Auf den Kopf gestellt
Zehn Jahre nach der Flut von Publikationen im Umfeld des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges 1914 hat der Historiker Bernhard Sauer noch einmal wichtige Fragen, die die Debatte über Ursachen und Folgen dieses Krieges weiter prägen, diskutiert. Er rekonstruiert in kompakter, zugänglicher Form kritisch die Julikrise und den Kriegsausbruch, die Kriegszieldiskussion in Deutschland, die Rolle der SPD im Krieg, die Vorgänge im Jahr 1918 und die Bedeutung des Krieges für die Nazibewegung.
Sauer, der bislang vor allem mit Studien zur Geschichte rechter Wehrverbände und zur Frühgeschichte von NSDAP und SA hervorgetreten ist, betont, dass die Politik der deutschen Regierung 1914 »sicherlich nicht auf einen Weltkrieg ausgerichtet« gewesen sei – aber eben auch nicht darauf, einen europäischen Krieg zu verhindern, obwohl sie dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Die Behauptung des Historikers Christopher Clark, im Verlaufe der Julikrise hätten Russland und Frankreich die Lage verschärft, stelle »die Realität geradezu auf den Kopf«: »Die russische Generalmobilmachung war nicht Ursache, sondern Folge einer bedrohlichen Konfliktverschärfung.« Die deutsche politische Führung habe eine »kriegsfördernde Politik betrieben«. Mit Blick auf die Sozialdemokratie schreibt Sauer, dass die Behauptung, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg, »von weiten Teilen der SPD-Basis nicht geglaubt« worden sei.
Damit lagen sie richtig: Sauer schreibt, dass dieser Krieg von deutscher Seite geführt wurde, weil »einflussreiche Kräfte im Kaiserreich mit dem Krieg annexionistische Kriegsziele verfolgten«. Der Nazismus sei zudem ohne diesen Krieg nicht denkbar: »Hitler war ein Kind des Ersten Weltkrieges. Nichts hat sein Denken und Handeln mehr beeinflusst als eben dieser Krieg.« (jW)
Bernhard Sauer: Der Erste Weltkrieg – ein Verteidigungskrieg? Duncker & Humblot, Berlin 2023, 188 Seiten, 49,90 Euro
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