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Aus: Ausgabe vom 31.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Einschränkung der Grundrechte

»Eine Form der Gesinnungskontrolle«

Deckmantel »jüdisches Lebens schützen«: Resolutionsentwurf will Fördermittel für Kunst und Wissenschaft an positive Meinungen zu Israel koppeln. Ein Gespräch mit Andreas Engelmann
Von Annuschka Eckhardt
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Politikberatungstip an Scholz und Co.: Lassen Sie diese Resolution bleiben (Berlin, 9.11.2023)

Was besagt der Resolutionsentwurf »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP?

Der Entwurf behandelt unterschiedliche Dinge. Wir haben uns auf einen prominenten Aspekt konzentriert, nämlich die Frage der Fördermittelvergabe im Bereich von Kunst und Wissenschaft. Kunst und Wissenschaft werden im Grundgesetz besonders geschützt, mit Artikel 5, Absatz 3. Dieser ganze Bereich ist mittlerweile hochgradig verstaatlicht und lebt im wesentlichen – man kann das sehr bedauern – von staatlichen Fördermitteln. Das bedeutet aber, die Vergabe von staatlichen Fördermitteln hat eine unmittelbare Auswirkung auf die Ausübung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. In der Resolution geht es auch darum, den Begriff des Antisemitismus auszudeuten, ihn auf Bezugnahmen kritischer Art auf Israel zu konzentrieren und die Vergabe von Fördermitteln an eine der Regierungsmeinung entsprechende Auffassung zu Israel zu koppeln. Was wir befürchten, ist, dass eine Kultur entsteht, in der Menschen Angst haben, sich zu bestimmten Themen zu äußern.

Das wirkt wie aus einer anderen Zeit …

Die Fraktionen holen die alte freiheitlich-demokratische Grundordnung aus dem Keller. Die Empfänger von Mitteln sollen verpflichtet werden, sich zu Werten zu bekennen und den Status quo abzunicken.

Welche Bedenken haben Sie aus grundrechtlicher Sicht?

Aus grundrechtlicher Sicht haben wir das Bedenken, dass Gerichte und insbesondere Behörden, die Förderentscheidungen treffen, die Resolution heranziehen werden wie eine Rechtsquelle, um diejenigen, die Fördermittel beantragen, dazu zu bringen, sich konform zu der Resolution zu verhalten.

Das klingt stark nach Gesinnungskontrolle.

Wir halten das für eine hochgradig problematische Form der Gesinnungskontrolle und der Einschränkung nicht nur der Meinungsfreiheit, sondern auch einer indirekten Beeinflussung der Wissenschafts- und Kunstfreiheit. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, wie stark dieser ganze Bereich staatlich reguliert und gefördert wird, ist das ein immenser Eingriff in die Freiheit von Wissenschaft und Kunst.

Dem Resolutionsentwurf ist ausdrücklich zu entnehmen, dass er Einfluss auf die Entscheidung von Auswahlkommissionen nehmen soll. Wie könnte das konkret aussehen?

Wie das konkret aussehen könnte, kann man sich zum jetzigen Zeitpunkt nur ausmalen. Aber im Prinzip wird das etwa so laufen: Es werden Förderungen ausgeschrieben, es wird darüber beraten, welche Kunstförderungen, welche Wissenschaftsförderung umgesetzt werden. Und dann werden von interessierter Seite Informationen in den Prozess reingespielt. Zum Beispiel, dass die Antragsteller bestimmte Äußerungen gemacht haben oder ihre Kunst in einem bestimmten Kontext betrachtet wird. Diese Äußerungen können dann ausschlaggebend für die Fördermittelvergabe sein. Das kann im Prinzip allein die Thematisierung eines gesellschaftlichen Problems sein, das sich zwar nicht auf dem Boden der Bundesrepublik befindet, aber zu dem die Bundesrepublik durch ihre Förderung Israels deutliche Verbindungen hat. Also allein die Thematisierung von Konflikten in Israel/Palästina könnte dazu führen, dass Förderanträge im Bereich Kunst oder Wissenschaft abgelehnt werden.

Könnte es sein, dass zukünftig auch Fördermittel aufgrund von unliebsamen Posts oder Likes der Antragsteller auf Social Media abgelehnt werden?

Der Resolutionsentwurf fordert ausdrücklich, bei der Vergabe von Bundesfördermitteln an Organisationen zu prüfen, ob die Organisationen bestimmte »Narrative« verbreiten. Da im jetzigen Klima ein Like wohl als »Verbreiten« bewertet wird und die Resolution keine sinnvolle Abgrenzung zwischen einer Kritik am Handeln des Staates Israel und Antisemitismus vornimmt, liegt die Gefahr auf der Hand, dass Posts oder Likes zu Ablehnungen führen könnten.

Ist das juristisch korrekt, Künstler und Forschende, die sich um öffentliche Förderung bewerben, flächendeckend durch den Inlandsgeheimdienst zu überprüfen?

Das Problem dieses Inlandsgeheimdienstes ist doch, dass wir nicht wissen, was er genau macht. Ich würde fast vermuten, dass das nicht flächendeckend passiert. Die Künstler und Wissenschaftler, die sich zum Thema Israel äußern, geraten ohnehin schnell auf den Radar. Diese Informationen könnten auf verschiedenen Wegen in den Förderantragsprozess eingespielt werden. Das könnte theoretisch über den Geheimdienst passieren, aber auch über interessierte Kreise aus dem eigenen Feld. Also über Leute, die um diese Fördermittel konkurrieren oder Personen, die einen nicht leiden können. Die Grundrechtsgefährdung liegt darin, dass der Staat das Signal sendet: Lass deine Hände von diesem Thema, oder es kann Konsequenzen geben.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat sich vergangenes Jahr für eine Klage gegen eine Resolution des Bundestages als nicht zuständig erklärt, weil es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele. Welche rechtlichen Kontrollen gibt es dann für diese Resolution?

Wenn der Bundestag ein Gesetz erlässt, in dem zum Beispiel steht, dass, wer sich mit dem Thema Israel in kritischer Hinsicht befasst, keine Fördermittel in Kunst und Wissenschaft bekommt, dann ist dieses Gesetz überprüfbar, weil das Gesetz offensichtlich in Grundrechte eingreift. Eine Resolution hat aber keine Rechtswirkung.

Welches effektive Rechtsmittel gibt es denn dann gegen so eine Resolution?

Ja, keins. Das ist die Krux an der Sache.

Was fordern Sie als Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen?

Wenn wir einen Politikberatungstip geben könnten, würden wir sagen: Lassen Sie diese Resolution bleiben. Das ist eine Ausdehnung von Verhaltens-, Gesinnungs- und Meinungsäußerungskontrollen, die wir grundsätzlich ablehnen und für rechtsstaatswidrig halten. Der Staat hat sich um die Regulierung des äußeren Verhaltens durch Gesetze zu kümmern, aber nicht um die Regulierung der Auffassungen und Meinungen. Und wenn schon eine Gesinnungsprüfung verfolgt wird, dann muss das im Wege von Gesetzen erfolgen. Denn nur durch Gesetze dürfen Grundrechte eingeschränkt werden. Wenn die Fraktionen ein Gesetz erlassen, dann stellen sie sich zumindest dem Risiko der Kontrolle durch die Gerichte.

Fall Oyoun: In Berlin gab es im vergangenen Jahr schon einen Stopp der eigentlich vereinbarten Fördermittel wegen des Vorwurfs »Antisemitismus«. Könnten Sie das kurz einordnen, auch in bezug auf den Entwurf? Könnten sich solche Fälle häufen?

Der Fall Oyoun zeigt aus meiner Sicht: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Es scheint als Schwäche zu gelten, wenn man sich an den Buchstaben eines Paragraphen hält. Gerade setzt sich die Dirty-Harry-Variante des Rechtsstaats durch. Wenn sich dagegen nicht ein ernsthafter und breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert, werden solche Fälle die Regel – Resolutionsentwurf hin oder her.

Andreas Engelmann ist Rechtsanwalt und Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)

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