft sich, alles zusammengenommen, nur auf gut sieben Quadratkilometer; sie sind aber über ein Meeresgebiet von 15.000 Quadratkil ometern verstreut. Die Spratly Islands wiederum erstrecken sich weiter südöstlich, ab 100 Kilometer vor der Küste von Palawan, dem malaysischen Teil Borneos und dem Sultanat Brunei; einige von ihnen, die Vanguard Bank etwa, sind der gegenüberliegenden Küste Vietnams schon näher als Borneo. Die mehr als 100 Inseln und Riffe sind über ein Meeresgebiet von beinahe 410.000 Quadratkilometern verstreut, das ist mehr als die Fläche der Bundesrepublik. Hinzu kommen einige einzelne Atolle, etwa Pratas Island, 320 Kilometer südöstlich von Hongkong, 450 Kilometer südwestlich von Kaohsiung (Taiwan), oder Scarborough Shoal, gut 200 Kilometer westlich der philippinischen Hauptinsel Luzon.

Ansprüche auf zumindest einige Inseln erheben alle Anrainer des Südchinesischen Meeres. Malaysia, Brunei und die Philippinen reklamieren eine oder mehrere der Spratly Islands für sich, die Philippinen sehen sich zudem als rechtmäßige Eigentümer des Scarborough Shoal. Vietnam wiederum ist der Auffassung, ihm gehörten sämtliche Paracel wie auch alle Spratly Islands. China und Taiwan beanspruchen gleichermaßen alle Inseln im Südchinesischen Meer für sich. Der Hintergrund: Die Kolonialmacht Frankreich, selbst bloß am vietnamesischen Festland interessiert, hatte 1885 im Vertrag von Tianjin erklärt, alle Inseln östlich von Vietnams Küste sollten »China zugeordnet werden«. Als Paris in den 1930er Jahren unter Bruch des Vertrags erste Inseln in Beschlag zu nehmen begann, verwahrte sich Beijing dagegen: Es ließ eine Landkarte erstellen, auf der eine unterbrochene Linie aus neun Strichen alle Inseln umgab. Die Neun-Striche-Linie sollte der Abwehr weiterer französischer Kolonialexpansion dienen. Taiwan, das sich heute als Nachfolgestaat der damaligen Republik China begreift, hat die Neun-Striche-Linie ebenso übernommen wie der tatsächliche Nachfolgestaat der Republik China, die Volksrepublik. Man sollte anmerken: Als die Linie erstellt wurde, waren alle weiteren Anrainer Kolonien der USA (Philippinen) oder Großbritanniens (Malaysia, Brunei). Die Kolonialmächte stellten keine Ansprüche auf die ihnen unbedeutend erscheinenden Inseln.

Seit dem Ende der offenen Kolonialherrschaft in Südostasien ist die Sache mit den Inseln verzwickt; es gibt viel Streit. Seit den 1990er Jahren diskutieren China und die – heute – zehn südostasiatischen Staaten des ASEAN-Bündnisses über einen Verhaltenskodex (Code of Conduct), der den Umgang mit den Inseln regeln soll. Er böte die Chance zu einer regionalen Lösung, ist aber bis heute nicht zustande gekommen – auch, weil der Westen sich einmischt. Dessen Position ist simpel: China erhebe seine Ansprüche zu Unrecht, alle anderen haben recht; über die Position Taiwans, dessen Ansprüche denjenigen Beijings bis auf das kleinste Riff gleichen, wird auch in Deutschland erfolgreich geschwiegen.

Zur Legitimierung seines Auftretens gegen China bezieht sich der Westen regelmäßig auf einen Spruch des Ständigen Schiedshofs in Den Haag, der am 12. Juli 2016 auf Ersuchen der Philippinen erklärte, die Neun-Striche-Linie sei völkerrechtlich irrelevant. Beijing erkennt den Spruch des Schiedshofes nicht an. Das ist nichts Besonderes. Mittlerweile liegen zum Beispiel ein Spruch des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag, ein Urteil des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg und darüber hinaus eine Resolution der UN-Generalversammlung vor, die alle fordern, Großbritannien müsse die Insel Diego Garcia im Indischen Ozean mit ihrem bedeutenden US-Militärstützpunkt, die es völkerrechtswidrig okkupiert, an Mauritius zurückgeben. Natürlich geschieht das nicht. Gelegentlich wird als Hilfsargument zur Ablehnung der chinesischen Ansprüche angeführt, die Spratly Islands seien von China viel weiter entfernt als etwa von den Philippinen oder Malaysia; sie sollten daher Manila und Kuala Lumpur gehören. Als Argument von Mächten, die wie Großbritannien Territorien im Südatlantik (Malvinas) oder wie Frankreich im Pazifischen Ozean (Neukaledonien und andere) für sich reklamieren, ist das originell. Mit dem Argument der Nähe suchen übrigens auch türkische Nationalisten einige der zu Griechenland gehörenden, aber vor der türkischen Küste liegenden Ägäisinseln für sich zu beanspruchen.

Militarisierung der Atolle

Sämtliche Anrainer des Südchinesischen Meeres bis auf Brunei haben inzwischen einige Inseln, Riffe oder Sandbänke in dem Gewässer praktisch in Besitz genommen und nutzen sie auf die eine oder andere Weise – manchmal zu touristischen Zwecken, oft auch militärisch. Detaillierte Angaben dazu legt seit Jahren die Asia Maritime Transparency Initiative (AMTI) vor, die vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington betrieben wird. Laut der AMTI kon­trolliert Malaysia vier Riffe und eine Sandbank im Südchinesischen Meer; sie zählen sämtlich zu den Spratly Islands, darunter etwa das Swallow Reef, das auch Malaysias Militär nutzt. Die Philippinen kontrollieren neun der Spratly Islands, Thitu Island, wo sich diverse militärische Anlagen befinden und wo Manila Ende 2023 zudem ein neues Kontrollzentrum für seine Küstenwache eröffnet hat, ist eine davon. Vom Kontrollzentrum aus können Chinas Aktivitäten in der Region mit Radaranlagen überwacht werden. Taiwan kontrolliert Pratas Island und Itu Aba, eine der Spratly Islands. Auf beiden hat es militärische Anlagen errichtet, darunter Landebahnen und Bunker.

Noch intensivere Aktivitäten im Südchinesischen Meer entfaltet Vietnam. Das Land hat inzwischen 21 Riffe und Felsen besetzt, die zu den Spratly Islands gehören, und sechs unter dem Meeresspiegel liegende Sandbänke mit Plattformen versehen; auf einigen Riffen hat es militärische Anlagen errichtet, so etwa auf dem Barque Canada Reef, das heute der größte Außenposten der vietnamesischen Streitkräfte in dem Gewässer ist. Um ihn bauen zu können, musste Hanoi auf dem Riff viel Land aufschütten. Den Angaben der AMTI zufolge beläuft sich die Gesamtfläche, die Vietnam in den Spratly Islands inzwischen aufgeschüttet hat, auf rund 955 Hektar. Mehr neues Land, nämlich gut 1.880 Hektar, hat lediglich China im Südchinesischen Meer gewonnen. Die Volksrepublik kontrolliert sieben der Spratly Inseln und 20 der Paracel Islands und hat auch das Scarborough Shoal in Besitz genommen. Militärisch nutzt sie vor allem drei der Spratly Islands, nämlich das Fiery Cross Reef, das Mischief Reef und das Subi Reef; manche nennen sie die »Big Three« der chinesischen Streitkräfte im Südchinesischen Meer.

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Identische Interessensphären machen Kontrahenten. Kontrollansprüche im Südchinesischen Meer

Malaysia, den Philippinen, Taiwan und Vietnam geht es bei der Militarisierung der Inseln im Südchinesischen Meer vorrangig darum, ihre Claims gegeneinander abzustecken und zu behaupten. Lange Zeit verfolgte auch China dieses Ziel, und das führte dazu, dass es insbesondere mit Vietnam in heftige Konflikte geriet. Anfang 1988 belauerten sich beide mit äußerstem Misstrauen, als sie in den Spratly Islands jeweils neue Riffe besetzten und militärisch zu nutzen begannen. Am 14. März 1988 kam es schließlich zur Eskalation: Während einer kurzen erbitterten Schlacht um das Johnson South Reef kamen 64 vietnamesische Soldaten zu Tode. Seitdem wird das Riff von der Volksrepublik kontrolliert. Streit entzündete sich immer wieder auch an der Frage, wer Zugriff auf die Bodenschätze unter dem Meer erhalten soll. Im Frühjahr 1994 etwa musste sich ein chinesisches Schiff, das in einem Rohstoffgebiet kreuzte, zurückziehen: Drei vietnamesische Kriegsschiffe hatten Warnschüsse abgegeben. 2014 verlegte die China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) eine Bohrplattform in die Nähe von Triton Island, eine der Paracel Islands, und sie musste sie schon bald wieder entfernen: Vietnamesische Kriegsschiffe hatten sie bedroht.

Zurück zum Johnson South Reef, das China im März 1988 in seinen Besitz gebracht hatte. Die Volksrepublik begann dort im Jahr 2014, systematisch Land aufzuschütten. Zwei Jahre später zeigte sich: Sie hatte dort unter anderem Waffen zur Abwehr angreifender Flugzeuge und angreifender Raketen stationiert. Die Volksrepublik begann, die zahlreichen Riffe und Inseln im Südchinesischen Meer nicht mehr zur Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen andere Anrainer zu militarisieren; es ging ihr nun vor allem darum, sich gegen Angriffe einer Großmacht zu verteidigen – nach Lage der Dinge vor allem gegen die USA. »Die Stationierung von Raketenbatterien und Radaranlagen« im Südchinesischen Meer lasse »vermuten«, hieß es im Jahr 2017 in einer Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), »dass die neu befestigten Stützpunkte dazu dienen, eine robuste ›Pufferzone‹ zu errichten, um künftig US-Streitkräfte auf Abstand halten zu können«. Mit Hilfe der auf den Inseln installierten Anlagen könne Beijing die »Seeraumüberwachung sowie die Fähigkeiten zur elektronischen Kriegführung« verbessern und die U-Boot-Bekämpfung optimieren. So könnten auf der südchinesischen Insel Hainan stationierte »strategische Unterseeboote der Jin-Klasse (…) besser vor US-Streitkräften geschützt werden«. Bei der SWP wurde gar über einen »Schutzraum« für chinesische U-Boote spekuliert.

Manila prescht vor

Während sich China darauf konzentriert, Vorsorge vor einem womöglich drohenden US-Angriff im strategisch so bedeutenden Südchinesischen Meer zu treffen, ist in den vergangenen zwei Jahren ein weiterer Aspekt in den Vordergrund gerückt: die harte Auseinandersetzung mit den Philippinen. Manila hatte bereits kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, verstärkt seit dem Amtsantritt von Präsident Ferdinand Marcos Jr. am 30. Juni 2022 begonnen, immer enger mit den Vereinigten Staaten zu kooperieren. Es hat den US-Streitkräften neue Stützpunkte überlassen – vor allem im äußersten Norden des Landes nahe Taiwan sowie bei Palawan, möglichst nahe an den Spratly Islands –, und es hat gemeinsame Manöver mit den USA, mit Japan und mit Australien verstärkt. Die Philippinen begannen zudem – ebenfalls im äußersten Norden des Landes nahe Taiwan –, gemeinsame Patrouillen mit den Streitkräften der USA und Japans durchzuführen. Sie gestatteten den Vereinigten Staaten sogar, im Rahmen einer gemeinsamen Kriegsübung Mittelstreckenwaffen ins Land zu bringen, die zwar wieder abgezogen werden sollen – aber man weiß ja nie. Kurz: Der Inselstaat transformiert sich systematisch in eine US-Angriffsplattform für einen etwaigen Krieg gegen China.

Beijing schaut nicht tatenlos zu – zumal Manila, auf Rückendeckung aus den USA setzend, auch im Südchinesischen Meer einen offensiveren Kurs gegenüber der Volksrepublik einzuschlagen begonnen hat. Deutlich wurde das zunächst am Beispiel des Second Thomas Shoal, eines Riffs, das knapp 200 Kilometer vor der Küste von Palawan liegt und nur bei Ebbe ein wenig aus dem Wasser ragt. Die Philippinen hatten bereits 1999 ein ausgemustertes Kriegsschiff, die Sierra Madre, auf das Second Thomas Shoal gerammt und einige Soldaten in ihm untergebracht, u m ihren Besitzanspruch zu markieren. China hat diesen Anspruch nie anerkannt. Die Präsenz der Sierra Madre und der philippinischen Soldaten war stets ein Streitpunkt zwischen Manila und Beijing. Marcos’ Amtsvorgänger Rodrigo Duterte, der um bessere Beziehungen zur Volksrepublik bemüht war, hatte Berichten zufolge mit Beijing ausgehandelt, er werde zwar die Sierra Madre nicht abziehen, aber das vor sich hin rottende Schiff auch nicht instandsetzen – ein kleines Zugeständnis an China, das nun auf den physischen Verfall des Streitobjekts setzen konnte. Marcos hingegen war nicht mehr bereit, sich an die Absprache seines Amtsvorgängers zu halten: Er lehnte, so schildert es jedenfalls die chinesische Seite, Kompromissvorschläge, die Beijing ihm im April 2023 übermittelt hatte, kurzerhand ab.

So kam es, dass China seine Präsenz in der Nähe des Second Thomas Shoal intensivierte und damit begann, die philippinischen Schiffe ins Visier zu nehmen, die die Soldaten auf der Sierra Madre mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Man hatte Verdacht geschöpft, dass Manila auf den Schiffen nicht bloß die nötigen Lebensmittel, sondern – unter Bruch der Absprache mit Duterte – auch Materialien zur Renovierung der verrostenden Sierra Madre transportiere. Der Konflikt spitzte sich zu. Die chinesische Küstenwache ging mit Wasserkanonen gegen die philippinischen Schiffe vor, es kam zu Kollisionen, schließlich gar zu chinesischen Versuchen, die philippinischen Schiffe zu entern und auf Materialien zur Schiffsrenovierung zu durchsuchen. Es gab Schwerverletzte, und sogar Todesopfer schienen früher oder später nicht mehr auszuschließen zu sein. Im Herbst 2023 teilte US-Präsident Joseph Biden mit, »jeder Angriff« auf ein philippinisches Schiff werde Reaktionen gemäß dem Verteidigungsabkommen beider Länder aus dem Jahr 1951 auslösen. Anders als Biden seitdem mehrfach suggeriert hat, muss das keine bewaffnete US-Intervention sein. In dem Abkommen heißt es bloß, man verpflichte sich »zu handeln, um gemeinsamen Gefährdungen entgegenzutreten«. Dennoch: Die Kriegsgefahr liegt auf der Hand.

Dreierlei bliebe zu ergänzen. Erstens: Der Konflikt dehnt sich inzwischen aus. Das zeigt der eingangs erwähnte Zusammenstoß beim Sabina Shoal vom 19. August, dem inzwischen weitere folgten: Am 25. August kam es unweit dem Atoll erneut zu Schiffskollisionen, am 26. August versperrten dort chinesische Schiffe philippinischen Booten den Weg. Und nicht nur das. Beijing begann zudem, seine Ansprüche auf das Scarborough Shoal energischer zu markieren. Am 12. August beklagte sich Manila, chinesische Kampfjets hätten philippinische Militärflugzeuge, die beim Scarborough Shoal routinemäßig Patrouille geflogen seien, mit dem Abwurf von Täuschkörpern in Gefahr gebracht. Die Maßnahme zeigt: Die Volksrepublik fordert nun auch Respekt für den Luftraum über den von ihr beanspruchten Inseln ein.

Zweitens: Am 22. August berichtete die Global Times, chinesische Experten machten sich Sorgen wegen des Ausbaus der Militäranlagen auf Thitu Island. Dort seien nach dem Bau des erwähnten Kontrollzentrums für die Küstenwache neue Marineanlagen errichtet worden. Außerdem werde die Start- und Landebahn für Militärflugzeuge erweitert. Man gewinne den Eindruck, künftig würden mittelgroße Transportflugzeuge sowie moderne Kampfjets fremder Staaten dort landen und wieder starten können. Man befürchte, so wurden anonyme Experten zitiert, Manila könne dazu übergehen, fremde Kriegsschiffe und Kampfjets, etwa aus Japan und den Vereinigten Staaten, zum Besuch auf Thitu Island einzuladen. Das wäre eine konsequente Fortsetzung der bedingungslosen Zurichtung der Philippinen zur US-Angriffsplattform gegen China, die Manila seit zwei Jahren betreibt.

Dass die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt drittens eine Äußerung des Kommandeurs des U.S. Indo-Pacific Command, Admiral Samuel Paparo, vom 27. August. Paparo erklärte auf einer Pressekonferenz anlässlich eines Treffens mit dem philippinischen Generalstabschef, General Romeo Brawner Jr., die Vereinigten Staaten seien bereit, philippinische Schiffe im Südchinesischen Meer angesichts des Konflikts zwischen Manila und Beijing zu eskortieren. Das sei »eine vollkommen vernünftige Option« im Rahmen des bilateralen Verteidigungsabkommens von 1951, äußerte der US-Militär. Damit gerät ein bewaffneter Zusammenstoß zwischen den Streitkräften Chinas und der USA nun auch ganz konkret in den Blick.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. August 2024 um 10:34 Uhr)
    China beansprucht fast das gesamte Südchinesische Meer für sich. Das Gebiet ist für die internationale Schifffahrt und Fischerei essenziell und hat große Öl- und Gasvorkommen. Ein internationales Schiedsgericht erklärte 2016, dass es für Chinas Ansprüche keine völkerrechtliche Grundlage gibt. Beijing erkannte das Urteil nie an. Zwar lehnen auch Malaysia, Indonesien, Vietnam und Brunei Chinas Ansprüche ab, doch keine Regierung geht so offensiv vor wie jene von Präsident Ferdinand Marcos Jr. Nicht nur aus ökonomischen Gründen, auch weil China militärisch und technisch in der Übermacht ist. Die Philippinen aber sind der wichtigste US-Verbündete unter den Anrainerstaaten Südostasiens, seit 1951 unterhalten die zwei Staaten ein Verteidigungsabkommen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Rodrigo Duterte sucht Marcos seit seiner Amtsübernahme 2022 offen die Annäherung an die USA. Beijing sieht die »Einmischung externer Kräfte« als Sicherheitsbedrohung in seinem Vorhof und untermauert die historisch begründeten Ansprüche immer aggressiver. Das Beste, worauf man hoffen kann, ist die Vermeidung von Zusammenstößen. Es gibt leider keine wirkliche diplomatische Lösungsperspektive.

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