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Aus: Ausgabe vom 02.09.2024, Seite 2 / Inland
Rondenbarg-Prozess

»Es geht darum, von Polizeigewalt abzulenken«

Sieben Jahre nach Protesten gegen G20-Gipfel in Hamburg: Urteil in Rondenbarg-Prozess erwartet. Ein Gespräch mit Anja Sommerfeld
Interview: Kristian Stemmler
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Demonstration anlässlich der bevorstehenden Urteilsverkündung im Rondenbarg-Prozess (Hamburg, 24.8.2024)

Im Rondenbarg-Prozess, in dem es um Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 geht, will das Landgericht am Dienstag das Urteil gegen die zwei verbliebenen Angeklagten verkünden. Womit rechnen Sie?

Das ist schwer zu sagen. Das Gericht hat schon früh klargemacht, dass es verurteilen will. Die Anklage hat eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen gefordert, wobei 60 Tagessätze von der Vollstreckung erlassen würden. Das würde dennoch eine Vorstrafe bedeuten.

Ungewöhnlich an dem Verfahren ist, dass die Ereignisse, um die es geht, sehr lange zurückliegen.

Ja, das Ganze ist wirklich grotesk. Wir reden hier von einem Vorfall vor gut sieben Jahren. Am Morgen des 7. Juli 2017 waren von verschiedenen Orten Hamburgs Aufzüge, sogenannte Finger, gestartet, um die Protokollstrecken der Staatschefs zu blockieren. Der »schwarze Finger« wurde an der Straße Rondenbarg von der Polizei überfallen. Wir reden von einer Demonstration, die massive Polizeigewalt erfahren hat. Es gab mehrere Schwerverletzte.

Die Angeklagten sollen im Endeffekt dafür verurteilt werden, dass bei der Demonstration Gehwegplatten zerbrochen wurden, eine Mülltonne auf die Straße gezogen und ein Bushaltestellenfahrplan beschädigt wurde. Auf der anderen Seite haben wir mehrere Schwerverletzte, die zum Teil bis heute traumatisiert sind – spätestens da muss jedem klar sein, wie absurd das Ganze ist.

Wobei den Anklagten keine eigenhändig begangene Tat vorgeworfen wird.

Genau. Sie sollen nur für das Mitlaufen in einem Aufzug, aus dem heraus Straftaten begangen worden sein sollen, bestraft werden. Dabei ist interessant, mit welchem Ansatz im Verfahren begonnen wurde und wo es schließlich gelandet ist. Die Staatsanwaltschaft hat sich anfangs auf das sogenannte Hooliganurteil des Bundesgerichtshofs vom Mai 2017 bezogen. Darin hieß es, wer »ostentativ« mitmarschiert, um den Zusammenhalt dieser Gruppe zu stärken, der beteilige sich als Mittäter. Dieses Konstrukt war nicht zu halten, ebenso wie der Versuch, das Urteil in einem anderen G20-Verfahren, dem Elbchaussee-Prozess, anzuwenden. Und dann landete das Verfahren praktisch beim dritten Konstrukt: Beihilfe zum Landfriedensbruch.

Warum wurde das Verfahren nach so langer Zeit überhaupt noch eröffnet, hätte das Ganze nicht auch eingestellt werden können?

Ja, klar. Dass es noch zum Prozess gekommen ist, das ist vor allem dem Verfolgungseifer der Hamburger Staatsanwaltschaft geschuldet. Beim Landgericht hatte niemand Lust auf das Verfahren; keine Kammer wollte es übernehmen. Und es wird noch abstruser: Es sind schon weitere Verfahren eröffnet worden; insgesamt gibt es 85 Beschuldigte, die am Rondenbarg dabei waren. Das ist nach sieben Jahren nicht mehr nachvollziehbar.

Man darf auch nicht vergessen: Die Menschen sind in ganz anderen Lebensumständen, haben inzwischen Kinder, stehen im Beruf, leben zum Teil im Ausland. Für einen Prozess müssen sie zwei Tage die Woche Urlaub nehmen und von sonst wo nach Hamburg eiern. Das ist doch völlig irre. In diesem ersten Verfahren haben die beiden Angeklagten an 23 Verhandlungstagen bereits mehrere tausend Kilometer zurückgelegt.

Was will die Staatsanwaltschaft mit dem harten Kurs erreichen?

Man muss dieses Verfahren ganz klar als politisches begreifen. Es geht darum, von der Polizeigewalt beim G20-Gipfel abzulenken. Das Ziel ist, Protest zu kriminalisieren und klarzumachen, wer auch nur bei Demonstrationen mitläuft, kann potentiell verurteilt werden. Es geht also letztlich darum, jeglichen linken Protest zu verunmöglichen und Menschen einzuschüchtern. Dagegen müssen wir uns natürlich stellen. Es ist ermutigend, dass es beim G20-Gipfel trotz all der Repression gelungen ist, an mehreren Stellen Protest zu organisieren. Das hat auch gezeigt, wie weit wir mit solidarischem Agieren kommen, und das sollte uns eine Lehre sein. Auch dieser Versuch der Repression wird uns stärker machen, davon bin ich überzeugt.

Anja Sommerfeld ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.

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