Schluckbeschwerden am Finanzmarkt
Von Lucas ZeiseDie Financial Times erschien am vergangenen Mittwoch mit der Schlagzeile »Chinesische Zentralbank warnt vor Platzen der Bondmarktblase«. Im Text heißt es dann, dass verstärkte Anleiheemissionen des Staates gegen Jahresende den gegenwärtigen Boom bei Staatsanleihen plötzlich beenden könnten. Zitiert werden Quellen im Umfeld der Zentralbank Chinas (People’s Bank of China – PBoC oder, auf Deutsch, der Volksbank Chinas). Die Kaufwelle habe die Preise für langlaufende Anleihen des Zentralstaates und der Provinzen in diesem Sommer auf überraschende Höhen getrieben, heißt es, und entsprechend zu rekordverdächtig niedrigen Zinsen geführt.
Die Rendite für Zehnjahreslaufzeiten sei im August auf den historisch bisher niedrigsten Wert von 2,12 Prozent gesunken. Angesichts des hohen Mittelbedarfs des Zentralstaates und besonders der Provinzen kommt diese Entwicklung für die PBoC offensichtlich überraschend. Da bis Jahresmitte weniger als die Hälfte der Mittelaufnahme erfolgte, sei gegen Ende des Jahres mit einem erheblichen Schwung an Emissionen, also verstärktem Angebot an Staatsanleihen zu rechnen, was deren Preise unter Druck bringen und zu entsprechend steil steigenden Zinsen führen könnte.
Die PBoC führt die hohe Nachfrage nach Staatsanleihen auf die relativ schwache Entwicklung des Aktienmarktes zurück. Vor allem die staatseigenen Banken deckten sich angesichts dessen mit den risikolosen Regierungsbonds ein. Ein Crash am Bondmarkt, also plötzlich steigende Zinsen, könnten die Banken in Schwierigkeiten bringen (wie Anfang 2023 die Silicon Valley Bank in den USA) und das Finanzsystem als Ganzes.
Welch wunderbare Sorgen die chinesischen Zentralbanker doch haben, ist man versucht zu sagen. Da hat der Staat in diesem Jahr aus verschiedenen Gründen einen erhöhten Finanzbedarf, kündigt deshalb satt erhöhte Emission von Staatsanleihen an, und siehe da, diese neuen Anleihen werden von den Finanzunternehmen rege gekauft, richtiggehend aufgeschlabbert. Die Zinsen für Staatsanleihen sinken anstatt, wie erwartet, zu steigen.
Von der geplanten großen Emissionsmasse sind nun, aus welchen technischen oder politischen Gründen auch immer, in den ersten sieben Monaten nur 45,3 Prozent verkauft worden. Und schon meldet die Zentralbank Bedenken an: Wenn die restlichen 54,7 Prozent in den Monaten August bis Dezember auf den Markt geworfen werden, könnte ihn das überfordern, fürchtet sie. Noch seltsamer: am nächsten Tag kauft sie selber Staatsanleihen in Höhe von umgerechnet 56 Milliarden US-Dollar (entspricht fast 15 Prozent des in diesem Jahr noch erwarteten Volumens) und heizt den von ihr vorher beklagten Boom in diesem Markt noch an.
Sie betreibt damit eine Politik, die vorher die Zentralbanken Japans, der USA und der Euro-Zone schon vorexerziert haben. Allerdings haben diese reifen, um nicht zu sagen, überreifen kapitalistischen Volkswirtschaften eine lange Periode starker Überakkumulation bereits hinter sich. Sie haben das Instrument der Staatsverschuldung gegenüber dem Finanzkapital in lichte Höhen getrieben, mit dem Ziel, die erlahmende Akkumulation von Kapital wieder in Gang zu setzen oder, noch besser, in Schwung zu bringen.
Nach der im Westen beliebten Kennzahl der Staatsverschuldung im Verhältnis zum laufenden Bruttoinlandsprodukt ist China mit 65 Prozent ein Tugendbold, während Japan, die USA und die Euro-Zone bei deutlich über 100 Prozent angekommen sind. Chinas Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ist zwischen fünf und sechs Prozent weit höher als das der Konkurrenten. Der wachsende »Verschuldungsbedarf« ist Resultat eines verlangsamten Wachstums, einiger immer noch aktueller Probleme aus dem Kollaps des Immobiliensektors und der Notwendigkeit, die Inlandsnachfrage nach Konsumgütern in Schwung zu bringen. Die Volksbank Chinas hat, wie anderswo auch, die Interessen des Bankensektors im Blick. Ihre Sorgen sind mitnichten die des ganzen Landes. Sie richten sich eher darauf, dass es momentan zu kleinen Schluckbeschwerden kommt.
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