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Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 12 / Thema
Malerei

Maler der Dämmerungen

Caspar David Friedrich wird zu seinem 250. Geburtstag mit Ausstellungen und Festakten in ganz Deutschland gefeiert. Aus dem weitsichtigen Landschaftsmaler wird wieder ein melancholischer Mystiker gemacht
Von Holger Teschke
Caspar_David_Friedrich_-_Das_Eismeer_-_Hamburger_Kunsthalle_-_02
Eingeschlossen und zerdrückt versinkt ein Schiff: »Das Eismeer« (1824/25), 96,7 cm × 126,9 cm, Öl auf Leinwand

»Überall hört man von Krieg und Krieges Geschrei, von Empörung und Aufruhr«, schreibt Caspar David Friedrich am 11. September 1830 aus Dresden an seine Brüder in Greifswald. »Auch die Dresdner Einwohner haben sich einmal gerüttelt und geschüttelt. Doch rechnet nicht auf eine sehr geregelte Erzählung, ich bin zu aufgeregt, es zu können.«

Was war geschehen? Fünfzehn Jahre nach dem Ende der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses hatten viele Einwohner Sachsens genug von den gebrochenen Versprechen von Freiheit und Demokratie und nahmen sich ein Beispiel an den Franzosen, die in der Julirevolution von 1830 den Bourbonenkönig Karl X. gestürzt und seiner Restaurationspolitik ein Ende bereitet hatten. Diese Revolution hatte Auswirkungen in ganz Europa – vom Königreich Hannover bis zum Kirchenstaat in Rom. In Sachsen gingen vor allem Kleinbürger und Proletarier auf die Straße und forderten nicht nur eine Verfassung sowie Versammlungs- und Pressefreiheit, sie stürmten auch das Rathaus und die Polizeiwachen, entwaffneten Polizisten und verbrannten Akten. Da das Militär den Aufstand nicht niederschlagen konnte, formierte das aufgeschreckte Bürgertum in aller Eile Bürgerwehren, und König Anton schickte seinen Neffen Prinz Friedrich August auf die Straße, um die aufgeregte Menge zu besänftigen.

Die Bürgerwehr sorgte für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, indem sie die Aufständischen zur Zurückhaltung mahnte und gleichzeitig einschüchterte. Das sächsische Bürgertum nahm angesichts der radikalen Infragestellung der Macht- und Eigentumsverhältnisse eilends Partei für die Monarchie und begründete so eine Allianz, die bis 1918 fortbestehen sollte.

Abhängig von Hof und Bürgertum

»Nicht wahr, einem so aufgeregten Volk, was mit so wenig Worten sich lenken lässt, darf man seine Achtung nicht versagen?«, fragt Friedrich in seinem Brief. Es ist schwer zu sagen, ob diese Frage angesichts der Briefzensur ironisch gemeint oder ob der Maler, der von Ankäufen der Höfe und des Bürgertums abhängig war, sich tatsächlich freute, dass der Aufstand so leicht beendet werden konnte.

Friedrich war nach seinem Studium in Kopenhagen 1798 von Greifswald nach Dresden gekommen und schon 1805, nach einem von Goethe und den Weimarer Kunstfreunden verliehenen Preis, mit Landschaftsbildern bekannt geworden. 1810 kaufte der preußische König Friedrich Wilhelm III. den »Mönch am Meer« und die »Abtei im Eichwald«. Im gleichen Jahr machte die Berliner Akademie Friedrich zu ihrem Mitglied. Das konnte man auch in Sachsen nicht ignorieren. Zwar dauerte es noch sechs Jahre, bis die Dresdener Akademie den eigensinnigen Pommern aufnahm, immerhin konnte er danach mit einem schmalen, aber festen Gehalt von seiner Malerei leben und eine Familie gründen. Zwischen 1816 und 1826 entstanden die großen Gemälde, für die Caspar David Friedrich heute in der ganzen Welt bekannt ist: »Der Wanderer über dem Nebelmeer«, »Kreidefelsen auf Rügen«, »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« und »Das Eismeer«. Letzteres ist auch unter dem Namen »Die gescheiterte Hoffnung« berühmt geworden. Aber welche Hoffnungen des Malers waren in diesem Jahrzehnt gescheitert und nun durch den Aufstand vor seiner Haustür offenbar wieder geweckt worden?

Nach Napoleons Siegen über Österreich und Preußen und der Gründung des Rheinbundes 1806 war Friedrich zu einem leidenschaftlichen Franzosenfeind geworden und wollte selbst von seinem Bruder, der sich 1808 in Lyon aufhielt, keine Briefe mehr aus Frankreich erhalten. In dieser Frankophobie glich er seinem Landsmann Ernst Moritz Arndt und dem Kreis um den Freiherrn vom Stein, der von Königsberg aus den Widerstand gegen die napoleonische Besatzung Preußens zu sammeln versuchte. Die progressiven Züge des »Code ­Napoleon« wollten, im Gegensatz zu Hegel und Goethe, weder Arndt noch Friedrich erkennen. Die Bilder dieser Jahre sprechen eine deutliche Sprache: das von drei mächtigen Eichen umstandene »Hünengrab im Schnee« von 1807, ein Erinnerungsbild an eine angeblich große deutsche Vergangenheit, die »Böhmische Landschaft« von 1808, ein Sehnsuchtsbild nach einem Land der Freiheit hinter den sieben Bergen. Als sich nach dem Scheitern des Russland-Feldzuges im Oktober 1812 das Ende der napoleonischen Besatzung abzeichnete und auch Friedrich Wilhelm III. sein Zögern aufgab, brauchten die deutschen Fürsten das Volk für die Befreiungskriege und versprachen ihm das Blaue vom Himmel. Aber schon bald nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 und dem darauffolgenden Wiener Kongress wurden diese Versprechungen eilends wieder kassiert. Mit der in Wien beschlossenen »Heiligen Allianz« zwischen Preußen, Österreich und Russland begann 1815 die Restauration der feudalen Machtverhältnisse in Europa und die Jagd auf alle, die sich immer noch nach den Verheißungen der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sehnten.

Wo das Volk keine Stimme hat …

»Die Macht der Finsternis, Dummheit und Bosheit ist allerdings groß«, hatte Ernst Moritz Arndt, der die deutsche Aristokratie aus nächster Nähe kannte, schon 1806 in seinem »Geist der Zeit« geschrieben. »Sie werden das Äußerste versuchen, den alten verrufenen Plunder zu retten, den die Zeit längst verdammt hat.« Die Ermordung des Diplomaten und Dramatikers August von Kotzebue durch den Burschenschafter und Studenten Karl Ludwig Sand 1819 in Mannheim bot den Machthabern einen willkommenen Vorwand, alle Forderungen nach Freiheitsrechten brutal zu unterdrücken. Im Zuge der von den Karlsbader Beschlüssen ausgelösten »Demagogenverfolgung« verlor auch Arndt seine Professur in Bonn. Bei einer polizeilichen Haussuchung wurde ein Brief Friedrichs konfisziert, den er anlässlich eines gescheiterten Denkmalplans für den General der Befreiungskriege Gerhard von Scharnhorst am 12. März 1814 geschrieben hatte. »Ich wundere mich keineswegs, dass keine Denkmäler errichtet werden, weder die, die die große Sache des Volkes bezeichnen, noch die hochherzigen Taten einzelner deutscher Männer. Solange wir Fürstenknechte bleiben, wird auch nie etwas Großes der Art geschehen. Wo das Volk keine Stimme hat, wird dem Volk auch nicht erlaubt, sich zu fühlen und zu ehren.«

Es hätte wohl nicht mehr dieses Briefes bedurft, um die Aufmerksamkeit des von Metternich über ganz Europa gespannten Spitzelsystems auf den Maler aus Dresden zu lenken. Schließlich hatte er die verbotene altdeutsche Tracht der Burschenschaften in Bildern wie »Auf dem Segler« von 1818 oder »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« von 1819 demonstrativ zum Kostüm seiner männlichen Figuren gemacht. Friedrich zeigt deren Gesichter nie – wir sollen uns selbst ein Bild machen. Und werden so von Betrachtern zu Beteiligten.

Nach 1815 nahm Friedrich seine seit 1806 unterbrochenen Reisen nach Rügen wieder auf und begann Seestücke und Dämmerungsbilder zu malen, die bis heute nichts von ihrer Strahlkraft verloren haben: »Der Greifswalder Hafen« von 1820, »Der Abend« aus dem Tageszeitenzyklus von 1821, »Der Rabenbaum« und »Mondaufgang am Meer« von 1822.

Vielleicht ist dem Jean-Paul-Leser Friedrich in dieser Zeit auch dessen Schrift »Dämmerungen für Deutschland« von 1809 in die Hände gefallen, in der es am Anfang heißt: »Allerdings blickt die Vergangenheit uns so grausend an wie ein aufgedeckter Meeresboden, welcher voll liegt von Gerippen, Untieren, Kanonen, modernden Kostbarkeiten und verwitterten Götterstatuen.« Jean Paul blickt in dieser Schrift nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch auf Gegenwart und Zukunft, die in den Dämmerungen Deutschlands aufscheinen: »Manche hoffen, das Kriegsungewitter treibe uns wieder zur Religion, wie ein Donnerschlag einst Luther zur Theologie, noch aber ists unentschieden, ob das Kriegsfeuer bloß ein Fegefeuer, das zum Seligwerden, oder eine Hölle ist, die zum Schlimmerwerden führt.«

Schon damals führten die Feuer des Krieges weder zum Glauben noch zur Freiheit, sondern in die Katastrophe. Zwar konnte Napoleon geschlagen und gestürzt werden, aber alle Hoffnungen auf einen Bundesstaat und eine Bundesverfassung wurden durch die Fürsten und ihre Diplomaten in Wien zunichte gemacht. Nach 1815 verdunkelten sich die Landschaften Europas zusehends, und das lag nicht nur an der Flugasche des Vulkans Tambora. Friedrichs »Hügel mit Bruchacker bei Dresden« von 1824 erinnert an den Blutacker vor der Stadt, wie ihn E. T. A. Hoffmann nach einem Gang über das Schlachtfeld am 29. August 1813 beschrieben hat. »Da war es mir, als zöge ein dünner Nebel über die Flur (…) da regte und bewegte sich alles auf dem Schlachtfelde, zerrissene Menschen standen auf und streckten ihre blutigen Schädel empor und wilder wurde das Geheul, entsetzlicher der Jammer. Ein wunderbarer roter Schein blitzte wie aus der Tiefe der Erde fahrend, durch die Luft. (…) Als ich, wie aus schwerem Traum erwacht, die Ruinen verließ, hatte sich schon eine tiefe Dämmerung über die Flur gelegt, der Raub schlich, gierig spähend dem Mord nach – winselnde Sterbende wurden geplündert.« Friedrich selber war vor dem Gemetzel aus Dresden nach Krippen ins Elbsandsteingebirge geflohen.

Klug, nur mit Erlaubnis

Wenn man heute die Romane und politischen Schriften Jean Pauls liest und die Bilder Caspar David Friedrichs betrachtet, dann wirken sie wie Ahnungen der deutschen Misere, die mit den gescheiterten deutschen Revolutionen zwischen 1830 und 1919 bis zur Machtübergabe an die Faschisten führte. Diese politische Dimension der Bilderwelt Caspar David Friedrichs ist in den Festreden zu seinem 250. Geburtstag nur am Rand erwähnt worden, wenn überhaupt. Aber wenn man die Entwicklung seiner Bildsprache, seine kunstkritischen Betrachtungen und seine Briefe genauer betrachtet, ergibt sich ein viel widersprüchlicheres und komplexeres Bild als das vom »nordischen Mystiker« und »kauzigen Gottsucher«.

In Friedrichs »Äußerungen bei Betrachtungen einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern«, die um das Jahr 1830 entstanden sein könnten, heißt es in Hinblick auf die Folgen seiner politischen Haltung unter anderem: »Die Wahrheit mit Spott, die Tugend mit Verhöhnung und die Rechtlichkeit mit Verachtung zu belegen und umgekehrt Lüge, Verrat und Verleumdung zu beschönigen, sind diesen Herren Kleinigkeiten. Klugheit und List gilt diesen Leuten als erstes und höchstes Gesetz. Und wer ihrem Willen sich nicht fügen will, den verfolgt man mit Spott und Verachtung, wenn es geratener ist, mit scheinbarer Nichtbeachtung und Verleumdung, und sollte auch dies nicht helfen, so wird zu dem zweischneidigen Schwert des Hungers gegriffen.«

Das war keineswegs übertrieben. Die Angriffe auf Friedrichs radikal neue Bildfindungen in der Altar- und Landschaftsmalerei hatten schon 1808 mit der Kritik des Freiherrn Basilius von Ramdohr gegen das »Kreuz im Gebirge« begonnen, das Friedrich zu Weihnachten in seinem Atelier ausgestellt hatte und das später als »Tetschener Altar« berühmt wurde. Ramdohr kreidete Friedrich vor allem den Bruch mit der klassizistischen Tradition an und verdächtigte ihn, Religion durch Mystizismus ersetzen zu wollen.

Hinter dem Traditionsbruch sahen Ramdohr und seinesgleichen auch eine politische Opposition. Für Friedrich aber hatten Landschaften auf den Altären ihre Berechtigung, weil der Mensch im ästhetischen Erlebnis der Natur zu Gott und zu sich selber finde. Darin trifft er sich mit Goethe: »Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen / Als dass sich Gott-Natur ihm offenbart?«

Ramdohrs Kritik war einer der Gründe, Friedrich die Lehrbefugnis an der Akademie zu verweigern. Sie wirkte bis 1824 nach, als ihm die Nachfolge auf dem freigewordenen Lehrstuhl für Landschaftsmalerei verwehrt und er mit einer außerordentlichen Professur abgefunden wurde. So machte der Maler eine Erfahrung, die der Dichter Jean Paul schon vorher für die deutschen Verhältnisse auf den Punkt gebracht hatte: »Man darf mit Erlaubnis der Obrigkeit dumm sein, aber nicht ohne sie klug.«

Heute wird noch immer davon gesprochen, dass Friedrich um 1830 »so gut wie vergessen« gewesen sei, weil seine Bilder nicht mehr dem »Publikumsgeschmack« entsprachen – wer immer den bestimmte. Betrachtet man die politischen Hintergründe genauer, dann sieht man, dass der Maler und sein Werk vergessen gemacht wurden. Friedrich selber kannte die Gründe genau. »Aber dieser Freimut wird dir den Hals brechen und nimmer und nie wird man es dir verzeihen«, schreibt er in den »Äußerungen«. »Selbst dein Schreibtisch und deine Briefe sind diesen Leuten nicht verschlossen.«

Gesinnungsschnüffelei, Denunziation und Zensur haben in Deutschland eine lange Tradition, wenn es darum geht, unbequeme Künstler vom Kunstmarkt zu entfernen. Friedrich hatte damit schon Erfahrungen gemacht, als er 1818 in seinem Entwurf für die Neuausstattung der Stralsunder Marienkirche an den Rat der Stadt schrieb: »Ein Gebäude, wo man sich versammelt, um sich vor Gott zu demütigen, vor dem kein Ansehen der Person gilt, da müsste billig aller Unterschied der Stände aufhören, und der Reiche muss wenigstens an diesem Ort fühlen, dass er nichts mehr als der Arme ist, und der Arme muss da den sichtbaren Trost haben, dass wir vor Gott alle gleich sind.«

Das war den Stralsunder Ratsherren und ihren Geistlichen dann doch zu viel an christlicher Gleichheit. Sie lehnten Friedrichs Entwurf ab und begründeten die Ablehnung mit leeren Kassen. Friedrich muss es geahnt haben, denn er schrieb schon im Jahr zuvor an seinen Bruder Christian, der an der Ausstattung mitarbeiten sollte: »Du müssest aber die geänderten einzugehenden Bedingungen zuvor von einem Rechtsgelehrten durchsehen lassen (…), denn ich traue keiner Obrigkeit übern Weg.«

Antizipierter Untergang

Damals nahm er die Ablehnung noch mit Humor. Einem Besucher in seinem Atelier erklärte er zwei Jahre später das Bild »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« mit den Worten: »Die machen demagogische Umtriebe.« 1824 hatte er für eine vierköpfige Familie zu sorgen, die Bildverkäufe gingen zurück und die Angriffe nahmen zu. In dieser Zeit entstand eines seiner bekanntesten Bilder, »Das Eismeer«. Von mächtigen Eisschollen eingeschlossen und zerdrückt, versinkt ein Schiff, von dem nur noch ein Teil des Achterdecks am rechten Bildrand zu sehen ist. Dieses Gemälde erinnert an eine Metapher, die der Soziologe Max Weber fast hundert Jahre später in seinem Vortrag »Politik als Beruf« von 1919 verwenden sollte: »Nicht das Blühen eines Sommers liegt vor uns, sondern zunächst eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte, mag äußerlich jetzt siegen welche Gruppe auch immer. Denn: wo nichts ist, da hat nicht nur der Kaiser, sondern auch der Proletarier sein Recht verloren.« Das hatte das deutsche Proletariat im Januar 1919 nach der Niederschlagung der Novemberrevolution durch die von der SPD-Führung ausgeschickte Reichswehr blutig erfahren. Es sollten Offiziere und Soldaten dieser Reichswehr sein, die wenige Jahre später dafür sorgten, dass die Weimarer Republik schon nach dreizehn Jahren an ihr Ende kam.

Max Weber scheint diese Entwicklung vorausgeahnt zu haben, als er in dem gleichen Vortrag sagte: »Auch die alten Christen wussten sehr genau, dass die Welt von Dämonen regiert sei und dass, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln sich einlässt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt und dass für sein Handeln nicht wahr ist: dass aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil.«

Caspar David Friedrich scheint in seinem »Eismeer« vorausgehen zu haben, welche Polarnacht Deutschland durch das Bündnis zwischen Monarchie und Industrie bevorstand. Für ihn offenbarte sich Gott in der Natur, also war sowohl Naturbetrachtung als auch ihre Darstellung Gottesdienst. Wer sich an der Natur versündigte, versündigte sich an Gottes Schöpfung. Wir blicken heute, im Jahrhundert von Klimawandel und Umweltkatastrophen, die von einer auf Profitmaximierung orientierten Industriegesellschaft tagtäglich beschleunigt und von einer auf Machterhalt fixierten Politik verharmlost werden, mit anderen Augen auf Friedrichs Landschaften. In seinen »Äußerungen« schrieb er 1830: »In meinen Bildern soll jeder Seins finden.«

Nach einer schweren Erkrankung und seiner letzten Erholungsreise auf die Insel Rügen im Mai 1826 verdüstern sich die Dämmerungen Friedrichs zu Nacht- und Winterstücken, wie sie in der europäischen Malerei seit Bruegel nicht mehr gemalt worden waren: der »Friedhof im Schnee« von 1826, das »Wrack im Mondschein« von 1835 und schließlich, nach einem Schlaganfall im selben Jahr, das letzte große Gemälde, das unter einer unglaublichen Willensanstrengung entstanden sein muss: das »Meeresufer im Mondschein« von 1836. Dieses großformatige Bild wirkt wie ein Schlussakt in Friedrichs Gesamtwerk.

Die dunklen Nachtwolken senken sich wie schwere Vorhänge hinab, die Anker und Boote am Steinstrand sind kaum noch zu erkennen, und das Mondlicht blitzt am Horizont auf wie eine Klinge. Die drei Segler, die sich trotz aller Finsternis aufs Meer hinauswagen, sind nur schattenhaft auszumachen. Dennoch erinnert gerade dieses Bild an Jean Pauls pathetischen Zuruf: »Kleingläubiger, schau auf! Das uralte Licht kommt an!«

Friedrich hatte seine Mondbilder früher weniger pathetisch mit Trockenem kommentiert: »Wenn ich sterbe, komme ich wohl auf den Mond.« Da er nach der Vollendung dieses Gemäldes nicht weiter malen konnte, zeichnete und tuschte er Sepiabilder, die Gräber und Särge zeigen, auf denen Eulen hocken und den Betrachter anstarren. Die Eule ist ein Totenvogel, aber auch die Botin der Minerva, Göttin der Kunst, des Schiffbaus und der Weisheit. Als Caspar David Friedrich am 7. Mai 1840 in seinem Atelier über der Elbe stirbt, begleiten zwei Tage später nur wenige Freunde und Studenten der Akademie seinen Sarg, darunter der norwegische Maler Johan Clausen Dahl. Ein Norweger wird es auch sein, der Friedrichs Werke im Depot der Dresdener Gemäldesammlungen wiederentdeckt, als er auf der Suche nach Bildern seines Landsmannes Dahl nach Sachsen kommt.

Dem Kunsthistoriker Andreas Aubert ist es zu verdanken, dass Friedrichs Gemälde nach über sechzig Jahren dem Vergessen entrissen und wieder in die Museen Deutschlands zurückkehrten. Dort sah sie Samuel Beckett während seiner Deutschland-Reise im Winter 1936/37 in Berlin und Dresden. Das Gemälde »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« soll ihn 1948 zu seinem Stück »Warten auf Godot« inspiriert haben. In seinem Roman »Malone stirbt« schrieb er 1951: »Es ist eine Nacht, wie sie Kaspar David Friedrich liebte, stürmisch und klar. Dass mir der Name wieder einfällt und die Vornamen. Die vom Wind zerrissenen Wolkenfetzen jagen über einen kalten Hintergrund. Wenn ich Geduld hätte, würde ich den Mond sehen.« Die Namensänderung in »Kaspar« stammt nicht von Beckett, sondern von den Kunsthistorikern des »Dritten Reichs«, die den Maler eindeutschen wollten. So hatte Beckett den Namen unter den Bildern und in Katalogen in Deutschland gesehen, daher auch die sarkastische Bemerkung in seinem Reisetagebuch: »KDF heißt bei ihnen nicht Kaspar David Friedrich, sondern Kraft durch Freude.«

Seltsames Jubiläumsgeschenk

Bei KdF fällt dem Rügen-Kenner heute das vom Reichsarbeitsdienst ab 1936 geplante »Seebad der Zwanzigtausend« in Prora ein, dessen Bau 1939 eingestellt und das ab 1956 als NVA-Kaserne benutzt wurde. Nach 1990 machten westdeutsche Investoren aus der Ostimmobilie ein »Proradies« für Anleger in Ferienwohnungen. Deren Freude an ihrer Geldanlage wird seit 2023 getrübt, seitdem die Deutsche Regas mit tätiger Unterstützung der Bundesregierung im Nachbarort Mukran gegen die Proteste vieler Rüganer ein LNG-Terminal in die Ostsee rammen ließ. Von dort sind es nur wenige Kilometer zum Nationalpark Jasmund, auf dessen Hochuferwegen Caspar David Friedrich die Skizzen für seine Bilder von der Rügener Kreideküste zeichnete. Ein Industriedenkmal als Beitrag der deutschen Politik zum 250. Geburtstag des Malers, das an Friedrichs Misstrauen gegen jede Obrigkeit erinnert, die im Namen von Demokratie, Frieden und Freiheit gegen die Mehrheit der eigenen Bevölkerung regiert.

Caspar David Friedrichs Brief an seine Brüder endet am 13. September 1830 mit den Worten: »Das Neueste war, dass der hiesige Rat abgedankt haben soll, zur großen Freude der Bürger. Jemand meinte, es wäre wohl das Gescheiteste, was der Rat je gemacht und fügte noch hinzu, dass die Bürger wohl auch so gescheut sein würden und der Obrigkeit zuvor Rechnung abfordern würden.«

Holger Teschke schrieb an dieser Stelle zuletzt zu ihrem 100. Geburtstag über die polnische Dichterin Wisława Szymborska. Sein Kammerspiel »Wanderers Nachtlied« über Caspar David Friedrich wurde im Januar 2024 vom Theater Vorpommern in Greifswald aufgeführt, seine Inszenierung von »Caspar David Friedrich – Stimmen aus dem Nebelmeer« ist auf der Seebühne Hiddensee zu sehen: www.hiddenseebuehne.de

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (5. September 2024 um 10:13 Uhr)
    Ein sehr informativer und rundum gelungener Artikel. Ohne Scheuklappen, historisch fundiert (und nebenbei souverän mit Max Weber argumentiert) und schön eingeordnet in Vergangenheit und Gegenwart. Echte Kunst ist immer relevant. Spitze!

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