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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 2 / Inland
Rechte Gewalt

»›Heil Hitler‹ ist bei Normannia gang und gäbe«

Heidelberg: Im September beginnt der Berufungsprozess wegen eines antisemitischen Angriffs bei einer Burschenschaft. Ein Gespräch mit Clara Grube
Interview: Silke Makowski
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Haus der Burschenschaft Normannia in Heidelberg (9.9.2020)

Im September geht der »Normannia-Prozess« in die zweite Runde. Worum geht es dabei?

Hintergrund für den Prozess ist ein antisemitischer Vorfall, der sich in der Nacht zum 29. August 2020 in dem Haus der Burschenschaft Normannia in Heidelberg ereignet hat. Der Geschädigte, selbst Verbindungsstudent, war dort zu Gast. Er wurde gefragt, ob er jüdische Vorfahren habe, was er bejahte – er habe eine jüdische Großmutter. Daraufhin wurde er mit Gürteln verprügelt, mit Münzen beworfen und antisemitisch beleidigt.

Ist die Burschenschaft bereits in der Vergangenheit durch solche Vorfälle aufgefallen?

Ja, die Normannia machte immer wieder durch rechte Gewalttaten, Veranstaltungen mit bekannten Neonazis, Verstrickungen mit verschiedenen faschistischen Organisationen und einschlägige Äußerungen auf sich aufmerksam. Der antisemitische Angriff unterscheidet sich lediglich in einem Punkt von anderen Vorfällen: Er wurde öffentlich gemacht.

Auch früher hatten Normannen andere Korporierte rassistisch beschimpft und angegriffen. In der Verbindungsszene ist allgemein bekannt, dass bei der Normannia »rumgehitlert« wird: Die Begrüßung mit »Heil Hitler« war gang und gäbe; davon wurde sogar ein Foto geleakt. Das Verbindungshaus diente jahrzehntelang als zentraler Treffpunkt der regionalen rechten Szene und als Vernetzungsort rechter Aktivisten – von der AfD über die »Identitäre Bewegung« bis hin zur »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland«.

Erst der antisemitische Vorfall 2020 wurde in der bundesweiten Öffentlichkeit stark ­wahrgenommen. Was waren die Folgen?

Eine der wichtigsten Folgen dieses Skandals war die Auflösung der Aktivitas, also des Zusammenschlusses der studierenden Mitglieder, die auch in dem Haus wohnen. Das bedeutet aber nicht, dass die Burschenschaft als solche aufgelöst wurde – die Altherrenschaft existiert weiter. Allerdings gab es zahlreiche Austritte von alten Herren, denen es meist darum ging, ihren Ruf und ihre Karriere zu retten. Die übrigen versuchen einen Neustart: Um die braune Burschenschaft wieder salonfähig zu machen, soll sie in »Cimbria« umbenannt werden.

Der Angriff wurde vor Gericht verhandelt. Wie verlief der Prozess in erster Instanz?

Die Verhandlung gegen zwei Mitglieder der ebenfalls einschlägig bekannten Burschenschaft Germania Köln und gegen zwei Normannia-Mitglieder fand Ende 2022 statt. Als Verteidiger traten bekannte Anwälte der Szene auf, was einmal mehr zeigte, wie tief sich die Normannia im braunen Sumpf bewegt. Der Prozess war durchgehend geprägt von Falschaussagen und angeblichen Gedächtnislücken, die oft mit dem verbindungstypischen extremen Alkoholkonsum begründet wurden. Ganz offensichtlich stand das Ziel, das Ansehen der Burschenschaft zu bewahren, an höchster Stelle. Die Richterin kündigte deshalb mehrere Ermittlungsverfahren gegen Zeugen wegen uneidlicher Falschaussage an.

Drei der Angeklagten wurden am 8. Dezember 2022 zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt; der vierte wurde mangels Beweisen freigesprochen. Weil nur die drei Verurteilten dagegen in Berufung gingen, aber nicht die Staatsanwaltschaft, gilt im jetzigen Prozess das sogenannte Verbot der Verschlechterung. Das bedeutet, dass keine höhere Strafe verhängt werden darf, sondern die Burschenschafter aller Wahrscheinlichkeit nach mit geringeren Strafen davonkommen.

Wie wird das Geschehen von antifaschistischer Seite ­begleitet?

Antifaschistinnen und Antifaschisten beobachten und bekämpfen die Normannia, ebenso wie andere rechte Verbindungen und Netzwerke in der Region, seit langer Zeit. Teilweise mit einigem Erfolg, zum Beispiel jedes Jahr am Vorabend des 1. Mai: Inzwischen prägen antifaschistische Demonstrationen und Veranstaltungen das Stadtbild statt des früheren rechten Fackelmarschs und »Maiansingens« der Korporierten. Die erste Instanz des Prozesses wurde ebenso wie Aktionen der Normannia mit antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen begleitet. Das werden wir fortsetzen. Im Vorfeld des Berufungsprozesses findet am 6. September eine Kundgebung unter dem Motto »Rechte Verbindungen kappen – Nie wieder Normannia« statt.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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