Acid oder Ozean
Von Marc HieronimusIrgendwann in den frühen 1950ern erhielt die medizinische Fakultät der Prager Karls-Universität Post aus der Schweiz. Ein Unternehmen aus Basel lieferte damals kostenlose Proben eines neuen, vielversprechenden Medikaments an Kliniken in aller Welt mit der Bitte, das Mittel einfach mal auszuprobieren. Der junge Psychoanalytiker Stanislav Grof nahm ein paar Tropfen des Stoffs mit dem umständlichen Namen Lysergsäurediethylamid, und sein Leben sollte niemals mehr dasselbe sein. LSD machte damals viel von sich reden, sorgte in den Sechzigern für die bekannte Kulturrevolution oder trug zumindest erheblich zu ihr bei und wird auch heute wieder behutsam therapeutisch eingesetzt. Interessanterweise fand Grof nach einigen Jahren eine Möglichkeit, die für seine Therapieform nötigen Bewusstseinsveränderungen auch ohne Drogen herzustellen, nämlich durch angeleitetes Hyperventilieren. Nach seiner Ansicht sind unsere frühesten Erinnerungen keineswegs verschollen, sondern strukturieren vielmehr unsere gesamte Wahrnehmung. Alles Große, was mit uns geschieht, fällt in eine von vier Kategorien gemäß unseren ersten Erlebnissen: das »ozeanische« Gefühl der völligen Sorglosigkeit und Geborgenheit im Mutterleib, der Zusammenbruch des Paradieses, wenn es eng wird und bald die Wehen einsetzen, Todesangst beim Weg in und durch den Geburtskanal und schließlich Wiedergeburt unter gänzlich neuen Bedingungen. Grofs Bücher kann die Interessierte selber lesen. Wer es ausprobieren möchte, muss weder hecheln, bis die Zehen kribbeln, noch bei zwielichtigen Personen nach Drogen fragen. Es braucht nur ausreichend lauwarmes Wasser, etwas, das schwimmt – ein Schwimmring, eine dieser Nudeln – und ein klein wenig Übung. Ob Baggersee oder Karibik ist nicht entscheidend, solange nur das Wasser uns trägt und nicht wie in der Badewanne der Untergrund. Füße auf die Schwimmunterlage, langmachen und im Wasser treiben. Ruhig atmen, Ohren unter Wasser. Schöner als neu- oder wieder- ist gar nicht geboren werden.
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