Generalklausel gegen Geflüchtete
Von Kristian StemmlerIn der Debatte um eine restriktivere Migrationspolitik, die nach dem Messerangriff von Solingen wieder spürbar Fahrt aufgenommen hat, sieht die Union die Stunde gekommen, um die Ampel rechts zu überholen. Vor dem Gipfeltreffen mit der Bundesregierung und Vertretern der Bundesländer am Dienstag machten die Chefs von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, unisono deutlich, dass ihnen die von der Ampelkoalition am Donnerstag vorgelegten asylpolitischen Verschärfungen bei weitem nicht ausreichen. Es müsse deutlich mehr passieren, um die »illegale Zuwanderung« in den Griff zu bekommen.
Im Interview mit Welt am Sonntag stellte Söder, wie schon Merz vor einer Woche, das im Grundgesetz verankerte individuelle Recht auf Asyl in Frage. Es brauche eine »grundlegende Migrationswende«, das Asylrecht sei »nicht mehr zeitgemäß« und müsse geändert werden. Es müsse möglich sein, all jene an den deutschen Grenzen zurückweisen zu können, »die klar erkennbar keinen Anspruch auf Schutz haben«. Das »Sicherheitspaket« der Ampel sei zwar »ein erster Schritt«, reiche aber »bei Weitem nicht aus«, so der CSU-Chef.
Zudem sei gänzlich offen, ob dieses auch tatsächlich umgesetzt werde. Es sei vieles machbar: So könne der Bund schnell eine Regelung in Kraft setzen, wonach Geflüchtete an den Bundesgrenzen zurückgewiesen würden. Binnen kürzester Zeit könne der Abschiebearrest und die Bezahlkarte flächendeckend eingeführt werden sowie mit Syrien und Afghanistan »die Rücknahme ihrer Bürger« vereinbart werden, so Söder.
Merz erneuerte am Wochenende seinen Vorschlag, eine »nationale Notlage« zu erklären, ohne dass er diesen Terminus benutzte. In seiner wöchentlichen Rundmail an Anhänger schrieb er, die Ampelkoalition habe »zumindest die ernsthafte Absicht geäußert, bei der inneren Sicherheit nachzuarbeiten«. Das »eigentliche Problem« gehe sie aber nicht an. Die hohe Zahl der Menschen, die nach Deutschland gelange, überfordere das Gemeinwesen, behauptete der CDU-Vorsitzende. Die »Überforderungsgrenze für unser Land« sei erreicht.
Dies sei eine »Gefährdung unserer nationalen Sicherheit und Ordnung« und genau dafür halte der Vertrag über die Arbeitsweise der EU eine Generalklausel bereit, die es den Staaten erlaubt, »zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« eigene Vorkehrungen zu treffen. »An diesem Punkt sind wir angekommen«, so Merz. Indirekt forderte der CDU-Chef die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen. Jeder Flüchtende, der Deutschland auf dem Landweg erreiche, habe »schon mindestens ein Land durchquert, in dem der Asylantrag hätte gestellt werden müssen«.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprang seinem Vorsitzenden bei. Um »illegale Zuwanderung« zu stoppen, sei die konsequente Anwendung des »Dublin-Prinzips« notwendig, also die Zurückweisung der Geflüchteten an den Grenzen, erklärte Linnemann gegenüber Bild am Sonntag. Außerdem gelte: »Wer nicht hierbleiben darf, muss abgeschoben werden.« Auf diesen Positionen werde die Union beim Treffen am Dienstag bestehen. Es dürfe keine »Placeboveranstaltung« werden, so Linnemann. Vielmehr brauche es jetzt konkrete Maßnahmen zur »Beschränkung der illegalen Migration und nicht andauernd neue Arbeitskreise«.
Neben asylpolitischen Verschärfungen drängt die Union auch auf weitere Abschiebeflüge von Straftätern nach Afghanistan. Am Freitag hatte es erstmals seit der Machtübergabe an die Taliban vor drei Jahren einen solchen Flug gegeben. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte gegenüber Bild am Sonntag, er erwarte von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dass in der kommenden Woche »der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan stattfindet – das darf keine Eintagsfliege gewesen sein«. Faeser will die Flüge fortsetzen, nannte aber keine Details. Die SPD-Politikerin sagte gegenüber Bild am Sonntag: »Ausländische Gewalttäter und Vergewaltiger müssen unser Land wieder verlassen.« Sie werde weiterhin alles dafür tun, »dass Straftäter und terroristische Gefährder nach Afghanistan und auch nach Syrien abgeschoben werden«.
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