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Aus: Ausgabe vom 02.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Maritime Wirtschaft

»Kronjuwel« Meyer-Werft

Kritik an möglicher staatlicher Eigenkapitalaufstockung für kriselnden Kreuzfahrtschiffbauer. Privatvermögen des Eigners im Blick
Von Burkhard Ilschner
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Die Papenburger Meyer-Werft könnte nach solchen Luxuskreuzern vielleicht schon bald Kanonenboote bauen

Die Bombe platzte: »Interne Dokumente der Bundesregierung zeigen, wie skeptisch man einer staatlichen Rettung gegenübersteht«, meldete das NDR-Magazin »Panorama 3« am Dienstag vergangener Woche zum Thema Papenburger Meyer-Werft. Wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Werftbelegschaft seinen großen Auftritt, als er das Unternehmen als »industrielles Kronjuwel« bezeichnete; fraglich sei nicht, ob der Bund zu Hilfe komme, sondern nur wie.

Dies war womöglich eine gewagte Behauptung des Kanzlers, von dem manche seit der Cum-ex-Affäre sagen, er habe ein »wertevolatiles Verhältnis zum Steuergeld«. Zwar bescheinigen – laut »Panorama 3« – Wissenschaftler wie der Kölner Ökonom Michael Thöne dem Kanzler, er käme »aus der Nummer (…) nicht mehr raus«. Allerdings entscheiden über das Wie letztlich die Haushaltsausschüsse sowie die Plenen von Bundes- und niedersächsischem Landtag; und auch die EU-Kommission hat beihilferechtlich mitzureden.

Noch einmal in Kürze: Mit der Coronakrise brach das Kreuzfahrtgeschäft vorübergehend zusammen. Die Meyer-Werft sagt, sie habe heute in ihren prall gefüllten Bestellbüchern noch unerledigte Aufträge aus der Zeit davor. Die noch gültigen Verträge von damals sähen nur eine Anzahlung von 20 Prozent vor, 80 Prozent würden erst bei Ablieferung fällig; das Gros des jeweiligen Auftrags müsse also von der Werft vorfinanziert werden. Zudem seien die Preise fest vereinbart, die Schiffe könnten angesichts drastisch gestiegener Energie- und Rohstoffkosten folglich nicht gewinnbringend gebaut werden.

Schiffbauexperten halten diese Behauptungen zwar für durchaus schlüssig, sie sind aber angesichts bisheriger Verschlossenheit der Werftführung im Detail schwer überprüfbar – vielleicht für Gutachter, nicht aber für die Öffentlichkeit. Trotzdem soll nun ebendiese Öffentlichkeit, der Steuerzahler, zur Kasse gebeten werden: Es geht um Aufstockung des Eigenkapitals durch Bund und Land Niedersachsen in Höhe von geschätzten 400 Millionen Euro; wofür beide gemeinsam einen 80-Prozent-Anteil des Unternehmens übernehmen wollen. Der Eignerfamilie Meyer blieben so derzeit nur rund 20 Prozent. Benötigt würde diese Kapitalerhöhung für bessere Kreditwürdigkeit, mit Hilfe öffentlicher Milliardenbürgschaften solle dann die Vorfinanzierung der Auftragsabwicklung durch Banken abgesichert werden. Auch dies ist nicht ohne weiteres überprüfbar, denn seit der Schiffahrtskrise 2008 ziehen sich Banken immer häufiger aus Schiffsfinanzierungen zurück.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) erklärte am vergangenen Mittwoch vor dem Landtag, es sei von »entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung, unsere industriellen Kerneinheiten zu schützen und zu fördern«. Das ist zwar grundsätzlich richtig, weil in der Schiffbauindustrie vielfältiges technisches Know-how in erheblichem Maße gebündelt ist. Es ist aber aktuell nicht zwingend glaubwürdig, denn Bundes- und Länderpolitik haben viel zu lange viel zu viel Schiffbauwissen außer Landes gehen oder ganz sterben lassen; vergangene Werftkrisen von Emden bis Stralsund sowie die folgenden sozialen Probleme in den jeweiligen Küstenländern belegen das eindrucksvoll. Das begann schon vor 50, 60 Jahren, als westdeutsche und westeuropäische Werften ihr Know-how und ihre Technologie staatlich subventioniert etwa nach Asien (Japan, Südkorea) verkauften, um unter dem Etikett »Entwicklungshilfe« zusätzliche Einnahmen zu generieren. Und bis heute erhalten hiesige Reedereien auch dann staatliche Hilfen, wenn sie ihre neuen Schiffe in Fernost statt im eigenen Lande bauen lassen.

Wahrscheinlicher dürfte es sein, dass aktuelle Pläne wie Energiewende und sogenannte Kriegstüchtigkeit den politischen Willen zum Schutz der »Kronjuwelen« befördern – etwa indem, wie beschrieben, bei der Meyer-Werft sowohl in Papenburg als auch in Rostock Konverterstationen entstehen und an der Warnow (gemeinsam mit Bremens Lürssen-Werft) Rüstungsaufträge erledigt werden. »Diese Großwerft«, erklärte kürzlich der Maritime Koordinator Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen) in einem Interview der Nordsee-Zeitung, sei »von strategischer Bedeutung für den Industriestandort Deutschland«. Ein Kommentar in derselben Ausgabe erläutert dies so: »Die Meyer-Werft ist der größte und wichtigste verbliebene Player im deutschen Schiffbau. Sie (…) kann für Deutschland künftig geostrategisch wichtig werden. Wer weiß, ob heimische Kapazitäten auch wieder beim Bau von Kriegsschiffen benötigt werden?«

Noch im September, so heißt es, müsse eine Klärung her. Ökonomen wie Marcel Fratzscher vom DIW Berlin, Clemens Fuest vom kapitalnahen Münchener Ifo-Institut oder Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler IfW warnen – übereinstimmend mit dem von »Panorama 3« zitierten »Regierungsdokument« – vor öffentlichem Engagement, solange sich kein zusätzlich unterstützender privater Investor finde. »Wenn von privater Seite niemand bereit ist, sein eigenes Geld auszugeben und ins Feuer zu stellen, dann ist das ein Signal, dass die Risiken so hoch sind, dass es vielleicht auch für das Geld des Steuerzahlers keine so gute Idee wäre«, spitzt etwa Boysen-Hogrefe zu.

Teil des Deals seien Bedingungen wie ein Vorkaufsrecht für die Familie Meyer, wenn die öffentliche Hand in etwa drei bis vier Jahren wieder aussteigt, schreibt die Wirtschaftswoche. Das rückt den bereits erwähnten Punkt »Privatvermögen Meyer« in den Fokus. Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), dem Bernard Meyer führend angehört, behauptete jüngst, »dass Unternehmensgewinne vollständig in den Ausbau und die technologische Weiterentwicklung der Werft geflossen sind«. Woher dann aber das Geld stammt, das Meyer zu einem der reichsten Deutschen gemacht hat, bleibt offen. »Panorama 3« nannte es »nicht ausgeschlossen (…), dass Werfteigentümer Bernard Meyer mit seinem Privatvermögen vorübergehend die Rolle des privaten Investors spielen könnte«. Zuvor hatte der NDR an anderer Stelle berichtet, »der Patriarch« wolle »eine Übernahme nicht klaglos hinnehmen« und habe »davon gesprochen, ›enteignet‹ zu werden«.

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  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (2. September 2024 um 12:58 Uhr)
    Die Meyer-Weft ist das Paradebeispiel für Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten! Meyer Sen. ist der typische Vertreter des Kapitalismus: Sich nach Luxemburg verabsentieren, Mitbestimmungsrechte der Belegschaft abschaffen, aber immer die Hände offen halten für Fördergelder. Die Skandal-Werft wird nur noch auf Grund der vielen Arbeitskräfte mit Fördergeldern aufrechterhalten. Da kann die EMS noch so viele Male vertieft werden, das wirtschaftliche Wrack bleibt. Stellt sich auch hier wiederum die Frage, warum in den Neuen Ländern diese Praxis nicht konsequenter angewandt wurde.

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