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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 1 / Titel
Nahostkonflikt

Streik ohne Biss

Israel: Gewerkschaft beugt sich Gerichtsbeschluss und beendet Mobilmachung zur Rettung der Geiseln. Angehörige wollen weitermachen
Von Jakob Reimann
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»Warum sind sie noch in Gaza?« steht auf T-Shirts zahlreicher Demonstranten, die einen Deal fordern (Tel Aviv, 2.9.2024)

Wenigstens für ein paar Stunden standen Teile des Landes still: In ganz Israel blieben am Montag viele Banken und Geschäfte geschlossen, Busse und Züge fuhren nicht, und auch Flugzeuge am Ben-Gurion-Airport in Tel Aviv blieben am Boden, nachdem die größte Gewerkschaft, Histadrut, ihre Hunderttausenden Mitglieder zum Generalstreik aufgerufen hatte. Bereits am Sonntag war es in mehreren Städten des Landes zu Massenprotesten gekommen, bei denen Berichten zufolge eine halbe Million Menschen die extrem rechte Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufforderte, endlich einer Vereinbarung mit der Hamas über einen Waffenstillstand und die Freilassung der mutmaßlich noch 101 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln zuzustimmen.

Auslöser des zivilen Ungehorsams war die Meldung vom späten Sonnabend, dass das israelische Militär die Leichen von sechs weiteren Geiseln aus einem Tunnel im Süden der in Schutt und Asche liegenden Küstenenklave geborgen hatte. Die Opfer sollen kurz zuvor noch am Leben gewesen sein. Drei von ihnen wären laut AP in der ersten Phase des im Juli ausgehandelten Abkommens freigelassen worden, dessen Zustandekommen an einer Blockadehaltung Netanjahus scheiterte.

Die Reaktionen der ultrarechten Regierung auf den Generalstreik waren erwartbar. Anstatt in Kriegszeiten der israelischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, würde der Histadrut-Vorsitzende Arnon Bar-David »in Wirklichkeit den Traum von (Hamas-Führer Jahja, jW) Sinwar erfüllen«, behauptete der extrem rechte Finanzminister Bezalel Smotrich laut Times of Israel auf einer Pressekonferenz am Sonntag; Bar-David vertrete »die Interessen der Hamas«. Minister Jitzhak Wasserlauf forderte indes Gesetzesänderungen, die es ermöglichten, den Gewerkschaftsführer persönlich zu verfolgen und Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend zu machen.

Um die Mittagszeit gab das israelische Arbeitsgericht am Montag schließlich einer Eingabe des Finanzministers Smotrich statt und ordnete das Ende des Streiks für 14.30 Uhr (Ortszeit) an. Histadrut-Chef Bar-David respektiere die Entscheidung des Gerichts, heißt es in einer Erklärung, aus der Times of Israel zitiert. Der als regierungsnah geltende Gewerkschaftsfunktionär bedankte sich bei den »Hunderttausenden von Bürgern«, um dann selbst ins Kostüm des Streikbrechers zu schlüpfen: »Wir leben in einem Rechtsstaat und respektieren die Entscheidung des Gerichts, deshalb weise ich alle an, um 14.30 Uhr zur Arbeit zurückzukehren«, so Bar-David laut Reuters.

Unterdessen ruft das Forum der Geiseln und vermissten Familien, das sich nach dem 7. Oktober gegründet hatte, auf, die Protestaktionen fortzusetzen. Es gehe nicht um einen Streik, »sondern um die Rettung der 101 Geiseln, die von Netanjahu im Stich gelassen wurden«. Für den Abend hatte das Forum landesweit erneut eine Vielzahl von Protestaktionen angekündigt, auch vor dem Wohnhaus von Netanjahu. Dass die Regierung, insbesondere die ultrarechten Koalitionspartner, jedoch kein Interesse an der Freilassung der Geiseln hat, stellte der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, unmissverständlich klar. »Heute haben wir die Macht in der Regierung«, erklärte der Faschist am Montag gegenüber seinen Anhängern, »und ich schäme mich nicht, zu sagen, dass wir diese Macht nutzen, um ein rücksichtsloses Abkommen zu verhindern und jegliche Verhandlungen zu stoppen.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. September 2024 um 10:19 Uhr)
    Die Regierung behauptet, es handele sich um einen »politischen Streik«. Doch jeder Streik ist per se politisch! Israel befindet sich im Krieg, und in einer solchen Lage ist politischer Widerstand nicht nur legitim, sondern unerlässlich. Indem die Regierung den Streik kurzerhand verbietet, greift sie massiv in das Gewerkschaftsrecht ein – ein alarmierendes Signal für die israelische Gesellschaft. Einmal mehr wird deutlich, dass diese Regierung keinen Frieden anstrebt. Das ist das größte Problem sowohl für die Innen- als auch die Außenpolitik des Landes. Israel führt einen Krieg ohne Friedensperspektive!

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