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Aus: Ausgabe vom 02.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Alte Filme

Gibt es eine Welt ohne Bob Dylan? Cat Power singt »The ›Royal Albert Hall‹ Concert« des Meisters im Dortmunder Konzerthaus
Von Frank Schwarzberg
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Für sie ist die Welt ohne Bob Dylan zu klein: Charlyn Marshall alias Cat Power (am 19. Mai noch in São Paulo)

Ein Cat-Power-Konzert ist eine fragile Angelegenheit. Charlyn Marshall, so ihr bürgerlicher Name, hat aber viel Mut zum Scheitern. Aus dieser Spannung entstanden am Donnerstag abend im Dortmunder Konzerthaus nicht ein Konzert, sondern gleich deren drei. Ich hätte ganz Dortmund zusammenschreien können vor Glück.

Das erste Konzert, mit dem sie uns beschenkt hat, ist genaugenommen 58 Jahre alt: das legendäre »Bob Dylan Live 1966 The ›Royal Albert Hall‹ Concert«. Cat Power spielt die 15 Songs in der damaligen Reihenfolge. Die Sängerin, 1972 geboren, verehrt Dylan und hört diese Aufnahmen erstmals 1996. Als sie 2022 ein Angebot für einen Konzertabend in Londons Royal Albert Hall erhält, sagt sie zu, unter einer Bedingung: Sie wird Dylans »Live 1966 At Royal Albert Hall« nachspielen. (Der Titel ist irreführend: Das fragliche Konzert fand in Manchester statt; der Mitschnitt des Londoner Konzerts ist allerdings auch längst veröffentlicht).

Am 5. November 2022 tritt Dylan mit seinen neuen Songs in Bournemouth auf – parallel dazu am selben Abend Cat Power in London. Eigentlich sollte das eine einmalige Sache bleiben, doch nun führt sie das Programm schon seit fast zwei Jahren mit großem Erfolg auf.

Für ihre eigenwilligen Interpretationen der Songs anderer Künstler ist sie durchaus bekannt. Drei Platten mit Coverversionen hatte sie (neben ihren sieben Alben mit Eigenmaterial) bereits veröffentlicht. Das Dylan-Konzert wurde die vierte. Doch hier covert sie anders, mit »Respekt für die Komposition (…) und den großen Komponisten«, sehr nah am Original. Die Gesangsparts übte sie vor dem Konzert extra nicht ein – aus Angst, die Einmaligkeit des Moments zu verlieren. »I feel like the soul is so linked to the moment.«

Die zweite Dimension des Abends, das zweite Konzert, ist das Hörerlebnis. Schließt man die Augen, sind vor allem im akustischen Teil (mit Akustikgitarrist und tupfendem Keyboarder) ihre Interpretationen magisch. Die Szenerie im epischen »Desolation Row« wird zu einem Film. Cat Power phrasiert nicht exakt wie Dylan damals, aber ähnlich eigen, singt um die Melodie und den Rhythmus herum, die Band fängt sie wieder ein. Dylans Bilder leben.

Zum Weinen schön. Dann lachen einige im Publikum leise (nie über Marshall, es ist ein Lachen mit ihr, voll Wärme und Liebe). Augen auf, die dritte Dimension: der Kampf um die gelingende Performance. Dylan bezog seine Energie aus der Reibung, Cat Power aus innerer Spannung. Mitten in »Desolation Row«, daher die Lacher, bringt ein Roadie der Sängerin neuen Tee. Sie ist wohl erkältet und hat schon große Schlucke in den Singpausen genommen. Man konnte die Erkältung bei exakt einer Silbe zu Beginn des Konzerts hören, aber die Gespanntheit im Publikum ist da: Werden die Stimmbänder halten? Jetzt stimmt die Honigmenge nicht, der Subalterne muss nachträufeln, Cat Power rührt um, probiert, aha, richtig. Derweil spielt der Begleitgitarrist die immer gleichen Akkorde im Warten auf die nächste Strophe. Diese Situation ist typisch für die Spannung auf und vor der Bühne: Wird sie ihre übergroße Nervosität zu Beginn des Abends in den Griff bekommen? Werden die nageldünnen hohen Absätze halten? Oder wird das gesamte fragile Gebilde vor unseren Augen und Ohren zusammenkrachen?

Alles hält. Der Abend wird ein Triumph. Auch wenn der akustische Part besser zu Marshalls weicher Altstimme passt, begeistert das elektrische Set (nunmehr mit sechs Begleitmusikern) mit Power und Spielfreude. Und auch wenn Marshall die Vorlagen etwas weniger verfremdet als z. B. Dylan selbst, so nah wird man zu Lebzeiten dem Originalgefühl von Dylans Songs aus seiner ersten genialen Phase, Mitte der 60er, nicht mehr kommen. Cat Power lässt es wiederaufleben und fügt den Liedern mit ihrer Stimme und ihrer zerbrechlichen Persönlichkeit etwas Neues hinzu: Wärme, Nähe, Zärtlichkeit.

Cat Power: »Cat Power Sings Bob Dylan: The 1966 ›Royal Albert Hall‹ Concert« (Domino)

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