Die Dynamik der Krise
Von Nico PoppDie beiden Parteivorsitzenden haben wohlweislich vor dem 1. September angekündigt, beim Bundesparteitag im Oktober nicht erneut anzutreten. Obwohl das stoische Aussitzen von katastrophalen Wahlniederlagen in der Linkspartei in den vergangenen Jahren zu einer Kunstform entwickelt wurde, wird die Aussicht auf das aller Voraussicht nach haarsträubende Abschneiden in den ostdeutschen Ländern die Einsicht befördert haben, dass nun wirklich Schluss ist. Dass die Partei krachend mit dem Versuch scheitern wird, Bodo Ramelow in Thüringen im Amt des Ministerpräsidenten zu halten, ist eines. Dass sie parallel möglicherweise aus dem sächsischen Landtag fliegt, in den sie bzw. ihre Vorgängerpartei seit 1990 immer mit zweistelligen Ergebnissen eingezogen war, ist eine Zäsur, die die Dynamik der inzwischen seit Jahren andauernden Parteikrise noch einmal zuspitzen kann. Zumal auch in Brandenburg, wo am 22. September ein neuer Landtag gewählt wird, ebenfalls das Aus droht: Hier liegt die Partei in Umfragen aktuell bei fünf Prozent.
Denn die Lage ist ja in Thüringen keine andere als in Sachsen: Fiele der Amts- und Bekanntheitsbonus des Ministerpräsidenten weg, der sich im Wahlkampf auf Großplakaten ohne Parteilogo als »Christ, Sozialist, Ministerpräsident« präsentierte, dann würde die Linkspartei auch in Thüringen, wo ihr aktuell noch 13 bis 15 Prozent prognostiziert werden, mit Sicherheit deutlich unter zehn Prozent Stimmenanteil fallen. Dennoch hat man sich in der Parteiführung allem Anschein nach dazu entschlossen, die Aufmerksamkeit vor allem auf das voraussichtlich numerisch noch vergleichsweise vorzeigbare Ergebnis in Thüringen zu lenken. Dort sei ein viel besseres Abschneiden drin als aktuell prognostiziert, versicherte Jan van Aken – ab Oktober voraussichtlich Teil der neuen Parteispitze, auf die sich die relevanten Strömungen verständigt haben – am Mittwoch bei RTL/N-TV: »Also bis zu 20 Prozent schaffen wir da auf jeden Fall.« Die Zielvorgabe für Sachsen sei dagegen lediglich: »Reinkommen.«
In Thüringen bemüht sich die Partei derweil, mit dem seit 2014 erprobten, dosierten Reformismus auf den letzten Metern noch einmal zu punkten. Die Partei werde sich unabhängig vom Ausgang der Wahl weiter für ein drittes beitragsfreies Kindergartenjahr in Thüringen einsetzen, hieß es am Mittwoch bei der Vorstellung eines 90-Tage-Programms für die Zeit nach der Wahl. Die Finanzierung der Kindergärten müsse neu geregelt werden, sagte Ministerpräsident Ramelow. Er will, dass Eltern von Kosten für die Kinderbetreuung entlastet werden. Am Ende sollten Kinderbetreuung sowie Bildung in Thüringen schrittweise komplett beitragsfrei gemacht werden. Zu anderen Projekten der Partei gehört die Gründung einer Landeswohnungsbaugesellschaft, die bis 2030 rund 1.500 bezahlbare Mietwohnungen bauen soll. Zudem soll erneut ein Gesetz eingebracht werden, das den großflächigen Aufkauf von Ackerland durch Investmentgesellschaften verhindert. Ob der Partei diese Projektemacherei nützt, steht dahin: Der eine oder andere Wähler könnte sich fragen, warum milde Reformprojekte dieses Zuschnitts nach ganzen zehn Jahren mit einem Linke-Ministerpräsidenten immer noch im Stadium der Ankündigung sind.
Ulrike Grosse-Röthig, Kovorsitzende des Linke-Landesverbandes, sagte, die Menschen könnten sich darauf verlassen, dass die Partei im Landtag »konstruktiv« an der Lösung von Problemen weiterarbeite. Ramelow beklagte, dass in den vergangenen Jahren einige Projekte nicht umgesetzt werden konnten. Er setze sich deshalb dafür ein, dass »die demokratischen Parteien« nach der Wahl zu einer »stabilen« Mehrheitsregierung gelangen.
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