Starmer leitet Kürzungskurs ein
Von Christian BunkeRentner müssen frieren, damit die Staatsfinanzen saniert werden können. Das war die Kernbotschaft einer Rede des britischen Premierministers Keir Starmer, die er im Rosengarten seines Amtssitzes in der Londoner Downing Street Nr. 10 gehalten hat. Der Ort war dafür am Dienstag bewusst gewählt. Starmers Amtsvorgänger Boris Johnson feierte hier einst Partys, während sich der Rest der Bevölkerung im Coronalockdown befand. Mit »Verwüstungen der unverantwortlichen Tories« will der Premierminister nun aufräumen und »die Grundlagen« des Staates neu aufbauen.
Starmer entwendet hier ein klassisch konservatives Sprachbild und dreht es gegen den politischen Gegner. Mit einem ähnlichen Sinnbild wurde die britische Bevölkerung schon im Jahr 2010 auf Sparmaßnahmen eingeschworen – damals jedoch durch den frisch gewählten konservativen Premierminister David Cameron. Der gab seinerzeit der Labour-Partei die Schuld an der desolaten Lage des Staatshaushalts. Die Rettung zahlreicher Großbanken infolge des globalen Finanzcrashs hatte nicht nur im Vereinigten Königreich riesige Löcher in die Staatskassen geschlagen. Labour sei im Umgang mit Staatsknete nicht zu trauen, so Cameron damals sinngemäß.
Nun also Starmer: »Wir haben ein 22 Milliarden Pfund großes schwarzes Loch in den öffentlichen Finanzen entdeckt«, sagte er mit Leichenbittermiene. Den Tories warf er vor, dieses Finanzloch selbst vor britischen Aufsichtsbehörden versteckt zu haben. »Wir haben das erst in den ersten Wochen unserer Amtszeit herausgefunden.« Deshalb, so Starmers Kernbotschaft an das britische Volk, werde es schlimmer werden, bevor es besser werden könne: »Im Oktober gibt es einen neuen Haushaltsentwurf, und der wird schmerzhaft sein«, sagte Starmer in seiner Rede.
»Schmerzen«, das bedeutet »Kürzungen und Einsparungen« bei öffentlichen Dienstleistungen und Sozialausgaben. Wie diese genau aussehen werden, ist noch nicht bekannt. Die Haushaltsrede von Finanzministerin Rachel Reeves ist für den 30. Oktober geplant. Eine konkrete Maßnahme hat die Ministerin bereits in verschiedenen Interviews verkündet. Sie plant demnach, Heizkostenzuschüsse für Rentner zukünftig von deren Einkommen abhängig zu machen. Für die wäre das ein schwerer Schlag, da steigende Energiepreise zu den größten Kostentreibern für Privathaushalte in Großbritannien zählen.
Verknüpft wird die Ankündigung neuer Kürzungen mit vergifteten Angeboten an die Gewerkschaften. Die Regierung scheint derzeit ernsthaft bemüht, seit Jahren von zahlreichen Streiks begleitete Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst beizulegen. So gab es für Nachwuchsärzte im englischen Gesundheitssystem NHS Gehaltssteigerungen in Höhe von 22 Prozent, auf zwei Jahre verteilt. Auch bei den Eisenbahnern konnten Arbeitskämpfe teilweise beigelegt werden.
Nun dienen diese Lohnsteigerungen aber als Begründung für kommende Sparmaßnahmen. Sie bedeuten zusätzliche Kosten für staatliche, regionale und kommunale Budgets, die noch nicht eingepreist sind. Erste Zeichen dafür, was das bedeuten könnte, kommen aus Schottland. Dort kündigte der zur Schottischen Nationalpartei (SNP) gehörende Regierungschef John Swinney am Donnerstag in einem Interview für den Fernsehsender STV Kürzungen in Höhe von »mindestens« 250 Millionen Pfund Sterling an. Das begründete Swinney mit »politischen Entscheidungen, die von der neuen britischen Regierung getroffen wurden, und die die Bemühungen der schottischen Regierung, öffentliche Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, fundamental beschädigen«.
Swinney rahmt somit Gehaltssteigerungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst als Angriff auf öffentliche Dienstleistungen, was ohnehin schon bestehende Spaltungen zwischen Beschäftigten im öffentlichen Dienst und Lohnabhängigen im privaten Sektor weiter vertieft. Ähnliche Argumentationsmuster durch Kommunalpolitiker aller Parteien sind auch in anderen Landesteilen Großbritanniens erwartbar. Finanzministerin Reeves wird mit ihrem kommenden Haushaltsentwurf die dafür nötige Farbpalette liefern.
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